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Viele Verschwörer verderben die Verschwörung

Von Edwin Baumgartner

Wissen
Jetzt sagt es auch die Statistik: Die Mondlandung hat tatsächlich stattgefunden.
© wikimedia/NASA

David Robert Grimes erarbeitet ein statistisches Modell zur Lebensdauer von Verschwörungen.


Wien. Je mehr Personen Mitwisser einer Verschwörung sind, desto eher wird diese auffliegen. Logisch: Wenn eine Verschwörung aus drei Personen besteht, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie unaufgedeckt bleibt, als wenn eine Verschwörung aus dreihundert Personen besteht. Drei halten nämlich schließlich eher dicht als dreihundert.

Klar war das schon bisher allen (außer den Verschwörungstheoretikern) - doch jetzt geht eine Studie im US-amerikanischen Fachblatt "PLOS" (Public Library of Science) der Sache wissenschaftlich auf den Grund. David Robert Grimes, Krebsforscher an der Oxford University und Wissenschaftsjournalist für den britischen "Guardian" und die BBC, behauptet sogar, er könne beziffern, wie hoch das Risiko sei, dass eine Verschwörung auffliegt.

Statistik geeicht an historischen Fällen

Grimes hat sein Statistik-Modell aus seinen Studien über Strahlenbehandlung abgeleitet. In seine generelle, aber inkomplette Verschwörungstheorie-Formel bezieht er drei Faktoren ein: Die Zahl der in die Verschwörung involvierten Personen, die Länge der Zeit, die seit der Verschwörung verstrichen ist, und die jeder Verschwörung naturgemäß innewohnende Wahrscheinlichkeit
der Entdeckung. Grimes: "Das mathematische Modell ist sehr einfach. Die Grundannahme ist: Es gibt pro Jahr und pro beteilig-ter Person eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass jemand zum Whistleblower wird oder das Geheimnis versehentlich verrät. Die Fehlerrate einer Verschwörung ist sehr klein, aber sie existiert."

An drei historischen Fällen
tatsächlicher Verschwörungen eichte Grimes sein Modell: Die Penicillin-Experimente an US-ame-
rikanischen Syphilis-Patienten in den 1930er Jahren, den FBI-Forensikskandal, der 1998 aufflog,
und den von Edward Snowden aufgedeckten NSA-Überwachungsskandal.

Grimes inkludiert auch, dass im Lauf der Zeit die Zahl der Mitwisser abnehmen kann, da, je mehr Zeit verrinnt, einige unter Umständen sterben - und zwar aus natürlichen Ursachen, denn der Mord an Mitwissern "ist keine gute Idee, weil das zu einer Panik unter den bis dahin Überlebenden führen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen würde, dass die Verschwörung aufgedeckt wird."

Die drei von Grimes genauer betrachteten aufgeflogenen Verschwörungen stellen sich so dar: In die NSA-Überwachungs-Verschwörung waren 36.000 Personen miteinbezogen - sie flog nach rund sechs Jahren auf. In die Penicillin-Verschwörung (durch die aus experimentellen Gründen afroamerikanischen Patienten das Medikament vorenthalten wurde) waren 6700 Personen eingebunden - nach 25 Jahren wurde öffentlich, was gelaufen war. An der FBI-Forensikverschwörung (bei der durch absichtlich falsche Gutachten dutzende Angeklagte ins Gefängnis und sogar in die Todeszelle gebracht worden waren), waren in Grimes’ Annahme höchstens 500 Personen beteiligt - sie hielt nur sechs Jahre.

Unter diesen Aspekten betrachtet Grimes die vier größten Verschwörungstheorien der Gegenwart: Die Mond-Verschwörung, derzufolge die Mondlandung im Filmstudio getrickst worden sei; die Impf-Verschwörung, bei der verschwiegen werden soll, dass Seren Autismus auslösen; die Krebs-Verschwörung, deren Befürworter behaupten, die Pharma-Industrie würde ein Krebs-Heilmittel unterdrücken, weil die Langzeitbehandlungen mehr Profit brächten; und die Klima-Verschwörung, deren Anhänger glauben, der Klimawandel sei eine mehr oder minder gut inszenierte Erfindung.

Legt Grimes sein Statistikmodell an diese Verschwörungen an, so hätte die Krebs-Verschwörung eine Lebensdauer von gerade einmal 3,2 Jahren. Die Impf-Verschwörung brächte es auf 3,2 bis 34,8 Jahre, die Klima-Verschwörung auf 3,7 bis 26,8 Jahre. Dabei ist zu bedenken, dass sowohl die kürzest mögliche Dauer als auch die längst mögliche am unwahrscheinlichsten sind. Man kann also davon ausgehen, dass diese Verschwörungen, so es solche sind, bereits aufgeflogen wären - oder zumindest in kurzer Zeit auffliegen werden.

Die Mond-Verschwörung hätte knapp 4 Jahre Lebensdauer

Bei der Mond-Verschwörung ist es nicht anders: In sie wären ab dem Jahr 1965 an die 411.000 Mitarbeiter der NASA miteinbezogen gewesen. Laut Grimes hätte diese Verschwörung nach 3,7 Jahren auffliegen müssen - also im Extremfall sogar noch vor der je nach Ansicht tatsächlichen oder angeblichen Mondlandung oder zumindest knapp nachher.

Umgekehrt: Da die Mondlandung mehr als 50 Jahre zurückliegt, hätten, berechnet Grimes, gerade einmal 251 Verschwörer beteiligt sein dürfen, damit es nicht zur Entdeckung kommt.

Ob nun Mondlandung, Klimawandel, Bilderberger oder Chemtrails: Echte Verschwörungen fliegen auf.

Allerdings behalten die Verschwörungstheoretiker immer noch das Ass im Ärmel und sagen lächelnd: "Eben." Denn in ihrer Welt sind ja die Verschwörungen durch die Arbeit der Verschwörungstheoretiker aufgeflogen, und wer etwas Anderes sagt, ist Teil der Verschwörung.

Was bloß eines zeigt: Dass man Verschwörungstheorien selbst mit den Mitteln der Statistik nicht beikommt. Wo die Vernunft abgemeldet ist, hat wissenschaftliche Methodik nichts zu melden.