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"Forschungsgelder haben kein Mascherl"

Von Eva Stanzl

Wissen

Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny zu notwendigen Budgeterhöhungen, Drittmitteln und Offenheit im Wissenschaftsbetrieb.


Graduierungszeremonie an der Harvard Business School in Boston (USA). Akademische Abschlüsse führen in der Wissenschaftsgesellschaft von heute in alle Welt.
© Rick Friedman/rickfriedman.com/Corbis

"Wiener Zeitung":Kürzlich hat der erste Österreicher den Fields-Preis, die höchste Auszeichnung für Mathematik, bekommen. Martin Hairer ist Professor an der britischen Universität Warwick. Er sagt, er sehe keinen Grund, in sein Heimatland zurückzukehren, da ihm in England mehr Möglichkeiten offenstünden. Was muss Österreich, das eine Spitzenposition in der europäischen Forschung anstrebt, ändern, damit Talente hier bleiben?

Helga Nowotny: An sich ist es ganz normal in der Wissenschaft, ins Ausland zu gehen. Es wird nur dann zum Problem, wenn zu wenige Forscher zurückkehren oder zu uns kommen. Dann ergibt sich ein intellektuelles und wissenschaftliches Defizit. Jetzt ist daher eine sehr gute Gelegenheit für eine ernsthafte Diskussion über die Internationalisierung. Wir müssen uns überlegen, was wir uns davon erwarten und was wir damit erreichen wollen. Es gibt derzeit ein diffuses Gefühl von Unwissenheit, was es bringt, wenn wir für Andere offen sind. Der Vorteil lässt sich am Beispiel der ETH Zürich illustrieren, wo der Anteil ausländischer PhD-Studierender 50 Prozent ausmacht. Diese müssen zwar nach Ende des Studiums die Schweiz verlassen, halten aber Kontakt zu ihren Professoren und zur Schweizer Industrie, was große Vorteile hat.

Was machen die Briten richtig?

Großbritannien wirkt als Magnet für junge Leute, die dort wissenschaftlich früher unabhängig arbeiten können als in Deutschland oder Österreich. Das britische System ist sehr kompetitiv in der Einwerbung von Drittmitteln, aber es gibt Fallback-Positionen an Universitäten. Das heißt: Wenn man einmal scheitert, Förderungen für Forschungsprojekte einzuwerben, kann man sich auf die Lehre konzentrieren. Anders als in Österreich, wo die Fiktion besteht, dass alle in der Lehre und in der Forschung gleichermaßen aktiv seien, kann in Großbritannien ein und dieselbe Person sagen: Ich war bei der letzten Runde nicht erfolgreich, daher will ich mich zwei Jahre lang auf die Lehre konzentrieren und mich danach wieder um eine Drittmittel-Förderung bewerben. Eine derartige Flexibilität im System kenne ich nirgendwo anders.

Was macht Österreich also falsch?

Wir haben eine viel zu hohe Lehrverpflichtung. Die Zeit, die für die Forschung bleibt, ist abhängig von der Zahl der zu betreuenden Studierenden. Außerdem fehlen allgemein gültige Richtlinien dafür, dass jene, die erfolgreich kompetitive Förderungen, etwa ERC Grants oder FWF Projekte, einwerben, eine Reduktion ihrer Lehrverpflichtung bekommen. Derzeit wird das an den Unis einzeln ausgehandelt. Ohne Zweifel ist die Lehre wichtig. Aber eine angemessene Reduktion, bei der ein Teil der Mittel dafür verwendet wird, um jemanden für die Dauer des Projekts in der Lehre einzustellen, wäre vernünftig.

Mehr Stellen, größere Gruppen und mehr Möglichkeiten sind auch eine Frage des Geldes.

Die österreichischen Universitäten sind klar unterfinanziert, jedoch ist die Gruppengröße nicht in allen Bereichen gleich wichtig. Wichtig sind die Dichte und die Intensität, in der Leute an derselben Universität über ihre Forschung mit anderen kommunizieren können. Wer das nicht hat, ist isoliert. Gute Kontaktmöglichkeiten mit interessanten Forschern machen die eigentliche Attraktivität eines Forschungsstandorts aus. Wenn wir diese Dichte zumindest in Bereichen hätten, in denen wir bereits gut sind, wäre viel gewonnen. Ich denke an Physik in Innsbruck und Wien sowie Life Sciences, Mathematik oder Logik in Wien. Wenn wir sie ausbauen und bewahren, könnten wir junge Leute beispielsweise aus östlichen Nachbarländern anziehen und schon in der Master-Stufe anschauen, welche Studierenden sich für einen PhD eignen. Auch gezielte Kooperationen mit Universitäten außerhalb Europas, um PhD-Studierende auszutauschen, würden langfristig interessante Verbindungen schaffen.

Forschungsrat-Vorsitzender Hannes Androsch beziffert den zusätzlichen Bedarf für Forschung mit 400 Millionen Euro. Halten Sie eine Erhöhung des Budgets um diesen Betrag für realistisch?

Ich unterstütze jede Forderung nach mehr. Zwar bin ich eher skeptisch, ob die Höhe der genannten Summe realistisch ist, aber wenn man nicht in der Öffentlichkeit auftritt und sagt, was der Fall ist - nämlich dass mehr Geld in die Hand genommen werden muss -, passiert nichts. Also wäre, selbst wenn man weniger bekäme, schon etwas getan.

In Deutschland und Österreich stehen Drittmittel in der Kritik, weil mit Pentagon-Geldern Forschung betrieben werde, die auch der Verteidigung dienen könnte. Müssen Wissenschafter genau wählen, woran sie forschen?

Das ist keine neue Diskussion - es gab sie zur Zeit des Vietnamkriegs in den USA intensiv. Sie tritt immer dann auf, wenn wir sehen, zu welchen Zwecken die Ergebnisse der Forschung eingesetzt werden können. Während des Kalten Krieges gab es sogar Forschung, die mit Staatsförderungen an US-amerikanischen Universitäten streng geheim durchgeführt wurde.

Jede Weiterentwicklung der Technik ist auch eine Weiterentwicklung von Einsatzmöglichkeiten, mit denen viele von uns nicht einverstanden sind. Solche Entwicklungen hängen aber nicht mit dem Thema Drittmittel als solches zusammen und keineswegs kann man die Verantwortung auf die Forscher abschieben. Es muss einen breiten Konsens in der Wissenschaft und in der Gesellschaft geben, was gemacht werden soll und was unter keinen Umständen gemacht werden darf.

Soll eine gesetzliche Richtlinie das festlegen?

Das ist eine heikle Angelegenheit, weil niemand vorhersehen kann, wofür Entdeckungen oder Erfindungen eingesetzt werden können. Daher bringen Gesetze im Vorhinein nichts und schon gar nicht im Rahmen eines Nationalstaats. In Europa gibt es die Dual-Use-Klausel, die auf den Kalten Krieg zurückgeht. Sie ist der Versuch, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass zivile Forschung auch für militärische Zwecke eingesetzt werden kann. In der EU überprüfen eigene Komitees in Einzelfällen, ob die Klausel eingehalten wird, da mit EU-Geldern nicht für militärische Zwecke geforscht werden darf.

Ist etwas gegen Pentagon-finanzierte Forschung einzuwenden?

Man kann nicht simpel sagen: Dieses Geld ist schmutzig. Das Department of Defence und das Department of Energy haben nämlich über Jahre freie Grundlagenforschung mit unbestimmtem Ausgang gefördert, ohne sich um die Anwendung zu kümmern. Geld hat kein Mascherl. Gleichzeitig haben sie über Jahre in einer für mich annehmbaren Weise gesagt, dass Grundlagenforschung eines Tages für sie interessant sein könnte. Anders ist es in der militärischen Auftragforschung, von der das renommierte Massachusetts Institute of Technology MIT zum Teil lebt.

In Österreich finanziert der Wissenschaftsfonds FWF den Großteil der Grundlagenforschung. Da die Mittel knapp sind, werden neue Quellen für Forschungsförderung diskutiert. Halten Sie eine Ausweitung der gemeinnützigen Stiftungen für erfolgsversprechend?

Der FWF ist trotz der letzten Aufstockung noch immer unterdotiert, und auch ich würde mir mehr gemeinnützige Stiftungen mit Forschungswidmung wünschen - auch um ein Engagement der Zivilgesellschaft zu erreichen. Ich halte das aber eher für ein Wunschdenken der Politik, denn wir bieten zu wenige steuerliche Anreize, die dem Gemeinwohl zugute kommen.

Bei den Technologiegesprächen in Alpbach leiten Sie ein Panel zum Thema "Open Science". Was ist darunter zu verstehen?

An den Universitäten finden sich noch immer stark eingemauerte Grenzen zwischen den Disziplinen - es braucht Disziplinen für die Lehre, doch ebenso interdisziplinäre Offenheit. Interessante neue Ansätze gibt es, wo sich die Forschung für Laien öffnet. In der Wissenschaftsgeschichte haben Amateure eine große Rolle gespielt, etwa in Pflanzenkunde oder Astronomie. Auch heute werden Himmelskörper nach Laien benannt, die diese auf ihren Computern entdecken - sie forschen mit. Manche Entwicklungen in den Life Sciences wiederum sind darauf angewiesen, dass möglichst viele Personen ihre genetischen Daten und Zellen zur Verfügung stellen. Dies sollte nicht privaten Firmen überlassen werden, sondern der Allgemeinheit zugute kommen, wobei Spender von Blut, Plasma oder Zellen zu aktiven Teilnehmern im Forschungsprozess werden.

Laien sollen keine ausgebeuteten Objekte der Wissenschaft sein, sondern mündige Bürger und Bürgerinnen, die Information und eine aktive Rolle bekommen. Wer welche Rechte garantiert, ist noch auszuhandeln - wir stehen am Anfang. Mit Brustkrebspatientinnen gibt es aber bereits interessante Pilotprojekte.

Helga Nowotny, geboren 1938 in Wien, ist Vorsitzende des "ERA Council Forum", das das Wissenschaftsministerium zu EU-Förderungen berät. Die emeritierte Professorin für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich hat den Europäischen Forschungsrat (ERC) mit aufgebaut und war bis Ende 2013 dessen Präsidentin. Bei den am Donnerstag startenden Technologiegesprächen in Alpbach leitet sie ein Panel zu "Open Science".