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150 Jahre Staatsoper: Bühne der Stimmgiganten

Von Markus Vorzellner

Wissen
Einst und jetzt: Collage "150 Jahre Opernhaus am Ring".
© © Wiener Staatsoper

Das Wiener Haus am Ring, eines der wichtigsten Opernhäuser der Welt, wurde am 25. Mai 1869 eröffnet.


"Die Oper brennt - aus dem Bühnenhaus schlagen die Flammen heraus. Es beginnt dunkel zu werden, die Brände treten heller hervor. Das Feuer hat jetzt die Räume des ersten Stockes in der Kärntner Straße erfaßt. Hinter den noblen Renaissance-Formen der Fenster schimmerte es rot, die Silhouetten der Feuerwehrleute, die von den Fenstern aus den Brand zu bekämpfen suchen, heben sich schwarz dagegen ab. Alles kommt mir unwirklich und ‚opernhaft‘ vor, das Feuer erscheint mir wie ein Theaterbrand in einer großen Schauoper (. . .)! Neue Rauchschwaden brennen in den Augen, wir müssen immer wieder husten."

Der Diplomat Josef Schöner überliefert diese Bilder des am 12. März 1945 von der US-Luftwaffe verursachten Infernos in seinem "Wiener Tagebuch 1944/1945". Der Luftangriff wird unter bestimmten ideologischen Prämissen noch immer als Zufall apostrophiert, hätte der Befehl doch gelautet, die Raffinerie in Floridsdorf zu treffen. Doch wird heute dem Ansatz Raum gegeben, dass das Prinzip konsequenter Zerstörung der historischen Bausubstanz denselben Stellenwert hatte wie die Destruktion militärischer Ziele innerhalb des besiegten Dritten Reiches.

Spreng- und Brandbomben trafen den nördlichen Teil der Wiener Staatsoper mit dem gesamten Bühnen- und Zuschauerraum. Nur die südliche, dem Ring zugewandte Vorderfront, das dahinter liegende Schwindfoyer und die Feststiege blieben relativ unversehrt.

Diese Episode (2015, zum 60-jährigen Jubiläum der Wiedereröffnung, im Gustav Mahler-Saal behandelt) stellt einen wesentlichen Aspekt der gegenwärtigen Ausstellung "150 Jahre Staatsoper" dar.

Anbindung an Tradition

Der Wiederaufbau der Oper ließ jenen Phoenix aus der Asche erstehen, den manch seinerzeitiger Modernisierer allzu gerne in das Dunkel der Geschichte zurückgejagt hätte: Man forderte - nach Planierung der Ruine - einen kreativen Neubau als äußerliches Spiegelbild dringend notwendiger technischer Innovationen. Doch die politisch Verantwortlichen legten dem Architekturwettbewerb die Bedingung zugrunde, dass die Erscheinungsform der neuen Oper dem zerstörten Gebäude Rechnung zu tragen habe. Das beauftragte Architektenteam, allen voran Erich Boltenstern, der Erbauer des Wiener Ringturms, war dazu aufgerufen, diese Herausforderung zu meistern.

Der erwünschten Anbindung an die Tradition wurde auch in administrativer Hinsicht Rechnung getragen, indem Karl Böhm, dem letzten Staatsopern-Direktor des NS-Regimes, dieselbe Funktion im befreiten Österreich zukam - nach dem "Intermezzo" Franz Salmhofers in der Besatzungszeit. Der neue alte Direktor dirigierte am 5. November 1955 die Eröffnungsvorstellung. Am Programm stand Beethovens Freiheitsoper "Fidelio". Anton Dermota sang den Florestan, Martha Mödl die Leonore, Irmgard Seefried die Marzelline und Waldemar Kmentt den Jaquino. Noch Jahrzehnte später erwähnte der Wiener Publikumsliebling gerne, dass er den ersten Ton im neuen Haus gesungen hatte: Jaquinos Schmachtworte an Marzelline, "Jetzt Schätzchen, jetzt sind wir allein", sind die ersten dieser Oper.

Speziell durch "Fidelio" werden wir auf den Beginn der Geschichte des Hauses zurückverwiesen, die eineinhalb Jahrhunderte davor ansetzt: Der Kompositionsauftrag an Beethoven erging vom kaiserlichen Hofsekretär Peter Gottlieb Freiherr von Braun, der damals das Theater an der Wien leitete. 1805 wurde "Fidelio oder Die eheliche Liebe", wie die Erstfassung der Oper hieß, dort uraufgeführt. Unter Brauns Ägide fielen ab 1794 auch die zwei spartengemischten Hof-Bühnen, das Hofburg- und das Kärntnertor- theater. In Letzterem fand am 23. Mai 1814 die Premiere der letztgültigen, zweiaktigen Fassung unter dem Titel "Fidelio" statt.

Die beiden kaiserlichen Theater wurden 1807 von einer der "Kavaliersgesellschaften" übernommen, der "Hoftheater-Unternehmungsgesellschaft". Diese ließ beiden Bühnen finanzielle Unterstützung zufließen, bis es zu Begebenheiten von durchaus zeitlosem Charakter kam, wie ein "Handbillett" von Kaiser Franz I. belegt: Innerhalb des Damen-Ensembles nahmen bestimmte Affairen "zum Skandal des Publikums überhand", wobei "die vorzüglichsten Beförderer dieses Unwesens einige Kavaliere von der Theaterdirektion sein sollen".

Kurz darauf enthob man die Mäzene ihrer Funktionen und Aufgaben, womit die eigentliche Geschichte der Wiener Hofoper beginnt: Durch die Neupositionierung - heute würde man von "Rebranding" sprechen - beider Häuser avancierte das Hofburgtheater am Michaelerplatz 1810 zur Spielstätte des Sprechtheaters, das Hofoperntheater am Kärntnertor zu jener für Oper und Ballett.

In der Führungsetage des Opernhauses trat zu Beginn eine Person verstärkt in Erscheinung: Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz, dessen großzügiges Mäzenatentum, speziell für Beethoven, ihn letztlich in den Ruin trieb. Sein Schicksal wird innerhalb der Geschichte der Hofoper noch überboten: Der unglückliche, durch den verheerenden Brand des Wiener Ringtheaters 1881 in die Theatergeschichte eingegangene Franz Jauner leitete von 1875 bis 1880 auch die Wiener Hofoper, mit wechselndem geschäftlichem Geschick. Nach Ausbleiben des finanziellen Erfolgs seines letzten Hauses, des Carltheaters in der Leopoldstadt, beging Jauner am 23. Februar 1900 Suizid.

"Rossini-Taumel"

Abseits dieser Tragödien hat die Geschichte des Wiener Hofoperntheaters durchaus viele positive Momente vorzuweisen. Dieser wird gegenwärtig in wesentlichen Räumen des Hauses gedacht: Die Konterfeis sämtlicher Direktoren bis zur Gegenwart sind im Gustav- Mahler- und im Marmorsaal räumlich über den Höhepunkten der jeweiligen Ära platziert.

Mit dem "Rossini-Taumel" ab 1816 hat die Begeisterung für die Oper das Wien des 19. Jahrhunderts erfasst, der die Ausmaße des Kärntnertor-Theaters bald nicht mehr gerecht werden konnten. Der Auftrag für den Bau eines neuen Opernhauses erging an Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg. Die geplante Bauzeit wurde freilich überschritten, nicht zuletzt aufgrund überhasteter "Wiener Schlamperei": Straßen und Plätze rund um den Neubau mussten um mehr als einen Meter abgegraben werden, um das Eindringen von Regenwasser zu verhindern. Obendrein verringerte der Heinrichshof auf der gegenüberliegenden Seite der neuen Ringstraße die Möglichkeit für repräsentative Platzgestaltung. Auch das Operngebäude selbst stieß bei nicht wenigen Wienern auf Ablehnung: "Sicardsburg und Van der Nüll / Die haben kanen rechten Stül / Ob Gotik, ob Renaissans / Das ist den Herrn alles ans."

Allen Umständen zum Trotz wurde das Haus am 25. Mai 1869 mit "Don Giovanni" eingeweiht. Die Donna Elvira sang die seinerzeit berühmte Marie Wilt. Ab September desselben Jahres übernahm Amalie Materna die Partie. Das "Haus am Ring" bot seit jeher eine Bühne für die bedeutendsten Sängerinnen und Sänger ihrer Zeit. So etwa holte Hofoperndirektor Gustav Mahler den Tenor-Superstar Enrico Caruso für fünf Vorstellungen ans Haus. In der nächsten Dekade, während der legendären Ära von Hans Gregor, sollte Caruso noch neunmal auf dieser Bühne stehen. Gregor war es auch, der den "Rosenkavalier" nach dessen Dresdner Premiere an das Haus holte (die 1000. Vorstellung an der Wiener Oper wurde kürzlich im Gustav-Mahler-Saal gefeiert). Für die Uraufführung der "Frau ohne Schatten" 1919 wiederum zeichnete das Direktoren-Team Franz Schalk und Richard Strauss verantwortlich.

Beeindruckend ist die Reihe der Stimmgigantinnen und -giganten: von der Primadonna assoluta Maria Jeritza bis zu Richard Tauber, der mehrfach als Don Ottavio zu hören war, aber auch in der Uraufführung von Franz Lehárs "Guiditta" am 20. Jänner 1934 den Octavio sang; vom legendärem Hans Sachs Paul Schöffler zu Maria Callas, die Herbert von Karajan für drei Vorstellungen holte; vom führenden Sarastro der 50er und 60er Jahre Gottlob Frick zu Luciano Pavarotti, den man u.a. als Cavaradossi in der zeitlosen Inszenierung von Margarethe Wallmann bewundern konnte.

Es gab aber auch spezielle "Nicht-Auftritte" an diesem Haus. Von einem solchen erzählte der langjährigen Vize-Direktor, Hubert Deutsch (+ 2018), dessen wertvolles Wirken in der Ausstellung leider zu kurz kommt: Wolfgang Windgassen sollte am 13. Mai 1963 als Stolzing in Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" auftreten. Als er nicht in der Oper erschien, telefonierte Deutsch ins bayerische Haus des Kammersängers; die Haushälterin gab an, dieser sei am Ammersee fischen. Deutsch eilte ins Theater an der Wien, wo gerade Rudolf Schock für die Wiederaufnahme von Alban Bergs "Lulu" probte, bat ihn mitzukommen, probte mit ihm die Partie durch (Deutsch hatte seine Karriere als Korrepetitor begonnen) und musste schließlich Schocks Absage akzeptieren. Am Abend trat der Vizedirektor zitternd vor den Vorhang und verkündete die Absage der Vorstellung.

Ensemblemitglieder

Doch die positiven Momente überwogen bei weitem: So verkörperte der erst 34-jährige Fritz Wunderlich 1964 die reife Altersrolle in Hans Pfitzners "Palestrina". Einen besonderen Beigeschmack bekam dieses Rollendebüt im Hinblick darauf, dass der Tenor nach seiner letzten Palestrina-Vorstellung nicht einmal mehr ein halbes Jahr zu leben hatte. In diese Kategorie einzureihen wären unter vielen anderen auch die Salome von Leonie Rysanek oder Hermann Preys Beckmesser.

Doch auch die Ensemblemitglieder des Hauses in Vergangenheit und Gegenwart sowie deren internationale Wirkung seien erwähnt. So war der Ruf des bedeutenden Heldentenors Leo Slezak angeblich ein Grund für den MET-Star Enrico Caruso, nicht öfter nach Wien zu kommen. (Slezak seinerseits ist über hundertmal an der MET aufgetreten.) Der Charaktertenor Heinz Zednik, seit über fünfzig Jahren Ensemblemitglied an diesem Haus, gestaltete hier alle große Partien seines Faches in höchster Perfektion, ehe er sie auf die Bühnen der Welt hinaustrug. Oder wer erinnert sich nicht an Publikumsliebling Alfred Sramek, dessen Bartolo, auf den Spuren seines großen Vorbildes Erich Kunz, bis heute als Glanzlicht gilt? Im April 2016 konnte man den todkranken Sänger letztmalig als Puccinis Mesner erleben.

Spannt man den Bogen bis in die unmittelbare Gegenwart, so kann exemplarisch das Wirken von Anna Netrebko, Piotr Beczaa oder Elina Garanca genannt werden, um jeder gegenwartsverlorenen Rückwärtsgewandtheit entgegenzutreten. Weiter in die Zukunft gespannt, reicht der Bogen zur Direktion Bogdan Ročić, der bis dato noch kein Opernhaus geleitet hat. Inwieweit wird er sich wohl vom Stil seiner Vorgänger abheben? Hugo von Hofmannsthal wusste: "Und in dem Wie, da liegt der ganze Unterschied."