Zum Hauptinhalt springen

Gefährlicher Ideenschmuggler: Karl Gutzkow

Von Walter Hömberg

Wissen
Streitbar und umstritten: Karl Gutzkow (1811-1878).
© Archiv

Er war einer der meistdiskutierten und produktivsten Schriftsteller seiner Zeit. Heute ist er weitgehend vergessen - eine Erinnerung..


Das Jahr 1835 war eines des Umbruchs. In diesem Jahr starben Wilhelm von Humboldt, der deutsche Philosoph und Staatsmann, und der österreichische Kaiser Franz I., der bis 1806 das letzte Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewesen war. Es war das Jahr, in dem die erste deutsche Eisenbahn in Betrieb genommen wurde, in dem der amerikanische Ingenieur Samuel Colt den Trommelrevolver erfand und in dem Mark Twain geboren wurde.

Für die progressiven jungen Schriftsteller im Deutschen Bund, der 1815 auf dem Wiener Kongress als Zusammenschluss von 34 Fürstentümern und vier freien Städten gegründet worden war, für diese Autoren erwies es sich als ein besonders fruchtbares Jahr. Sie veröffentlichten Essays und Abhandlungen, Novellen und Erzählungen, Romane und Reiseberichte.

Am produktivsten war Karl Gutzkow, der neben seiner journalistischen Tätigkeit sieben selbstständige Veröffentlichungen herausbrachte. Darunter war auch ein Band, in dem er eine "Sommerreise durch Österreich" anschaulich schildert. In Berichten über Reiseerlebnisse und Beschreibungen von Natur- und Kunstphänomenen sind manche politische Anspielungen versteckt: auf das autoritäre System Metternichs, auf Feudalismus, Restauration und Klerikalismus. Gutzkow hatte diese Reise zwei Jahre zuvor mit Postkutsche und Dampfboot unternommen - zusammen mit Heinrich Laube, der dann 1849 für fast zwei Jahrzehnte als Direktor des Burgtheaters nach Wien berufen wurde.

Wirbel um "Wally"

Am meisten Wirbel machte in besagtem Jahr 1835 Gutzkows Roman "Wally, die Zweiflerin". Zunächst schlug die literarische Kritik zu, und zwar mit schwerem Geschütz. Wolfgang Menzel, der nationalkonservative Burschenschafter, widmete dem Buch gleich zwei Ausgaben seines einflussreichen Literatur-Blattes zum Stuttgarter "Morgenblatt für gebildete Stände". Sein Text war eine Ansammlung von Invektiven: "Ungezogenheiten", "Schändlichkeiten", "Obscönitäten", "Gotteslästerungen", "Hurerei", "Laster", "Unglauben", "Entsittlichung", "Gift", "Schlamm", "Verruchtheit" und ähnliche unerfreuliche Eigenschaften wirft er der Titelfigur des Romans (und damit auch dem Autor) vor, in der er wenige Jahre zuvor noch einen "Adjutanten" gesehen hatte.

Mit seiner "Wally" präsentiert Gutzkow eine Mixtur heterogener Formen und Inhalte. Am Beginn geht es in erzählerischer Form vor allem um Liebe und Ehe mit einem Plädoyer für die Emanzipation der Frau. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Reflexionen über Religion und Christentum, wobei sowohl gegen die etablierte Kathedertheologie als auch gegen die Komplizenschaft von Kirche und Staat polemisiert wird. Ein angehängter Aufsatz über "Wahrheit und Wirklichkeit" hilft dem Buch knapp über die Zwanzig-Bogen-Grenze: Bände mit einem Umfang über 320 Seiten mussten den Zensurbehörden vor der Veröffentlichung nicht vorgelegt werden.

Die Aktualität des Romans lag nicht zuletzt darin, dass ethische und religiöse Fragen als soziale Fragen verstanden wurden. Damit war die Aufmerksamkeit der Zensurbehörden geweckt: Der Verbotserlass des preußischen Innenministeriums vom November 1835 betraf die unter dem Etikett "Das junge Deutschland" zusammengefassten Autoren Gutzkow, Laube, Mundt und Wienbarg.

Damit wurde paradoxerweise eine "literarische Schule" imaginiert und zugleich eliminiert, die es gar nicht gab. Eine Verschärfung brachte dann noch, einen Monat später, das Verbotsedikt der Bundesversammlung, in dem zusätzlich Heinrich Heine genannt ist.

Das Verbot bedeutete für die Betroffenen faktisch ein Berufsverbot. Anders als die Autoren vergangener Epochen waren sie professionelle Publizisten, die von den Honoraren ihrer Artikel und den Erträgen ihrer Bücher leben mussten. Gutzkow hat 1852 in einem Brief an Feodor Wehl die soziale Lage des "freien" Schriftstellers eindringlich beschrieben: "Meine Existenz zwang mich, augenblicklich die Feder zu einer Arbeit zu ergreifen. [. . .] Sie haben in den Jahreszeiten gesagt: Ich verdiene jährlich ca. 3000 Thlr. Ach, lieber Freund, Sie haben da ein großes Wort gelassen ausgesprochen. [. . .] Ich bedarf fast soviel, aber verdienen? Erschreiben? Da sein muß fast diese Summe jährlich, um anständig zu leben, 4 Kinder zu erziehen, eine junge Frau nicht mit Mühsal zu placken und der Welt nicht den Triumpf zu gönnen, daß es einem Literaten, der nicht schmeicheln, speichellecken, sich verkaufen, in den Modeton des Tages nicht einstimmen kann, pauvre geht. Aber daß sie da sein muß, daß ich sie erschreiben soll, das ist mein Elend und ich erlieg’ ihm auch."

Soziale Gegensätze

Der Start war schwierig gewesen. Am 17. März 1811 als Sohn eines Reitknechts und Stallmeisters am preußischen Hof in ärmlichen Verhältnissen geboren und aufgewachsen, hat Karl Gutzkow schon als Kind die sozialen Gegensätze wahrgenommen. Seine Mutter konnte zwar lesen, aber nicht schreiben. Der Schüler begriff bald, dass Bildung nicht nur geistige Bereicherung, sondern auch die Bedingung der Möglichkeit zum sozialen Aufstieg bedeutet. Aufmerksame Lehrer erkannten die Talente des blitzgescheiten Jungen, der dann durch Stipen-dien aufs Gymnasium und später auf die Universität gehen konnte. Als Student der Philologie, Philosophie und Theologie hat er die Vorlesungen renommierter Professoren der Berliner Universität besucht und später sein Studium an der Universität Jena mit dem Titel eines Doktors der Philosophie abgeschlossen. Pfarrer oder Lehrer - so lautete die klassische Berufsalternative für solche Absolventen. Gutzkow entschied sich indes schon früh für den unsicheren Weg eines "freien" Publizisten. Er verstand sich dabei als "Zeitschriftsteller".

In einer Zeit politischer Stagnation betont er neben der Kritik an der bürokratischen Repression eine prophetische Mission mit Blick auf eine liberale, soziale und demokratische Zukunft. Bereits 1832 prognostiziert er: "Der Ideenschmuggel wird die Poesie des Lebens werden." Und drei Jahre später schreibt er an Georg Büchner, dessen literarischen Rang er als einer der Ersten erkannt hat: "Treiben Sie wie ich den Schmuggelhandel der Freiheit: Wein verhüllt in Novellenstroh, nicht in seinem natürlichen Gewande: ich glaube, man nützt so mehr, als man blind in Gewehre läuft, die keineswegs blindgeladen sind."

Gutzkow wurde zum Prototyp des "schriftstellerischen Journalismus". Wie manche seiner Kollegen nutzte er alle verfügbaren Medien seiner Zeit: Sie schrieben für Zeitungen und Zeitschriften, verfassten Flugschriften und Bücher. Die Vorliebe für kleine Prosaformen erklärt sich auch dadurch, dass die Beiträge später nochmals zu Büchern gebündelt werden konnten.

Zu den ökonomischen Zwängen kamen die politischen Restriktionen der Vormärz-Zeit. Seit den Karlsbader Beschlüssen unterlagen alle Veröffentlichungen einer verschärften Kommunikationskontrolle. Durch Gegenstrategien wie Camouflage und fiktionale Einkleidung, die Offenlegung der Zensureingriffe für den Leser, pseudonyme beziehungsweise anonyme Veröffentlichung, Angabe fingierter Verlagsorte und ähnliche Maskierungsversuche wollten die Autoren die Vorzensur überlisten, was aber nicht immer gelang.

Gefängnis

Das Verbot des Jungen Deutschland traf Karl Gutzkow besonders hart: Er musste u.a. ein zusammen mit Ludolf Wienbarg geplantes Publikationsprojekt aufgeben: die Gründung der Zeitschrift "Deutsche Revue", die hohe Qualitätsansprüche mit breiter Publizität verbinden sollte und als Nationalrevue konzipiert war. Als einziger der inkriminierten Autoren musste Gutzkow drei Monate im Gefängnis verbringen. Wie Wienbarg wurde er dann aus dem gemeinsamen Wohnort Frankfurt am Main ausgewiesen. Der Verfolgungswahn, unter dem er zeitlebens litt, hat hier seine Wurzeln.

Ruhelos wechselte er in der Folge die Wohnorte. Und rastlos arbeitete er weiter als Herausgeber von Zeitschriften und als Buchautor. Es folgte ein Jahrzehnt, in dem er mehrere Bühnenwerke verfasste - mit wechselndem Erfolg - und dann als Dramaturg am Dresdner Hoftheater tätig war. Trotz aller Rückschläge ist die Innovationskraft dieses Mannes ungebrochen. Ab 1850 erscheint Gutzkows Roman "Die Ritter vom Geiste". Ein großes Zeitgemälde in neun Bänden, in dem er erneut die Synthese von Gegenwartskritik und Zukunftsvision anstrebt. Ein Werk voller journalistischer Qualitäten: genaue Beobachtung, gründliche Recherche, treffsichere Zeitkritik. Auch formal eine Innovation: Der Verfasser entwickelt hier den "Roman des Nebeneinander" und nimmt die großen Simultanromane des 20. Jahrhunderts konzeptionell vorweg.

Es folgt ein zweiter großer Zeitroman: "Der Zauberer von Rom", 1858 bis 1861 in ebenfalls neun Bänden erschienen. Diese Mammutwerke haben manche Kritik provoziert, aber auch viele Bewunderer gefunden: Arno Schmidt sieht in ihnen den Aufbruch zur Moderne. Rolf Vollmann charakterisiert die "Ritter" als "einen der schönsten aller Romane" und nennt den "Zauberer" "eine sinnverwirrend hinreißende Lektüre".

Zeitschriftengründer

Auch als Zeitschriftengründer ist Gutzkow Pionier: Seit 1852 gibt er in Leipzig das Wochenblatt "Unterhaltungen am häuslichen Herd" heraus. Damit begründet er den Typ der Familienzeitschrift, der dann Karriere machen sollte; zwei Jahrzehnte später gab es fast 70 Familienblätter, an der Spitze die äußerst erfolgreiche "Gartenlaube".

Er folgen noch einige Spätwerke sowie eine Ausgabe seiner "Dramatischen Werke" (in 20 Bänden) und der "Gesammelten Werke" (in 12 Bänden). Und immer wieder bearbeitet er frühere Bücher für einen Neudruck. Ein Mann, der die Feder nicht halten konnte.

Gutzkow war einer der meistdiskutierten Schriftsteller seiner Zeit, ebenso streitbar wie umstritten. Seine Zeitromane nehmen einen markanten Platz in der Geschichte dieser Gattung ein. Seine Dramen standen lange Jahre auf den Spielplänen großer Bühnen. Er war ein Redakteur von Rang, ein scharfsinniger Kulturkritiker, ein hochkarätiger literarischer Entdecker und Vermittler. Er hat mehr geschrieben als Goethe, dem ein viel längeres Leben geschenkt war. Von Zeitgenossen wurde der immer präsente Karl Gutzkow "der Unvermeidliche" genannt.

Als Brückenbauer zwischen Literatur und Leben hat er alle publizistischen und literarischen Disziplinen ausprobiert, vom Kurzstreckenlauf der kleinen Form bis zum Marathon des Zeitromans in neun Bänden. Zeit seines Lebens war er ein Mann zwischen den Stühlen: Den einen galt er als Literat, der sich in die Politik verirrt hat, den anderen als politischer Publizist mit begrenztem literarischen Format. Trotz aller Rückschläge und Anfeindungen ist er ein "Selbstdenker" geblieben.

Am Ende dieses produktiven, kämpferischen Lebens steht ein grausamer Tod: In der Nacht zum 16. Dezember 1878 erstickt der 67-Jährige bei einem Schwelbrand in seinem Schlafzimmer. Begraben ist er in der Stadt, die ihn einst ausgewiesen hatte: auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main.

Walter Hömberg, Kommunikationswissenschafter und Publizist, war Professor für Journalistik an den Universitäten Bamberg und Eichstätt und lehrt als Gastprofessor an der Universität Wien. Diverse Publikationen zur literarischen Publizistik im Vormärz.