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Millionenschwere Geistesblitze

Von Eva Stanzl

Wissen

Jean-Pierre Bourguignon vom Europäischen Forschungsrat will mehr Mittel für EU-Spitzenforschung: "Wenn die Leute mit den besten Ideen das Gefühl haben, es ist eine Lotterie, bei uns eine Förderung zu bekommen, bewerben sie sich nicht."


Seit 2007 vergibt der Europäische Forschungsrat (ERC) Förderungen von je bis zu 2,5 Millionen Euro an exzellente Wissenschafter. Die bisher 7000 Förderungen haben Europa in der internationalen Spitzenforschung verankert, hieß es bei einer Feier zum zehnjährigen Bestehen des ERC am Mittwochnachmittag in Wien. Bisher wurden 12 Milliarden Euro vergeben, davon 335 Millionen nach Österreich. ERC-Präsident Jean-Pierre Bourguignon, der mit Hinblick auf die Ratspräsidentschaft 2018 in Wien feierte, will die Bewilligungsraten steigern und wünscht sich dafür mehr Geld, sagt er im Interview mit der "Wiener Zeitung".

"Wiener Zeitung": Österreich liegt mit 189 ERC-geförderten Forschern an elfter Stelle, das Vereinigte Königreich, Deutschland und Frankreich führen. Was macht ein Land erfolgreich in der Spitzenforschung?Jean-Pierre Bourguignon: Ganz wichtig ist die Flexibilität der Institutionen - also die Fähigkeit, zu verstehen, was von Top-Forschern verlangt wird. Ich möchte keine Länder anprangern, aber wenn Universitätsprofessoren 80 Prozent ihrer Zeit unterrichten müssen, bleibt nicht viel Zeit für Top-Forschung. Manche Wissenschafter können sich nur freispielen, wenn sie einen Teil ihrer Fördergelder an die Uni übertragen, damit diese Ersatz in der Lehre finden kann. Separate Strukturen für Lehre und Forschung, die unabhängig von einander laufen, sind eine gute Idee, damit Raum für neue Initiativen entstehen kann. Und Universitäten müssen in der Lage sein, für ERC-geförderte Wissenschafter und Forschungsgruppen Räume und Infrastruktur bereitzustellen. Länder mit flexibel organisierten Institutionen können Top-Leute leichter anlocken, solche mit weniger gut finanzierten Hochschulen tun sich schwerer. Forscher, die die gesamte Administration für ihren ERC Grant alleine durchführen müssen, bewerben sich unter Umständen nicht, weil sie fürchten, in Verwaltungsaufgaben unterzugehen.

Wie gut sind Österreichs Institutionen an den ERC angepasst?

Sie machen das gut. Einerseits gibt es große, wohl organisierte Institutionen: Derzeit gehen in Österreich zwei Drittel der ERC-Grants an die Universität Wien, die Akademie der Wissenschaften und das Institute of Science and Technology Austria. Doch auch kleinere Hochschulen, etwa in Linz, Graz oder Innsbruck, sind sehr gut. Sie sollten noch besser unterstützt werden, um die Leute auf den ERC vorzubereiten.

Wie kann verhindert werden, dass mit dem prestigeträchtigen Preis Personalpolitik betrieben wird?

Das Problem ist nicht, dass mit dem ERC Personalpolitik betrieben wird - fähige Leute zu nehmen ist ja äußerst positiv. Aber wenn man mit dem ERC nur Personalpolitik macht, geht es in die falsche Richtung. Der Hintergrund für solche Praktiken sind vor allem dramatische Budget-Kürzungen an Universitäten. Wenn lange keine Professorenstellen ausgeschrieben werden und alle jungen, guten Forscher mangels Aufstiegschancen das Land verlassen, kann der ERC zum Kriterium für neue Positionen werden. Solche Mechanismen sind falsch.



Was wollen Sie in den nächsten zehn Jahren erreichen?

Alle Forscher, die vom ERC unterstützt werden, sind sehr gute Leute, die völlig neue Ideen mit hohem Risiko haben. Es gibt aber auch gute Leute, die nicht vom ERC gefördert werden, entweder, weil sie sich nicht bewerben, oder weil unsere Bewilligungsquote zu niedrig ist. Wir liegen bei zehn Prozent und diese Erfolgsrate ist zu gering. Viele exzellente Projekte müssen abgelehnt werden, weil wir nicht genug Geld haben. Um etwa 15 Prozent der Anträge bewilligen zu können, wäre eine Aufstockung der jährlichen Mittel in Richtung vier Milliarden Euro nötig. Denn wenn die Leute mit den besten Ideen das Gefühl haben, es ist eine Lotterie bei uns, dann kommen sie nicht.

23 Prozent der ERC-Grants gehen an Großbritannien, das im Falle eines harten Brexit nicht mehr an dem Förderprogramm teilnehmen können wird. Es könnte sein, dass die EU-Mitgliedsstaaten ab 2020 weniger zahlen wollen, weil ohne Briten weniger benötigt wird. Wie könnte man das verhindern?

Das ist ein politischer Prozess, den der ERC nicht mitbestimmt und den ich so nicht kommentieren kann - die Frage ist jedoch, ob Großbritannien Interesse hat, ein assoziiertes Land des 9. Europäischen Forschungsrahmenprogramms ab 2021 zu sein. Israel, die Schweiz oder Norwegen profitieren als Nicht-EU-Mitglieder. Sie zahlen ein und können Anträge einreichen, aber keine Beschlüsse zur Programmgestaltung vornehmen. Der Beitrag der Wissenschafter in Großbritannien ist so evident, dass ein Ende der derzeit sehr intensiven Zusammenarbeit für niemanden gut wäre. Etwa die Hälfte der dortigen ERC-Grantees sind keine Briten. Wenn man ihnen das Leben mit allerlei Aufenthaltsgenehmigungen schwer macht, werden sie mit ihrem Geld wo anders hingehen.

Welche Forschungstrends erwarten Sie in den nächsten zehn Jahren?

Die wissenschaftliche Landschaft wird sich ändern und der ERC muss dem Bedarf begegnen. EU-Programme müssen die Entwicklungen in zehn Jahren antizipieren: Was wir heute für 2021 bis 2028 festschreiben, muss dann benötigt werden. Pluridisziplinarität wird ganz wichtig. Zu unseren Interessen zählt künftig nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Synergien zu fördern, also Leute mit verschiedenen Kompetenzen, die gemeinsam an bedeutenden Zielen arbeiten. Etwa wird derzeit bereits in einem Krankenhaus in London die Entwicklung der Gehirn-Verbindungen vom Fötus bis zum Kind an 1500 Probanden untersucht. Wir wollen pro Jahr 30 bis 50 derartige Projekte fördern.

Zur Person

Jean-Pierre

Bourguignon

geboren am 21. Juli 1947 in Lyon, ist Präsident des Europäischen Forschungsrats (ERC), der Pionierforschung nach Qualitätskriterien fördert und von Wissenschaftern geleitet wird. Als Mathematiker spezialisiert sich Bourguignon auf Differentialgeometrie in der mathematischen Physik. ERC