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Statt Traubenzucker das ganze Menü

Von Eva Stanzl

Wissen

Klement Tockner präsidiert über den Wissenschaftsfonds (FWF) - Österreichs größte Förderagentur für Grundlagenforschung. Er fordert einen Energieschub für Wissenschaft: Nur langfristig angelegte Investitionen können den Standort sichern.


"Wiener Zeitung": Mit 3,14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts investiert Österreich nach Schweden mehr als alle anderen EU-Länder in Forschung. Während Top-Innovatoren wie die Schweiz aber knapp ein Drittel dieser Mittel in die Grundlagenwissenschaft stecken, ist es in Österreich weniger als ein Fünftel. Die Allianz österreichischer Wissenschaftsorganisationen, der Sie vorsitzen, fordert ein klares Bekenntnis zur Spitzenforschung mit mehrjähriger Planungssicherheit für Förderagenturen und Forschungseinrichtungen bei wachsenden Budgets. Erhalten Sie aus den Koalitionsverhandlungen die erhofften Signale?Klement Tockner: Ich denke, ein Bündnis für Spitzenforschung ist geplant, da notwendig. Derzeit ist Österreich nämlich ein Exportland für Wissenschafterinnen und Wissenschafter: Es verlassen drei Mal so viele Forschende unser Land wie wir umgekehrt in der Lage sind, anzuziehen. Wir verlieren zu viele exzellente Leute, die dann andere Innovationsstandorte stärken. Zudem haben wir hierzulande zu wenige Top-Forschungsgruppen. Damit der Standort stabil bleibt und gedeihen kann, müssen wir die Spitzen verbreitern - so wie der Breitensport dazu beiträgt, den Spitzensport zu fördern, und der Spitzensport den Breitensport stimuliert. Ich denke, die Verantwortlichen in den Koalitionsverhandlungen wissen genau, dass etwas getan werden muss, damit Österreich eines der attraktivsten Länder in Europa für Forschung, Innovation und Ausbildung wird und bleibt. Zwar dringt aus den Verhandlungsräumen kaum etwas nach außen. Aber was die Stärkung der Grundlagenforschung und des Wissenschaftsfonds FWF betrifft, herrscht Konsens.

Wie sieht dieser Konsens aus?

Die Allianz österreichischer Wissenschaftsorganisationen ist eine Plattform für den Dialog zur Wissenschaftspolitik. Wir haben Fragen an die Verhandlungspartner geschickt und uns wurde klar signalisiert, dass die Balance zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung, sowie jene zwischen Import und Export - also zwischen Verlieren und Gewinnen von Leuten - verbessert werden soll. Österreich muss in der Lage sein, die besten Leute anzuziehen und sie zu halten. Die Politik - insbesondere die neue Bundesregierung - muss neue Wege, eine Profilbildung und eine gesellschaftlich relevante Schwerpunktsetzung in der Grundlagenforschung unterstützen. Ganz wesentlich ist auch eine einheitliche Regelung zu Overheads (Kosten für Infrastruktur, die für Forschungsprojekte benötigt werden. Derzeit müssen diese die Unis bezahlen, weil der FWF nur für die Gehälter der Forscher aufkommen kann, Anm.). Es ist unverantwortlich, dass EU-Fördergeber oder die Forschungsförderungsgesellschaft FFG Overheads bezahlen können, der FWF jedoch nicht. Für manche Institutionen sind wir dadurch ein unattraktiver Fördergeber, weil sie mehr drauflegen müssen als bei anderen.

Welche konkreten Signale erhalten Sie, dass die Grundlagenforschung künftig gestärkt werden soll?

Längerfristig ist eine Verdoppelung des FWF-Grundbudgets erforderlich: Das war eine der Antworten auf unsere Fragen an die Parteien und ich vertraue den Akteuren absolut, dass sie ihre Versprechen umsetzen werden. Heuer geben wir 190 Millionen Euro an Forschende in Österreich: FWF-Finanzierungen machen somit 1,7 Prozent der heimischen Forschungsausgaben aus, obwohl 20 Prozent aller unserer Zitationen auf Publikationen zurückgehen, die von uns unterstützt wurden. Schon die vorherige Regierung hatte im ersten Schritt eine Erhöhung auf 290 Millionen pro Jahr versprochen. Zudem benötigen wir weitere 70 Millionen, damit wir künftig wie andere Agenturen auch 25 Prozent der Overhead-Kosten zahlen können. Um aber wirklich große Schritte zu machen, müssten 100 bis 150 Millionen Euro pro Jahr für ein ambitioniertes Exzellenzprogramm aufgebracht werden.

Im österreichischen Positionspapier zum 9. EU-Rahmenprogramm für Forschungsförderung ist die Grundlagenforschung kaum erwähnt. Wie interpretieren Sie dieses Signal?

Der Europäische Forschungsrat (ERC, der exzellente Grundlagenforscher fördert, Anm.) ist unbestreitbar eine Erfolgsgeschichte. Allerdings funktioniert die Spitzenförderung der EU am besten, wenn man zugleich nationale Programme stärkt. Das Förderportfolio muss komplementär sein.

Besonders die Briten haben sich für die Exzellenzförderung starkgemacht. Welche Gefahren sehen Sie für den ERC durch den Brexit?

Der Ausstieg von Großbritannien ist eine Katastrophe, denn gerade dort ist Exzellenz ein Anspruch. Das sehen wir auch an britischen Universitäten, die global reüssieren. Man hat massiv in Exzellenz investiert, sie ist dort eine Selbstverständlichkeit. Auch wir müssen diesen Anspruch erheben. Die Entwicklungen in Deutschland, Schweden, der Schweiz oder China, Singapur und Hongkong sind viel dynamischer als in Österreich. Wir können uns mit ihnen nicht messen, wenn wir nur den Status quo beibehalten. Ein Exzellenzprogramm würde Österreich sichtbarer und attraktiver machen. Ich bin davon überzeugt, dass die neue Regierung nun die wirklich dicken Bretter bohrt.

Und wie erklären Sie es, dass man aus den Koalitionsverhandlungen kaum über Wissenschaft hört?

Ich will nicht spekulieren, ob das Professionalität ist, damit Ideen nicht sterben, bevor sie ausgearbeitet sind. Aber wir haben die Zahlen geliefert und die Verhandlungspartner kennen die Argumente: Es geht nun darum, den großen Schritt zu wagen. Ich bin optimistisch, dass sie das tun werden, anstatt mit der Gießkanne weiterzugehen. Viele der kleinen Maßnahmen, die immer wieder gesetzt werden, sind nämlich wie Traubenzucker. Man hat zwar einen schnellen Effekt, aber man kann kein System dauerhaft nur von Traubenzucker ernähren.