"Wiener Zeitung": Frau Ferlaino, wann haben Sie das erste Mal für Ihr Fachgebiet Physik Feuer gefangen?

Francesca Ferlaino im Gespräch mit Irene Prugger. - © Prugger
Francesca Ferlaino im Gespräch mit Irene Prugger. - © Prugger

Francesca Ferlaino: Die Physik hatte für mich schon als Schülerin etwas Magisches. Auch etwas sehr Rationales, denn sie kann so viele Zusammenhänge erklären - und ich war ein sehr neugieriges Kind. Ich besuchte in meiner Heimat Italien eine französische Schule. Als ich dreizehn war, besichtigten wir mit der Klasse ein Atomkraftwerk in Frankreich. Ich war fasziniert, dass man auf diese Weise Energie herstellen kann, und nahm mir vor, eines Tages Forscherin zu werden.

Hat der Physikunterricht in der Schule Sie ebenfalls so begeistert?

Im humanistischen Gymnasium war die Begeisterung für Physik aufgrund des wenig inspirierenden Unterrichts schnell vorbei. Vor Beginn des Studiums glaubte ich deshalb, dass Philosophie die richtige Wahl sei, hatte aber auch die Physik im Auge. Allerdings waren diesbezüglich meine Grundkenntnisse äußerst karg. Ein Physikprofessor an der Universität Neapel machte mir Mut und meinte, es sei eine gute Voraussetzung, nicht verbildet zu sein und die Grundlagen an der Universität zu erwerben. Also entschied ich mich für Physik. Ich dachte, die Philosophie könne ich mir zum Teil selber anlesen. Wegen der vielen Zeit, die ich in die Physik investiere, konnte ich mich aber leider bisher nicht sehr intensiv mit Philosophie beschäftigen.

Benötigt Ihre Arbeit dennoch philosophische Ansätze oder kommt man mit Philosophie in der Quantenphysik nicht weiter?

Es gibt einige Gemeinsamkeiten. In beiden Fächern braucht es eine große Neugier und den Willen, offene Fragen zu beantworten. Es braucht eine gute Beob-achtungsgabe und die Freude an wissenschaftlichen Modellen und Theorien, ein Talent für Logik und Abstraktion, ein gutes Gedächtnis, Intuition, Kommunikationsfähigkeit, Fantasie, Kreativität und Geduld. Geduld ist leider nicht meine große Stärke.

Sie sind Experimentalphysikerin und untersuchen das Verhalten von Atomen im Quantenbereich. Dabei arbeiten Sie mit ultrakalten Gasen nahe dem absoluten Temperaturnullpunkt, wo Atome sich wie Wellen verhalten. Welche Instrumente benötigt Ihre Forschungsgruppe dafür?

Wir arbeiten in unseren Laboren vor allem mit Laserlicht, dessen Wellenlängen durch verschiedene Farben wahrnehmbar sind. Es gibt zwei Herangehensweisen: Entweder wir untersuchen die natürlichen Wechselwirkungen der Atome, oder wir setzen die Atome unter Stress und beobachten, wie sie reagieren. Mit Hilfe von elek-tromagnetischen Feldern und Lasern fangen wir die Atome in einer Vakuumkammer ein und kühlen sie nahe an den absoluten Nullpunkt ab. Die ultrakalten Gase zeigen quantenmechanische Eigenschaften, ihr Verhalten kann sehr gut gesteuert werden, die störenden Parameter werden reduziert.

Ihrer Gruppe gelangen große wissenschaftliche Durchbrüche mit Erbium, einem Element der Seltenen Erden. Warum experimentierte man andernorts nicht schon früher intensiv damit?

Ferlaino bei der Verleihung des Ignaz L. Lieben-Preises 2015, überreicht vom Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Anton Zeilinger. - © Reinhard Öhner
Ferlaino bei der Verleihung des Ignaz L. Lieben-Preises 2015, überreicht vom Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Anton Zeilinger. - © Reinhard Öhner

Es gab bereits wichtige Vorarbeiten auf diesem Gebiet, u.a. vom amerikanischen Institut of Science and Technology (NIST), das bereits mit Erbium und Laserkühlung arbeitete, allerdings noch nicht mit ultrakalten Gasen. Daher fand ein reger Austausch mit Prof. Rudolf Grimm an der Universität Innsbruck statt. Man war sich einig, diese Herausforderung anzunehmen und gemeinsam die ungewisse Reise anzutreten. Wir sagten: Okay, wir probieren es! Denn dieses Element ist einerseits hochmagnetisch und kann gut gesteuert werden, andererseits weist es ein sehr komplexes und reiches Energiespektrum auf. Dadurch eröffneten sich für uns zahlreiche Möglichkeiten für weiterführende Forschungsarbeiten. Für das gelungene Experiment mit Quantengasen und magnetischem Erbium erhielten wir viel Anerkennung. Infolgedessen gründete ich meine eigene Arbeitsgruppe und bekam finanzielle Unterstützung vom FWF (Fond zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung in Österreich) und ERC (European Research Council).

Wo wird weltweit noch auf Ihrem Fachgebiet geforscht? Und gibt es zwischen den Forschungsinstituten ein Konkurrenzdenken, das abwägt zwischen offenem Austausch und Geheimhaltung?

Es gibt eine weltweite Community und einige herausragende Forschungsstellen, neben Innsbruck noch das Max Planck Institut in Garching bei München, zudem das MIT (Massachusetts Institute of Technology) sowie die Harvard University, mit der wir intensiv an gemeinsamen Projekten arbeiten. Natürlich gibt es einen harten Wettbewerb um richtungsweisende Erstpublikationen, aber allgemein herrscht in der Grundlagenforschung eine große Offenheit, es gibt zahlreiche Konferenzen, bei denen Ideen, Konzepte und Ergebnisse ausgetauscht werden. Die vielen Fragen, die beantwortet werden müssen, machen eine enge Zusammenarbeit sinnvoll, wir wollen ja den Erkenntnisgewinn vorantreiben.

Sie bekamen großartige berufliche Angebote, u.a. bot Ihnen die Universität Ulm eine Humboldt-Professur an, die höchstdotierte Wissenschaftsförderung Deutschlands, aber Sie entschieden sich für Innsbruck, wo Sie im Rahmen der Akademie der Wissenschaften am IQOQI (siehe Kasten unten, Anm.) Ihre eigene Arbeitsgruppe gründeten. War diese Wahl für Sie richtig?