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"Aufschwung in der Forschung"

Von Eva Stanzl

Wissen

Günther Bonn, Chemiker der Universität Innsbruck und früher Vizechef des Forschungsrats, lobt die Forschungspolitik.


"Wiener Zeitung": Als Vorstand des Instituts für Analytische Chemie der Universität Innsbruck leiten Sie mit dem Medizin-Professor Lukas Huber das 2011 gegründete Austrian Drug Screening Institute (ADSI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Was wird dort gemacht, welche Resultate gibt es?Günther Bonn: In Innsbruck wurden in den letzten 20 Jahren starke Schwerpunkte im Bereich Zellbiologie und Onkologie gesetzt. Wir ergänzen unsere Grundlagenwissenschaft durch industrienahe Forschung und das Austrian Drug Screening Institute ist auf dieser Basis entstanden. Es ist ein Zentrum für translationale Forschung, um in Onkologie und Phytopharmazie von den Grundlagen zur Anwendung zu kommen.

Wenn Forscher eine Substanz entdecken, interessiert das die Industrie noch lange nicht. Die will nämlich wissen, wie die Verbindung auf welche Krankheitsbilder wirkt. Im ADSI richten wir zellbasierte Wirkstoff-Nachweisverfahren so maßgeschneidert aus, dass sie besonders klinikrelevant sind. Ziel ist, möglichst viele Parameter auszulesen, um zu testen, wie vielfältig eine Substanz einsetzbar ist. ADSI will nicht nur herausfinden, ob etwas wirkt, sondern auch, wie es wirkt. Hinzu kommt die Analyse von Pflanzen mit pharmazeutischer Wirkung.

Welche schweren Krankheiten lassen sich mit pflanzlichen Mitteln therapieren?

Wir erforschen diese Frage. Die deutsche Firma Bionorica SE, die derartige Produkte herstellt und in Apotheken verkauft, trat an uns heran mit dem Auftrag, herauszufinden, welche Inhaltsstoffe in der Pflanze sich eventuell für spezielle Therapien eignen. Die Österreich-Tochter Bionorica Research beschäftigt über 20 Forscher hauptsächlich in der analytischen Chemie, die mit heimischen Uni-Instituten Pflanzen in bestimmte Richtungen screenen. Ziel ist, Inhaltsstoffe pflanzlicher Extrakte für Arzneimittel im Bereich metabolisches Syndrom, Entzündungen und Lebererkrankungen zu finden.

Schon die Universalgelehrte Hildegard von Bingen (1098-1179) brachte das Wissen über Pflanzen mit der Medizin zusammen. Woher kommen Ihre Forschungspflanzen?

Unsere Pflanzen sind nicht wild gepflückt, sondern werden auf eigenen Feldern unter anderem auf Mallorca gezüchtet, weil man dort drei Mal ernten kann. Genetisch manipuliert sind die nicht. Von diesen Zuchtpflanzen weiß man, dass sie Stoffe enthalten, die auf bestimmte Krankheiten wirken. Aber man weiß noch nicht, wie genau sie wirken, es fehlen die wissenschaftlichen Grundlagen. Wir extrahieren die Wirkstoffe, analysieren das Extrakt und bringen es in Zellkulturen ein, die die Umgebung der Krankheiten nachbauen. Wenn es zu einer Wechselwirkung kommt, geben wir die Resultate weiter. Von 50 untersuchten Pflanzen haben wir bereits sechs gefunden, die so stark wirken, dass sich die Firma für weitere Versuche entschieden hat. Wir sind weltweit das erste Team mit einem solchen kombinierten Screening-Verfahren, basierend auf molekularbiologischen Methoden und Analytik.

Von 2000 bis 2010 waren Sie stellvertretender Vorsitzender des Rats für Forschung und Technologieentwicklung. Damals wurde in das Wachstum des Forschungsstandorts Österreich investiert. Heute fällt das Land in Innovationsrankings wieder zurück, weil zu wenige Ergebnisse der Grundlagenforschung zu Produkten werden. Was müssen wir tun, um das zu ändern, zumal mehr Geld nicht zu erwarten ist?

Man braucht nicht immer nur mehr Geld. Dennoch ist die Grundlagenforschung wirklich unterdotiert. Eine Aufstockung ist notwendig - zu bestimmten Zeiten sollte man wohl weniger Tunnel und Straßen bauen. Denn Ablehnungsraten von über 80 Prozent, wie sie mangels Budget der FWF (Wissenschaftsfonds, Österreichs größte Förderagentur für Grundlagenforschung, Anm.) erteilen muss, sind zu viel. Ein Land, das Forschungsanträge zurückschickt, weil kein Geld da ist, wird keine Forscher anziehen, denn Ablehnungsquoten von mehr als 50 Prozent sind demotivierend.

Noch schlimmer ist, dass wir mit dem FWF nur eine einzige große Agentur haben, die Grundlagenforschung fördert. In Deutschland gibt es mehrere Modelle - etwa über gemeinnützige Stiftungen. In Österreich aber bin ich einem einzigen System ausgeliefert -, und das hat noch zu wenig Geld. Auf der anderen Seite müssen wir trotz Geldmangel eine Aufbruchsstimmung schaffen. Wenn ich sehe, wie gerne die Leute wissen wollen, was gegen Krebs hilft, ist mir klar, wie wichtig Grundlagenforschung ist, weil sie Arbeitsplätze schafft, an denen Heilung entwickelt wird.

Wie sinnvoll sind Rankings?

Ich habe es satt, dass man Universitäten auf der ganzen Welt im Ranking vergleicht. Denn Sie können nur vergleichen, was vergleichbar ist, und Universitäten heute sind nicht vergleichbar. Ich war Gastprofessor an der Yale University (USA): Dort gibt es Top-Forscher, viel Geld, tolle Beziehungen und es kostet eine Stange Geld. In Österreich gibt es eine breite Ausbildung für viele junge Menschen, die sich eine normale Familie leisten kann, mit Zuschüssen und Stipendien. Wollen wir dieses System beibehalten? Ich bin der Meinung ja. Allerdings kann dieser kulturelle Wert nicht mit Eliteunis verglichen werden. Denn wenn man Spitzen-Niveau will, muss man es anders machen - schauen, dass 90 Prozent der Studenten durchfallen, nur auf Leistung gehen und dafür sorgen, dass die Industrie Geld investiert. Aber ich will das nicht. Sondern ich zahle gerne Steuern, damit viele Menschen Bildung bekommen.

Dennoch geht es darum, die international besten Köpfe zu gewinnen. Wie attraktiv sind Österreichs Unis?

Die österreichischen Universitäten sind nicht mehr sonderlich attraktiv, weil sie keine gute Infrastruktur mehr haben. 2000 bis 2008 hat die Regierung den Unis zusätzlich zum normalen Budget 70 bis 80 Millionen Euro im Jahr für Infrastruktur gegeben - Massenspektrometer, Computer, Bösendorfer-Klaviere. Sie bekamen Industrieaufträge schon allein wegen der Geräte. Heute sind sie nur durch ihr Humankapital attraktiv.

Haben Sie den Eindruck, die Politik interessiert sich für Forschung?

Die Regierung war bis 2008/09 in sehr aktiv - nicht nur mit Geld, sondern auch mit Ideen. Stillstand im politischen System Forschung und Entwicklung herrschte von 2008 bis 2013 - einziges Thema war da die Studienplatzfinanzierung. Da andere Länder mehr investierten, wurde diese Stagnation zum Rückfall. Heute ist wichtig, aufzuholen. Glücklicherweise sind seit ein paar Monaten Leute am Ruder, die in der Forschung wieder etwas in die Hand nehmen und verändern wollen. Ich habe das Gefühl, dass man versucht, wirklich zu arbeiten. Wenn Wissenschaftsminister Vizekanzler Mitterlehner wirklich die 600 Millionen für die Unis bekommt, ist eine Grundlage gelegt. Natürlich ist das nicht die ursprünglich geplante Milliarde, aber dennoch wird vermittelt, dass die Forschung positiv erledigt wird und die Antwort wieder ja ist und nicht immer nein.

Die Idee, dass Bildung und Forschung den Standort retten, hat sich wie ein ökonomischer Glaubenssatz etabliert. Ist er richtig?

Wenn wir zurückfallen, sind wir ein schlechter Partner. Wenn wir etwa im Motorbau schlechter werden, wird BMW Motoren nicht mehr in Österreich bauen lassen. Da aber für ein kleines Land nicht alles finanzierbar ist, müssen wir dort, wo wir gut sind, mehr Geld in die Hand nehmen: Nanotechnologie, Biotechnologie, Quantenphysik, bestimmte Gebiete der Chemie und Geisteswissenschaften. Diesen Mut muss man haben.

Zunehmender Wert wird auf Anwendungsorientierung gelegt. Ist das der richtige Weg?

Es gibt nur wenige Wissenschaften, die Grundlagenforschung ob der Grundlagenforschung betreiben. In vielen Bereichen läuft sie vom Gedanken her bereits eher in Richtung Anwendung. Ich glaube, dass das eine gute Tendenz ist, wenn man eine ausgewogene Betrachtungsweise etabliert. Das bedeutet, Grundlagenforschung finanziert weitgehend der Staat.

Der Forschungsrat beendet seine Amtsperiode im Sommer. Würden Sie wieder eintreten, wenn man Sie fragen würde?

Ich glaube, dass wir von 2000 bis 2008 mehr bewegen konnten, als der jetzige Rat es kann. Uns gab die damalige Regierung, die uns etablierte, den Auftrag, Ideen zu bringen, und wir haben empfohlen und die Minister schauten, ob sie es sich leisten konnten. Wir waren ein zuarbeitendes System und wurden ernst genommen. Heute hat der Rat eine andere Funktion. Die Politik sollte sich überlegen, ob sie ein solches Gremium will und wofür, und wenn sie es nicht will, sollte sie es abschaffen - das Gleiche gilt für den Wissenschaftsrat. Was mich betrifft, würde ich es nicht mehr machen. Zehn Jahre sind genug. Andere Menschen müssen neue Ideen bringen. Ich würde einmal ganz junge Menschen die Forschung mitprägen lassen.

Zur Person

Günther

Bonn

(60) ist Vorstand des Instituts für Analytische Chemie und Radiochemie der Universität Innsbruck. Er war Gastprofessor an der US-Universität Yale und von 2000 bis 2010 stellvertretender Vorsitzender des Forschungsrats.