Mit der Historiographie des Februaraufstandes ist das so eine Sache. Viele denken, das Thema wäre omnipräsent, ausgeforscht, es gäbe eine Unmenge an Fachliteratur dazu, jeder Aspekt, jedes Detail wäre hundert Mal gewendet und von allen Seiten beleuchtet.

Das Gegenteil ist wahr. Wer sich als Historiker näher damit befasst, stellt bald fest, dass - in der Regel zu runden Jahrestagen - viel heiße Luft in Form von Gedenkbroschüren und Heldenlegenden produziert wurde. Seriöse, neutrale (das heißt nicht primär parteipolitisch motivierte) Studien sind hingegen Mangelware, ein wissenschaftliches Standardwerk fehlt überhaupt.

Zwei Lagermythen

Wer die durch und durch politisierte und ideologisch polarisierte österreichische Zeitgeschichteszene näher kennt, weiß auch warum. Offensichtlich wollte sich niemand an dem heiklen Thema die Finger verbrennen, deswegen gar seine Karriere aufs Spiel setzen. Bürgerliche, liberal und konservativ eingestellte Historiker überließen die Angelegenheit liebend gerne der hegemonialen linken, sozialdemokratischen und kommunistischen Kollegenschaft.

Aber auch auf dieser Seite fand sich kaum jemand, der bereit gewesen wäre, allzu tief zu schürfen. Es wären dabei - so viel ließ sich schon bei oberflächlichem Studium der Quellen feststellen - notwendigerweise Tatsachen ans Licht gekommen, die dem liebevoll gepflegten Mythos von den opfermutigen Februarkämpfern fundamental zuwidergelaufen wären.

Die politische Erinnerungskultur der Zweiten Republik wurde und wird nämlich von zwei mächtigen Lagermythen beherrscht, die jeweils direkt auf die beiden Hauptereignisse des Unglücksjahres 1934 Bezug nehmen. Freilich, der christlichsozial-konservative Dollfuß-Mythos ("erstes Opfer Hitlers") ist am Verblassen. Sogar das umstrittene Dollfuß-Bild im ÖVP-Klub wurde unlängst ins Museum verfrachtet. Anders verhält es sich mit dem Februarmythos der Sozialdemokraten, der nach wie vor hoch im Kurs steht. Seine Kernaussage in einfachen Worten: Die österreichischen Arbeiter waren die Ersten in Europa, die im Februar 1934 dem Faschismus bewaffnet Widerstand leisteten. Ohne ihren heldenhaften Opfergang wäre die Wiedergeburt Österreichs im Jahr 1945 nicht möglich gewesen.

Kennzeichnend für derartige politische Mythen ist, dass sie zwar prinzipiell auf historischen Fakten und Ereignissen aufbauen, aber im ständigen Wieder- und Weitererzählen ihre eigene Wirklichkeit entwickeln, bis sie schließlich mit den quellenmäßig überlieferten tatsächlichen Vorgängen kaum noch in Übereinstimmung zu bringen sind. Im Fall des Februaraufstandes wirkt zudem bis heute die propagandistisch motivierte, völlig überhitzte Mythenproduktion der 1930er Jahre nach.