Washington/Wien. (gral) Im Frühling erwacht die nördliche Hemisphäre zum Leben. Die Triebspitzen der Gewächse beginnen zu sprießen und es ist jene Zeit des Jahres, in der die Vögel lautstark ihren Gesang anstimmen. Weit oben im Nordpolarmeer hingegen wird es ruhig im anbrechenden Frühjahr. Die viel weniger bekannte Konzertsaison der Grönlandwale neigt sich dem Ende zu. Wie besonders vielfältig ihr Repertoire ist, haben nun Wissenschafter der University of Washington herausgefunden.
Die Ozeanforscherin Kate Stafford vom Applied Physics Laboratory hatte im Rahmen mehrerer Studien Gesänge der Wale mit Unterwassermikrofonen aufgezeichnet und gehofft, ein paar verschiedene Klänge wahrzunehmen. Doch "als wir es hörten, waren wir erstaunt: Grönlandwale singen sehr laut, 24 Stunden am Tag, von November bis April. Und sie singen viele, viele unterschiedliche Lieder", berichtet die Forscherin im Fachblatt "Biology Letters".
Die einzigen Wale mit ähnlich aufwendigem Gesang sind die Buckelwale, die in ihren Brutgebieten nahe Hawaii und Mexiko beobachtet werden. "Doch wenn die Lieder der Buckelwale mit klassischer Musik beschrieben werden können, so sind Grönlandwale die Jazzer", skizziert Stafford. Freeform Jazz, um genau zu sein.
Notwendigkeit im Alltag
Die Aufnahmen stammen von vier Wintersaisonen. Und darunter finden sich keinerlei Wiederholungen zwischen den Jahren. Im Gegenteil: "Jede Saison hat ihre eigene Setlist an Liedern", heißt es in der Studie.
Viele Vögel und Säugetiere nutzen Gesänge, um sich etwa als gruppenzugehörig zu erkennen geben zu können. Für Meeressäugetiere gehört die Akustik zur absoluten Notwendigkeit im Alltag. In ihrem dreidimensionalen Lebensraum unter Wasser benötigen sie die Geräusche, um zu navigieren, Futter zu finden und mit Artgenossen zu kommunizieren. Doch warum sie ihren Gesang so häufig verändern, bleibt nach wie vor ein großes Rätsel.
Jetzt sollen einzelne Tiere mit Sensoren an ihren Körpern ausgestattet werden, um möglicherweise eines Tages klären zu können, wie sich die Grönlandwale zu solch vielseitigen Virtuosen entwickeln konnten. "Sie sind das Superlativ unter den Tieren: Sie können bis zu 200 Jahre alt werden, haben die dickste Fettschicht aller Wale, die längsten Barten und können Eis durchbrechen. Auch für den bemerkenswerten Gesang muss es einen Grund geben", betont Stafford.