Betritt der Besucher das Gewächshaus im Garten des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei, blickt er auf zwölf Wassertanks und eine ganze Reihe Tomatenpflanzen in Wannen. In den kreisrunden Tanks schwimmen Tila-pien, das ist eine afrikanische Buntbarsch-Art. Es ist warm.
Tomaten und Fische mögen Luft oder Wasser bei 26 Grad Celsius. Hier, direkt am Ufer des Berliner Müggelsees, züchtet ein Team von Wissenschaftern den sogenannten "Tomatenfisch". Dieses einmalige Projekt verquickt die Zucht von Fisch und Gemüse unter einem Gewächshausdach und perfektioniert auf diese Weise die gewöhnliche Aquakultur.
Fische und Pflanzen
Jeder von uns verzehrt statistisch gesehen 16,4 Kilogramm Fisch im Jahr. Tendenz steigend. Gleichzeitig leidet die Fischerei an überfischten Meeren, die der Erholung bedürfen. Deshalb boomt die Fischzucht in Tanks, Becken und Netzkäfigen, mit Wachstumsraten zwischen fünf und acht Prozent. Jeder zweite Fisch auf unserem Teller wächst inzwischen in einer Aquakultur auf.
Das hat zahlreiche negative Folgen: So wird etwa bei der Aufzucht von Lachsen doppelt so viel Fisch verfüttert, wie am Ende entsteht. Oder die ungefilterten Ausscheidungen der Fische verunreinigen saubere Gewässer. Dennoch kann die bereits unverzichtbar gewordene Aquakultur ökologisch sinnvoll sein.
Davon ist zumindest der Biologe und Leiter des "Tomatenfisch"-Projekts, Werner Kloas, überzeugt. Im lichten Gewächshaus verbindet das Forscher-Team die Fischzucht mit der Pflanzenhaltung in wässriger Nährlösung, der Hydroponik. Fischkreislauf und Pflanzenkreislauf ergeben gemeinsam das größere Aquaponik-System - "Aquaponik" ist das Kofferwort aus Aquakultur und Hydroponik.
In der feuchtwarmen Luft liegt das Surren und Brummen elektrischer Geräte. Sie halten das Aquaponik-System in Gang, gespeist aus der Solaranlage auf dem Dach des Nebengebäudes. "Wir wollen keine Primärenergie nutzen. Eine Aquakultur sollte immer in der Nähe einer Wärmequelle angesiedelt werden", erläutert Kloas. Ob es sich dabei um die Sonne, Kraftwerke oder eine Biogasanlage handelt, sei egal.
Das Forscherteam hat den Buntbarsch ausgewählt, weil der Süßwasserfisch ein Allesfresser ist, der sich mit weniger eiweißhaltigem Futter zufrieden gibt. "Tilapien brauchen kein Fischmehl, das macht sie zu einem recht nachhaltigen Fisch", freut sich Kloas. "Denn Fischmehl ist ein teures und wenig bioökonomisches Gut."
Mengenberechnungen
In den schwarzen Tanks sind die Barsche kaum sichtbar. Sie schwimmen gern im Düsteren. Für das Wachstum der Fische ist nicht nur das Futter entscheidend, sondern auch ihr Wohlbefinden. Erfahrungen zeigen, dass nicht zu viele Barsche im Tank schwimmen dürfen, aber auch nicht zu wenige. Berechnet wird das von den Wissenschaftern anhand der Menge Fisch pro Kubikmeter Wasser. Sind das etwa 100 Kilogramm, dann wird es zu eng. Die Barsche sind gestresst, der Pegel des Stresshormons Cortisol steigt an - was man sogar im Wasser messen kann.
Also entschieden sich die Müggelsee-Forscher für eine Anzahl von Fischen, die zusammen 50 bis 80 Kilo auf die Waage bringen. "Bei dieser Dichte setzt der Kuscheleffekt des Schwarms ein. Dann schwimmen alle brav zusammen, ohne jede Keilerei."
Das Abwasser der Fischtanks fließt durch Rinnen in einen Grobfilter, der Kot und Futterreste ausfiltert. Dieses vorgeklärte Wasser wird in einen Biofilter gepumpt. Dort siedeln Bakterien und verwandeln das giftige Ammonium, das die Fische über ihre Kiemen ausscheiden, in Nitrit und Nitrat. "Das abgelassene Wasser ist quasi Flüssigdünger, da liegt es auf der Hand, mit dem Fischkot die Tomaten zu düngen. Die Fische versorgen die Pflanzen mit Nitrat und Phosphat. Diese Stoffe führen wir sonst künstlich zu", erläutert Kloas.
Einzig ein 2,50 Euro teures Einwegventil verbindet die Aquakultur mit der Hydroponik. Aus dem Fischkreislauf fließt das Wasser durchs geöffnete Ventil und wässert die Tomaten. Eine Kühlfalle gewinnt das Verdunstungswasser aus dem Pflanzenkreislauf zurück. Langsam tröpfelt das Wasser in einen grünen Eimer und gelangt - mit Zwischenstopp in einem Speicher - zurück in die Fischtanks. Der Wasserkreislauf schließt sich. Nur drei Prozent Frischwasser speisen die Forscher dem System täglich ein. Herkömmliche Anlagen verbrauchen ein Vielfaches. "Verglichen mit Durchflusssystemen sind solche Wasserkreisläufe sehr wassersparend", kommentiert Kloas. "Allerdings sind die Investitionskosten relativ hoch."
Die Kosten der Forschungsanlage lagen bei 600.000 Euro. Doch immerhin konnten die Wissenschafter nach sieben bis acht Monaten 600 Kilogramm Tilapien ernten, die bei den 250 Mitarbeitern heiß begehrt waren. Einige kamen gleich mit der Plastik-Badewanne, um sich die Beute zu sichern. Bei den Tomaten waren nach zehn bis elf Monaten 1000 Kilogramm reif geworden.
Verschiedene Modelle
Das ist offenbar einträglich genug, dass sich die EU bis Mitte 2015 mit sechs Millionen Euro an vier Demonstrationsanlagen beteiligt. Eine davon wird an der Müritz stehen, einem See in Mecklenburg, eine in Belgien, eine in China und eine im spanischen Murcia. Kloas hofft, dass die Anlage im ariden Murcia ein Startpunkt für Aquaponik in Dürregebieten sein könnte. "Unser System hat das Potenzial, sowohl im großen als auch im kleinen Stil angewandt zu werden", erklärt er und verweist auf eine Mini-Aquaponik-Anlage im Garten, die sein Team für 999 Euro selbst zusammengebastelt hat.