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"Forschung soll keine Quoten haben"

Von Eva Stanzl

Wissen

Klement Tockner, neuer Chef des Wissenschaftsfonds, fordert von der Politik ein klares Bekenntnis zur Grundlagenforschung.


"Wiener Zeitung": Sie haben das Leibnitz Institut für Gewässerökologie in Berlin zur Spitzeneinrichtung gemacht. Was hat Sie dazu motiviert, Ihre wissenschaftliche Karriere aufzugeben, um als Präsident des Wissenschaftsfonds FWF eine wissenschaftspolitische Position anzutreten?Klement Tockner: Es ist eine neue Herausforderung. Ich finde nicht, dass ich bis zur Pension Institutsleiter sein muss. Natürlich gebe ich auch einiges auf und begebe mich auf eine unsichere Reise, auch mit persönlichen Risiken. Aber ich will einen Beitrag zur langfristigen Stärkung der Grundlagenforschung leisten und der FWF hat eine sehr integrierende Rolle, die mir wichtig ist, ein bewährtes Portfolio und ist international geachtet und angesehen.

Sie übernehmen den FWF in Zeiten von Sparbudgets. Auch der nächste Finanzrahmen sieht keine Erhöhung der öffentlichen Gelder für Grundlagenwissenschaften vor. Was sind in dieser Situation Ihre Pläne für die zentrale Förderagentur?

Eine Mangelverwaltung ist nicht zu verantworten. Es muss ein klares Bekenntnis zur Stärkung des FWF geben, um Grundlagenforschung langfristig und planungssicher zu unterstützen. Grundlagenwissenschaft schafft Erkenntnis und Erkenntnis ist die Basis für Innovation. Ein gut ausgestatteter Wissenschaftsfonds schafft Rahmenbedingungen für exzellente Forscher und sichert somit Innovation. Wenn die Strategie des FWF aber auf einer Mangelverwaltung beruht, bei der sogar die Zahl der Projekte beschränkt werden muss, gehen Innovationen verloren und die besten Leute gehen weg oder kommen erst gar nicht. Nur ein gut ausgestatteter Wissenschaftsfonds schafft Rahmenbedingungen für exzellente Forscher. Forschung soll keine Quoten haben.

Wie viel Geld benötigt der FWF Ihrer Ansicht nach zusätzlich?

Er muss sein Portfolio erhalten und zusätzliche Förderformate entwickeln. Auch müssen jene Projekte, die von Gutachtern für förderungswürdig befunden wurden, in jedem Fall gefördert werden können. Um neue Impulse zu setzen, müsste das Budget zumindest um jährliche zehn Prozent steigen, sodass nach acht Jahren mehr als eine Verdoppelung erreicht ist. Gemessen an vergleichbaren Agenturen in der Schweiz oder Deutschland ist das immer noch wenig. Dort würde aber niemand den Nationalfonds oder die Forschungsgemeinschaft in Frage stellen, obwohl sie ein proportional bis zu vier Mal höheres Budget haben. Die Basis für die Grundlagenforschung ist viel zu schmal in Österreich, aber natürlich muss die Forderung nach mehr Ressourcen sehr überzeugend begründet werden. Das Präsidium des FWF wird ein konkretes Strategiepapier erstellen, das wir nach dem Amtsantritt im September präsentieren werden, zur Weiterentwicklung der derzeitigen Programme und zur Etablierung neuer Formate.

Bundeskanzler Christian Kern bekannte sich bei seinem Amtsantritt im Nationalrat zur Forschung: Große Innovationen wie das Smartphone seien durch öffentlich finanzierte Grundlagenforschung entstanden. Er plädierte auch für eine "Vernetzung öffentlicher und privater Investitionen" und will mehr Anwendungen in innovativen Sparten sehen. Sehen Sie sich unterstützt?

Man kann große Unterstützung herauslesen. Man muss allerdings bedenken, dass die Grundlagen für Smartphones in einem anderen Kontext gelegt wurden, lange bevor sie Anwendungen in diesem Produkt fanden. Grundlagenforschung ist zweckfrei, unabhängig und qualitätsgetrieben, das lässt einen anderen Freiraum zu als die Industrie. So, wie niemand auf Kommando einen Weltroman schreibt, entstehen diese Leistungen in erster Linie aus einem kreativen Umfeld heraus. Der Erkenntnisgewinn aus der öffentlich finanzierten Grundlagenforschung ist ein Gemeingut, das allen zu Gute kommt, weil die Industrie seltener in sehr risikoreiche Bereiche investiert. Deswegen muss die öffentliche Hand eingreifen.

In Österreich schlagen sich zu wenige Forschungsergebnisse in Produkten nieder. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen der Grundlagenwissenschaft und Anwendungen?

Grundlagen und Anwendungen ergänzen und befruchten sich. Strategische Förderlinien, etwa zu zukunftsweisenden Themen von großer gesellschaftlicher Relevanz, die oft noch gar nicht Teil des öffentlichen Diskurses sind, können dabei entstehen. Damit würde mehr präventiv nach Lösungen für die großen Herausforderungen der Zukunft gesucht. Der FWF hat immense Erfahrung darin, qualitätsgetriebene Grundlagenforschung zu unterstützen - andere Agenturen sind hervorragend in industrienaher Forschung. Ich könnte mir eine strategische Förderinitiative mit gemeinsamen Programmausschreibungen vorstellen. Die Themenfindung müsste in einem Bottom-up-Prozess stattfinden, in den man die Wissenschaftsgemeinschaft, die Politik und die Zivilgesellschaft einbindet. Gute Beispiele hierfür gibt es.

Anton Zeilinger, Präsident der Akademie der Wissenschaften, erwartet sich vom neuen Bundespräsidenten "kräftige Unterstützung für die Grundlagenforschung", insbesondere den FWF. Freut Sie das?

Ich bin froh über diese Äußerung, unterstreicht sie doch die gemeinsamen Bemühungen der Unis, Förderagenturen und nicht-universitären Institute, Österreich als Forschungsstandort massiv zu stärken. Österreich hat bereits Forschungsbereiche von Weltruf - wie Quantenphysik, Lebenswissenschaften, Teile der Medizin, Demographie oder Byzantinistik - und insgesamt ein riesiges Nachwuchs-Potenzial. Was fehlt, ist das klare, uneingeschränkte Bekenntnis zu einer qualitätsgetriebenen, starken Grundlagenforschung - das muss einfach Teil einer Gesamtkultur sein.

Zur Person

Klement Tockner

(53) ist neuer Präsident des Wissenschaftsfonds FWF. Der Biologe, derzeit Direktor des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei sowie Professor für Aquatische Ökologie an der Freien Universität Berlin, tritt die Vollzeitstelle in Wien am ersten September an. Mit dem FWF übernimmt der in der Steiermark geborene Wissenschaftsmanager Österreichs zentrale und größte Förderagentur für Grundlagenforschung.