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Für Freiheit der Erkenntnis auf die Straße

Von Eva Stanzl

Wissen

In 500 Städten demonstrieren Menschen für akademische Freiheit und gegen wissenschaftsfeindliche Politik.


Wien. Weiße Labormäntel sind nicht Straßenkleidung. Doch am Samstag könnten sie in den Städten ins Auge stechen. Forscher, Lehrende, Studierende und Bürger, die die Wissenschaften unterstützen, wollen am 22. April unter dem Motto "Gemeinsam für die Wissenschaft" demonstrieren und ein Zeichen gegen Einschränkungen der akademischen Freiheit und Wissenschaftsfeindlichkeit setzen. Ausgehend von den USA, wo der zentrale "March for Science" in Washington DC stattfindet, werden Demos in 500 Städten weltweit organisiert.

In Wien startet die Kundgebung am Samstagnachmittag in der Innenstadt. Ausgangspunkt ist der Sigmund-Freud-Park vor der Votivkirche (U2 Schottentor). Von 13 bis 14 Uhr wollen Forscher ihre Arbeit mit Experimenten und Kurzvorträgen präsentieren. Danach führt der Marsch über Schottengasse und Freyung zum Stephansplatz und via zentrale wissenschaftliche Institutionen bis zum Heldenplatz Zum Abschluss erläutern Forschende im Maria-Theresien-Park zwischen den beiden Museen, warum Fakten, Argumente und Aufgeschlossenheit die Basis für Wissenschaft und Demokratie sind und als solche geachtet und verteidigt werden müssen. Das Organisationsteam will "auf aktuelle politische Veränderungen aufmerksam machen, insbesondere die bewusste Verfälschung und Verleumdung von Tatsachen zu ideologischen Zwecken", gibt es bekannt.

In den USA mobilisieren sich die Forscher wegen der offensiv agierenden Klimawandel-Skeptiker, dem Trend zu "alternativen Fakten" der Regierung Trump, Budgetkürzungen für Förderagenturen und Einreisevorboten für Wissenschafter. Doch nicht nur in den Staaten werden wissenschaftliche Erkenntnisse "ignoriert oder kleingeredet", wie "Science"-Chefredakteur Jeremy Berg schreibt. Sondern die Türkei schickt ausländische Wissenschafter nach Hause, holt ihre eigenen heim, nimmt andere unter Terror-Vorwürfen gefangen und hat die Evolutionstheorie aus den Lehrplänen gestrichen. Auch das ungarische Parlament setzt umstrittene Maßnahmen. Eine Gesetzesänderung verpflichtet ausländische Unis, neben einem Standort in Ungarn auch eine Niederlassung in ihrem Heimatland vorzuweisen. Die Maßnahme zielt auf das Ende der vom US-Milliardär George Soros gegründeten Central European University ab, die es nur in Budapest gibt.

"Die Freiheit von Wissenschaft ist notwendig zum Erhalt der Demokratie. Wenn es sie nicht mehr gibt - und wir sehen das am Beispiel Türkei -, werden die Universitäten zum verlängerten Arm eines totalitären Staats, der sie zuerst instrumentalisiert, dann funktionalisiert. Dann gibt es keine Freiheit der Erkenntnis mehr", sagte die Rektorin der Universität für Bildende Kunst, Eva Blimlinger, am Donnerstag vor Journalisten in Wien. Die Universitätenkonferenz plane ein Stipendienprogramm für Forschende, die in der Türkei verfolgt werden. Eine Finanzierung will man mit dem akademischen Austauschdienst vereinbaren.

Mehr Geld durch Prämie

Kritik am "March for Science" kam jüngst aus den eigenen Reihen. Wenn Wissenschaft Partei ergreift und als Interessensgruppe auftritt, verliere sie ihre Unschuld, betonten manche Forscher in Fachjournalen. Blimlinger spricht sich dennoch für ein starkes Auftreten der Institutionen aus. "Die wissenschaftlichen Fragestellungen bleiben gleich. Aber die Institutionen müssen dafür sorgen, dass dem so ist, indem sie sich gegen das Ansinnen, sie einzuschränken und zu verändern, wehren", sagte sie. Unterstützt wird der Marsch vom Wissenschaftsministerium und der "Allianz österreichischer Wissenschaftsorganisationen" - eine Plattform zahlreicher Forschungsinstitutionen, die für den Dialog in Fragen der Wissenschaftspolitik eintreten. Die Organisatoren wollen die Gesellschaft zur Teilnahme motivieren, denn "Wissenschaft und Gesellschaft sind nicht zu trennen", betonte Helga Nowotny, Ex-Präsidentin des Europäischen Forschungsrats. Wer immer sie betreibt, stünde im internationalen Austausch und sei untrennbar mit den Zukunftsmöglichkeiten der Gesellschaft verbunden. "Allen wesentlichen Entscheidungen, die die Zukunft betreffen, geht ein Prozess der Faktenfindung voraus. Die Wissenschaft hat Methoden entwickelt, wie Fakten beweis- und überprüfbar sind, gleichzeitig sind Fakten nicht in Stein gemeißelt", sagte Nowotny.

Die Lage in anderen Ländern lässt jene in Österreich vergleichsweise erfreulich erscheinen, auch zumal dank der Anhebung der Forschungsprämie (ab 2016 von 10 auf 12 Prozent) die Forschungsausgaben gestiegen sind. Laut Statistik Austria werden sie 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 3,8 Prozent wachsen und geschätzte 11,33 Milliarden Euro betragen. Die Forschungsquote, also die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung gemessen am Bruttoinlandsprodukt, steigt damit von 3,12 auf 3,14 Prozent.

Damit liegt Österreich über dem europäischen Zielwert für 2020 von 3 Prozent, aber unter dem selbst gesteckten Ziel der Bundesregierung von 3,76 Prozent für 2020. 5,46 Milliarden Euro oder 48,2 Prozent der Forschungsausgaben werden von Unternehmen aufgewendet, 4,08 Milliarden Euro vom öffentlichen Sektor.