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Das Online-Museum zum Mitarbeiten

Von Eva Stanzl

Wissen
Glasaugen von Anton Schwefel, Wien, zählen zu den 160.000 Objekten der Sammlung.
© TMW

Immer mehr Museen lassen sich digital besuchen, als erstes Haus Österreichs nun auch das Technische Museum in Wien.


Wien. Seide aus Lyon, Stoffe aus Österreich-Ungarn, bunte Garne mit Iris-Effekt, Glasknöpfe, Glasaugen, Beschläge, Zierleisten und englische Uhrketten aus dem 19. Jahrhundert liegen auf Tafeln in flachen Schubladen in einem der bestbehütetsten Depots Österreichs. In den Hallen der Heeresverwaltung für Zivilgenützte Heeresobjekte am Flötzersteig im 14. Wiener Gemeindebezirk bewahrt das Technische Museum Wien seine wertvollsten Sammlungsobjekte auf. Wer das Militärgelände betreten will, muss sich ausweisen können. Virtuell ist die Sammlung jedoch ab sofort frei zugänglich - in Form von Objektfotos im Internet.

Das Technische Museum Wien (TMW) ist nach eigenen Angaben das erste Haus Österreichs, dessen Bestände nahezu vollständig online zu sehen sind. Neben Gewerbewaren können Interessierte unter www.technischesmuseum.at Entwürfe für die Semmeringbahn, Aquarelle von Hofwaggons, Hammerflügel, Apothekengefäße, Fotokameras, Radios, Dampfmaschinen, Sammlungen von Spielkarten oder Spielzeugroboter im Detail von zu Hause aus betrachten.

Virtuelles Museum soll keine Einbahnstraße sein

Laut Direktion stehen derzeit fast 90 Prozent der mindestens 160.000 Sammlungsobjekte online. Das Besondere: Das virtuelle Museum soll keine Einbahnstraße darstellen, sondern zur Mitarbeit anregen. Rückmeldungen zu den Exponaten sind nicht nur möglich, sondern ausdrücklich erwünscht. "Wir wünschen uns, dass die Bevölkerung unsere Datenbank mit ihrem Wissen vervollständigt. Wir wollen die Kenntnisse der Betrachter nutzen, um die Sammlung weiter zu erschließen", erklärte Direktorin Gabriele Zuna-Kratky bei einer Depotführung am Donnerstag.

"Nur etwa 10.000 unserer Objekte online sind wissenschaftlich sehr gut erschlossen. Der Rest enthält die gesammelte Dokumentation, die uns zur Verfügung steht, die jedoch teilweise noch nicht bearbeitet ist. Um alle Datensätze vor ihrer Online-Veröffentlichung zu überprüfen, hätten wir Jahrzehnte gebraucht", erklärte Sammlungsleiterin Martina Griesser-Stermscheg am Rande der Führung. Fachkundige seien gebeten, sich mitzuteilen. Unter der Option "Feedback" können Kenntnisse zu Exponaten - seien es Münzen, Apothekergefäße oder Fahrzeuge - dem Museum bekannt gemacht werden. So kann aus einem einfachen "Melkschemel" ein "Melkschemel aus Irland, 19. Jahrhundert, erzeugt von Hersteller Vorname Nachname" werden.

Der Zustand der Dokumentation hat mit einer für riesige Sammlungen typischen Genese zu tun. In Österreich startete Kaiser Franz I. eine Sammlung gewerblich genutzter Objekte. "Er forderte alle Länderchefs der Monarchie auf, Materialien ihrer Gewerbetreibenden nach Wien zu senden. Bis 1850 waren an die 10.000 Objekte in der Hauptstadt angekommen", erklärt Helmut Lackner, Wissenschaftlicher Stellvertreter der TMW-Geschäftsführung: "Die Sammlungen wurden ausgestellt, im Unterricht an der Technischen Universität genutzt und an verschiedenen Stellen erweitert."

Der Techniker Wilhelm Exner führte schließlich die Kollektionen als Initiator des Technologischen Gewerbemuseums in Wien, dessen erster Direktor er von 1879 bis 1904 war, zusammen. Die Geschichte der Inventarisierung dieser Objekte begann 1910 mit einem handschriftlich geführten Buch. "Im Jahr 2000 erfassten wir die Bestände erstmals elektronisch. 2002 begannen wir dann mit einer Generalinventur, die wir fotografierten und digitalisierten und nun nach dem Vorbild des British Museum online stellen", berichtet Zuna-Kratky.

Das British Museum in London setzte sich bereits über 250 Jahren zum Ziel, "jedem Bürger das Erforschen der Geschichte und der Kulturen der Welt" zu ermöglichen. Heute ist es mit 6,7 Millionen Besuchern im Jahr hat eine der größten Touristenattraktionen des Vereinigten Königreich. 2500 Menschen drängen stündlich in die Gemäuer unter der Glaskuppel. Damit der Neugierde keine Grenzen gesetzt seien, können sich Interessierte seit einiger Zeit die Schätze, von den legendären Mumien Ägyptens bis zu den Schachfiguren von Lewis, problemlos anschauen, ohne einen Fuß ins Museumsgebäude zu setzen. Das British Museum hat seine Sammlung online gestellt. Sie ist wissenschaftlich gut erschlossen ist, doch auch hier kann die Bevölkerung Beiträge abgeben.

Ausstellungsbesuch aufdem Bildschirm

Weiters hat das British Museum hat vergangenen Herbst zusammen mit dem "Google Cultural Institute", ein Non-Profit-Zweig des digitalen Riesen, einen virtuellen Rundgang durch seine Räume geschaffen, die vom Umfang vermutlich unübertroffen sind (die "Wiener Zeitung berichtete). Dabei besucht man mit den Augen die 85 Schatzkammern und Galerien auf dem eigenen Bildschirm und kann sich dabei über 4500 Objekte ansehen. Herunterladen oder vervielfältigen kann lassen sich die Bilder freilich nicht. Auch eigene Kenntnisse lassen sich nicht mitteilen, dafür liegt einem die Museumswelt virtuell zu Füßen.

800 Institutionen sind im "Google Cultural Institute" bereits zu sehen. Eines ist das Jüdische Museum Wien. Wer die laufende Schau "Unsere Stadt! Jüdisches Wien bis heute" besuchen will, muss dies nicht innerhalb der Öffnungszeiten tun. Sondern er kann sie von daheim ins Auge fassen. Und dabei bleibt es vorläufig. Um seine gesamte Sammlung online stellen zu können, müsste das Direktorium eine Reihe von rechtlichen Fragen klären. "Es ist immer die Frage, was als Museumsbestand gilt. Viele Objekte in unserer Sammlung sind Leihgaben", erklärt Sprecher Alfred Stalzer. Somit ist es einfacher, zusammen mit den großen Häusern der Welt die virtuellen Tore zu öffnen.