Brasilien, am 29. Mai 1919: Der Schatten des Mondes rast auf die Stadt Sobral zu, 100 km von der Atlantikküste entfernt. Am Rennplatz des örtlichen Jockey-Clubs haben zwei Briten eine hölzerne Hütte errichtet. Sie soll die beiden mitgebrachten, waagrecht ausgerichteten Teleskope vor der Hitze schützen. Scharf gestellt hat man sie nachts am hellen Stern Arktur: Das 33-cm-Objektiv des größeren Fernrohrs wird auf 20 cm abgeblendet, um die Abbildung zu verbessern. Die Linse des kleineren Teleskops misst 10 cm.
Während sich der Mond vor die Sonne schiebt, spielt diese Katz und Maus mit den Astronomen. Meist steckt sie hinter Wolken. Die Temperaturen fallen, Vögel verstummen. Düster-fahles Licht legt sich über die Stadt. Eine Minute vor der totalen Phase reißt eine weite Wolkenlücke auf. Der letzte Sonnenstrahl verschwindet hinter dem Mondrand, der Tag wird zur Nacht. Der Himmel kleidet sich in dunkelstes Schwarzblau. Sterne treten hervor. Astronomen des brasilianischen Nationalobservatoriums studieren die Korona - das ist die unverdeckt gebliebene, dünne Sonnenatmosphäre.
Nicht so die Briten: Sie wollen lieber Sternchen nahe der verfinsterten Sonne festhalten. Die sind reichlich vorhanden, weil das Gestirn aus irdischer Perspektive gerade am ferneren Sternhaufen der Hyaden vorbeizieht. Zwei große Planspiegel, von Uhrwerken angetrieben, lenken das Licht in die Teleskope.
Gekrümmte Raumzeit
An deren hinterem Ende montieren die Männer Fotoplatte um Fotoplatte. Das Metronom erinnert sie daran, wie rasch die kostbaren Sekunden verfliegen. Nach fünf Minuten schießt wieder der erste Sonnenstrahl am Mondrand hervor und beendet die totale Phase der Finsternis. Der Mondschatten eilt mit Siebenmeilenstiefeln über den Atlantik weiter und erreicht zwei Stunden später ein kleines portugiesisches Eiland. Es liegt vor der Westküste Afrikas im Golf von Guinea und wurde 1502 Principe getauft; zu Ehren des portugiesischen Prinzen. Sklavenarbeit machte es im 19. Jahrhundert zum weltgrößten Kakaoproduzenten.
Auf einer Kakao-Plantage in Sundy, einer Siedlung im Nordwesten der Insel, haben zwei weitere englische Astronomen ihr Quartier aufgeschlagen. Sie arbeiten bloß mit einem einzigen Fernrohr, dem Zwillingsbruder des großen Sobral-Teleskops. 16 Aufnahmen gelingen in seinem Fokus. Vom Naturschauspiel selbst nimmt der Astrophysiker Arthur Eddington wenig wahr; er ist viel zu sehr mit dem Plattenwechseln beschäftigt. Wolkenschleier sorgen für gleichbleibende Temperaturen, trüben aber das Bild.