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Uncle Sam und die Friedenskonferenz 1919

Von Kurt Bednar

Wissen
Die Wilsonstraße in Klagenfurt erinnert an den 28. Präsidenten der USA.
© Archiv

Die Rolle der USA bei der Veranstaltung in Paris und ihre Bedeutung für Österreich. Ein historischer Rückblick.


Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs im November 1918 versammelten sich die Siegermächte, zu denen nun auch Teile der ehemaligen Habsburgermonarchie zählten, in Paris. Dort begann im Jänner 1919, was Friedensverhandlungen hätten werden sollen. Amerika hatte die Entscheidung im Krieg gebracht und beanspruchte daher die Führung, die Präsident Wilson selbst wahrnehmen wollte. Dabei dachte er seine 14 Punkte vom 8. Jänner 1918 durchzubringen, insbesondere aber den Völkerbund.

Der Präsident der neuen Weltmacht USA hatte versucht, sich auf Paris gut vorzubereiten. Sein Thinktank "Inquiry" hatte seit Herbst 1917 eine Unzahl von Memoranden (nicht nur) zu Europa verfasst; Walter Lippmann, einer seiner Gründer, hatte sogar an den vierzehn Punkten wesentlich mitgewirkt. Zwar waren nicht alle Autoren tatsächlich Fachleute auf dem Gebiet, über das sie schrieben, und nicht alle wussten um den Unterschied zwischen Propaganda und Expertise, doch mehr als anderen zollte die Welt den Geografen aus Übersee Respekt - wegen der großartigen Kartenwerke, die sie nach Paris mitbrachten.

Leider hielt sich die Konferenz oft nicht an die dort gezeichneten Grenzen, wofür Südtirol das beste Beispiel abgab. Mitglieder der "Inquiry" (darunter Ellen Churchill Semple, eine Schülerin des deutschen Erdkundlers Friedrich Ritzel) skizzierten mehrere Varianten abseits der von Italien unter Hinweis auf den Londoner Vertrag von April 1915 stur verlangten Brenner-Grenze, um Punkt neun Wilsons gerechter zu werden, nämlich die Grenze Italiens entlang nationaler, also sprachlicher Linien abzustecken. Niemandem fiel auf, dass Triest, auch ein Beutestück der Irredenta, nicht zu Italien "zurückkehren" konnte, weil es vorher nie dazugehört hatte.

Neues Österreich

Jetzt aber herrschte Echtbetrieb in Paris, denn die "Inquiry" war doch nur eine Schreibtischtruppe (an ihrem Höhepunkt an die 150 Leute stark, durften nur 23 nach Paris mit), und nun waren Tatsachen verlangt. Wilsons vorschneller militärischer Sieg ließ allzu rasch europäischen Hochmut aufkommen.

Da das Vertrauen Amerikas schon dadurch gekennzeichnet war, dass man bis zum Ende nur assoziierte Macht bleiben und dem gemeinsamen Oberbefehl Europas nicht zustimmen wollte, installierte man von Paris aus regionale Spezialeinheiten, die vor Ort Informationen aus erster Hand einholen sollten. Denn diplomatische Beziehungen bestanden seit vielen Monaten nicht mehr; deutsche Österreicher in den USA standen als "enemy aliens" zumindest unter strenger Beobachtung, dafür war der Wissensstand in Amerika von Einflüsterungen vor allem slawischer Exilanten durchsetzt.

Ein leider hervorragendes Beispiel war das Machwerk des Leiters der Nahost-Abteilung im State Department, Albert Putney, vom 9. Mai 1918. Die 236 Seiten gaben schlicht wieder, was tschechische und französische Propagandisten über die Slawen in der Monarchie zu wissen behaupteten.

Der Exil-Tscheche und Anwalt Karel Pergler, jetzt auch Sekretär des künftigen Staatspräsidenten Tomá Masaryk auf seiner Triumphfahrt durch das böhmische Amerika, diente erwiesenermaßen als wichtigster Souffleur. Das Konvolut bestimmte Präsident Wilson zum Schwenk vom Fortbestand zum Zerfall Österreichs. Der Gipfel, zu dem Wilson Masaryk am 19. Juni 1918 ins Weiße Haus lud, musste gar nicht viel nachhelfen und diente dem US-Präsidenten eher dazu, Informationen über Russland zu erhalten, wo sich Masaryk viele Monate vorher bei seinen "Legionen", also Truppen aus Überläufern und Kriegsgefangenen, aufgehalten hatte. Im Herbst 1918 anerkannten die USA einen Staat Tschechoslowakei, am 28. Oktober riefen die Tschechen in Prag selbst ihre Republik aus. In Paris saßen sie als Sieger am Tisch, wenn auch in der zweiten Reihe.

Das neue Österreich sah Paris erst im Mai 1919, lange nach dem berüchtigten Auftritt von Edvard Bene am 5. Februar, als der neben allen anderen Forderungen auch für einen Korridor zwischen Österreich und Ungarn eintrat, eine Landbrücke zwischen nördlichen und südlichen Slawen, denn Böhmen lag bekanntlich immer schon am Meer . . . Quasi stattdessen entstand aus Deutsch-Westungarn das Burgenland, eine durchaus seltsame Entscheidung in Paris, deren Umsetzung sich bis 1921 hinzog.

Bene , der Außenminister der eben erst geborenen Tschechoslowakei, war ein kongenialer Partner Masaryks im Exil gewesen und hatte die Franzosen, nicht nur weil er fließend ihre Sprache konnte, voll auf seine Seite gezogen. Paris machte Bene die Mauer, wenn es um die territorialen Begehrlichkeiten des Verbündeten in Prag ging. Als Washingtondaher einen Harvard-Professor zum "Fact Finding" nach Wien entsandte, sollte sich eigentlich Österreichs Chance erhöhen, dennoch gehört zu werden.

Volksabstimmung

Der US-Diplomat Archibald Coolidge und sein Team, im Wiener Bristol eingemietet, schwärmten nun in alle Teile der ehemaligen Monarchie aus und berichteten: die Agents an Coolidge, dann Coolidge nach Paris. So kamen Empfehlungen zustande, die Südtirol nicht an Italien oder Südböhmen und Südmähren an Ober- und Niederösterreich angeschlossen sehen wollten.

Beide dennoch vorgenommenen Verschiebungen, die streng genommen den Wilsonschen Punkten kräftig widersprachen, wurden durchgezogen. So verblieben den Amerikanern nur zwei Gegenden, in denen man Ideen einbringen konnte. Als sich ein Viererteam (die nach seinem Leiter genannte Miles-Mission) von Wien aus nach dem Süden auf den Weg machte, befand sich Robert Kerner unter ihnen. Dieser exil-tschechische Historiker konnte als Einziger von sich behaupten, slawische Sprachen sprechen und verstehen zu können.

Als er mit der örtlichen Bevölkerung, hauptsächlich Slowenen, ins Gespräch kam, konnte er zumindest behaupten, aus diesen Unterredungen den Eindruck gewonnen zu haben, dass die Leute nicht bei Österreich bleiben, sondern zum neuen Staat Jugoslawien gehören wollten. Coolidge erhielt einen Bericht, mehrheitlich im Sinne Österreichs, mit Kerners Haltung für Jugoslawien, und leitete das Papier dem US-Team nach Paris weiter, mit positivem Kommentar versehen, obwohl Kerner ein Schüler von ihm war, doch von angegriffener Reputation wegen offener Parteilichkeit. Kerner hatte schon viel für die "Inquiry" geschrieben und dabei seine Haltung erkennen lassen. Paris entschied sich dank Wilson für eine Volksabstimmung, und Klagenfurt hat daher sowohl eine Wilsonstraße als auch einen Coolidgeweg.

Im Unterschied zu Kärnten ließ sich die Steiermark, als es darauf ankam, auf eine Auseinandersetzung gar nicht erst ein, mangels Abwehrwillen vor Ort (Fatalismus) und dank konsequent ablehnender Haltung der Wiener Zentralstellen gegen einen bewaffneten Widerstand. Darüber hinaus war Kärnten nicht auf Lebensmittelzufuhren angewiesen und somit weniger erpressbar; die Steirer waren untereinander uneinig, die steirischen Slowenen, seit Sommer 1918 bereits mit einer Art Schattenverwaltung, desinteressiert, bei Österreich zu bleiben.

Und ähnlich wie in Böhmen und Mähren schufen die neuen Herren in der Untersteiermark rasch klare Verhältnisse, auch militärisch. Der 1. November 1918 läutete die Stunde des Rudolf Maister ein, denn an diesem Tag wollte der deutsche Stadtkommandant von Marburg die Kontrolle der Stadt übernehmen. Maisters "Kraftakt" bestand schlicht darin, dessen Vortrag zu unterbrechen, die Macht in Stadt und Land für den neuen Staat zu übernehmen und den anderen Sitzungsteilnehmern quasi die Schneid abzukaufen.

Ende November hatte Maister genug eigene Leute beisammen, um die überwiegend deutsche Volkswehr über Nacht zu entwaffnen. Zugleich tauschten die neuen Machthaber das staatliche Personal aus. Mit 1. Dezember war an der Zugehörigkeit zu Jugoslawien nicht mehr zu rütteln. Mitte Jänner 1919 verhandelten die Amerikaner mit dem slowenischen Anwalt Janko Brejc nur noch über die Öffnung der Bahnlinie Wien-Triest.

Trotzdem verbargen die Slowenen ihre Enttäuschung über das Verhalten der Amerikaner nicht. In Laibach hatten sie ihnen brav zugehört, am nächsten Tag in Graz offerierten sie sich überraschend als Schiedsrichter im Grenzstreit. Die Slowenen witterten Verrat.

"Blutsonntag"

Coolidge gestand gegenüber Paris ein, sein Mandat im Interesse der Friedenssicherung überschritten zu haben. Mangels Widerspruch aus Paris machten die Amerikaner weiter, zum Verdruss der Slowenen. Beim sogenannten "Blutsonntag" zu Marburg (am 27. Jänner 1919 schossen Slowenen - mit tödlichen Folgen - in eine deutsche Menge) waren die erneut angereisten fremden Besucher aus Wien übrigens nicht direkte Augenzeugen. Als die Steirer verlangten, Marburg durch die Entente besetzen zu lassen, bagatellisierte Coolidge den Vorfall, wissend um die Unmöglichkeit, dieses Ansinnen zu erfüllen.

Nach Versailles, wo im Juni 1919 der Vertrag mit den Deutschen abgeschlossen wurde, ging es um den Vertrag von St. Germain, der im September 1919 von Österreich (seit der Gründung der Republik im Vorjahr zunächst Deutsch-Österreich genannt) unterschrieben wurde. Vorher hatten sich die Amerikaner zurückgezogen, denn der Völkerbund, für Wilson unverzichtbarer Teil der Verträge, war zu Hause im Senat nicht durchzubringen, und zu Anpassungen war der Präsident nicht bereit.

Doch die Volksabstimmung in Kärnten, an der Wilson Anteil hatte, blieb. In der Untersteiermark hingegen waren die Slowenen nun bestrebt, eine Volksabstimmung zu verhindern. So verbuchte Wien nur den Verbleib von Radkersburg als Erfolg, offenbar doch auch mit amerikanischer Hilfe. Das kam so: Über Gebietsfragen setzte Paris Unterkommissionen ein, an denen jeder Sieger mitwirken konnte. Anfang Mai vollzog sich beim US-Team eine Art Wachablöse, Coolidge wurde in alle einschlägigen Kommissionen kooptiert, darunter am 22. Juni auch in das für die Beantwortung der österreichischen Gegenvorschläge zuständige Gremium.

Der Amerikaner lenkte nun seine Aufmerksamkeit auf ein anderes Territorium, eben die Untersteiermark. Die Autoren und Herausgeber seiner Briefe beriefen sich später auf Radkersburg, das in letzter Minute durch seine Initiative Österreich erhalten blieb. Eine nach Coolidge benannte Straße im Ort steht allerdings aus.

Kurt Bednar, Historiker, Wien; zuletzt erschienen: Papierkrieg. Die Auseinandersetzung zwischen Washington und Wien 1917/18, Studienverlag, 2017.