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Fußballklub Vienna: Schuld waren die Gärtner

Von Christian Hlavac

Wissen
Bis heute in Betrieb: Das Vienna-Stadion auf der Hohen Warte in Wien-Döbling.
© Foto: Hlavac

Vor 125 Jahren wurde mit dem First Vienna Football Club der erste in Österreich registrierte Fußballverein gegründet – dank früher Arbeitsmigration.


Verwundert nimmt man zur Kenntnis, dass der erste registrierte Fußballverein in Österreich einen englischen Namen besitzt: First Vienna Football Club, heute meist nur als "die Vienna" bezeichnet. Dass Gärtner diesen Verein gründeten, verwundert ebenfalls. Doch beide Dinge hängen ursächlich zusammen.

Die Geschichte des sechsfachen österreichischen Meisters und dreifachen österreichischen Cupsiegers beginnt mit einem Dorado der Gartenkunst und des Gartenbaus in Wien-Döbling: Der Wiener Bankier Nathaniel Rothschild (1836-1905) interessierte sich wenig für das Bankgeschäft und überließ die Geschäftsführung seinem jüngeren Bruder Albert. Zu den Hobbys Nathaniels zählten die Botanik und der Gartenbau; insbesondere exotischen Pflanzen galt seine Aufmerksamkeit.

Gartenbesitzer auf der Hohen Warte: Nathaniel Rothschild.
© Archiv Hlavac

Auf der Hohen Warte - unweit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik - ließ er sich in den 1870er Jahren eine prächtige Gartenanlage mit Dutzenden Glashäusern errichten. Bereits in den 80er Jahren galten die "Rothschild-Gärten auf der Hohen Warte" als Inbegriff einer großen und beeindruckenden Pflanzensammlung. Verantwortlich für die Pflege waren zahlreiche Gärtner aus Österreich - und England.

Pionier Franz Joli

Auf welchem Weg diese Fachleute von der Insel nach Wien kamen, lässt sich nur vermuten. Höchstwahrscheinlich bat Nathaniel einen seiner zahlreichen Verwandten aus dem englischen Familienzweig, von denen mehrere große Gartenanlagen besaßen, um die Überlassung von Spezialisten. In Frage kommt unter anderem Ferdinand James Rothschild, der 1874 das riesige Anwesen Waddesdon Manor vom Herzog von Marlborough gekauft hatte; es ist der einzige Landsitz der Rothschilds in England, der noch heute intakt erhalten ist.

Da Fußball in England zu diesem Zeitpunkt schon eine lange Tradition hatte, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass zumindest einer dieser nach Wien gekommenen englischen Gärtner auch Fußball spielen konnte. Laut der 1919 anlässlich der Feier "25 Jahre Vienna" herausgegebenen Festschrift kam die Ballsportart jedoch mit einem Wiener in die Stadt: Ein Sohn des Rothschildschen Garteninspektors Anton Joli (1839-1911) namens Franz (1870-1905) brachte den Sport nach einem längeren Aufenthalt auf der Insel nach Österreich mit und begann, mit seinen österreichischen und englischen Gärtnerkollegen mit einem "Football" auf einer Wiese der Rothschild-Gärten auf der Hohe Warte zu kicken.

Da das Fußballspiel schnell Schäden auf der Wiese verursachte, fanden die Partien bald unweit der Gärten auf einem improvisierten Fußballfeld - das man im Wienerischen als G’stättn bezeichnen würde - statt. Erst später übersiedelte man - nach zwei Zwischenstationen - in nächster Nähe auf jene Fläche, auf der heute noch das Stadion der Vienna steht.

Dass Gärtner aus anderen, fremdsprachigen Ländern als Facharbeitskräfte nach Wien kamen, ist kein Phänomen des späten 19. Jahrhunderts, sondern lässt sich über viele Jahrhunderte zurückverfolgen. So stammen etwa die Entwürfe für die damals noch deutlich kleinere Gartenanlage von Schönbrunn vom Franzosen Jean Trehet (1654-1740), den Kaiser Leopold I. nach Wien holte.

Ein zweites Beispiel: Der bedeutende Schönbrunner Gärtner Adrian Stekhoven (1704-1782), dem wir den ersten botanischen Garten in Schönbrunn verdanken und der in der Nähe von Den Haag geboren wurde, kam aus Leiden (Provinz Südholland) nach Wien. Die beiden Gärtner stehen stellvertretend für einen europaweiten beruflichen Austausch, der - trotz mangelnder Quantität und Qualität der Transportmittel - bereits im 18. Jahrhundert stark ausgeprägt war.

Eines der ersten Teams. Aus: "First Vienna Football Club 1894-1919. 25 Jahre Wiener Fußball", Wien 1919.
© Archiv Hlavac

Doch zurück zu den Fußball spielenden Gärtnern auf der Hohen Warte: Am 22. August 1894 fanden sich auf Anregung von Franz Joli ungefähr zwanzig junge Leute im Gasthaus "Zur schönen Aussicht" zur Gründung des "First Vienna Football Club" zusammen. Als Klubfarben wurden in Anbetracht des Umstandes, dass Julius Schuster, Generaldirektor der Güterdirektion der österreichischen Rothschilds und Lebenspartner der Hotelbesitzerin Anna Sacher, die Schirmherrschaft über den Verein übernahm, die Baron Rothschildschen Farben Gelb und Blau angenommen.

Das noch heute gültige Vereinsabzeichen mit dem Ball und den drei Beinen stammt vom im Dienst Nathaniels stehenden Gärtner William Beale. Dieser nahm Anleihen bei der Flagge der Isle of Man, seiner Heimatinsel, die zwischen Irland und der britischen Hauptinsel in der Irischen See liegt. Dieses Logo ist heute noch das sichtbare Zeichen der engen Verbindung zwischen dem englischen Sprachraum und dem Fußballklub Vienna.

Gründung im Gasthaus

Bei dessen Gründung waren neben den Österreichern Franz Joli, Georg "Geo" Fuchs und Josef Anlauf - um nur drei Namen zu nennen - auch die Engländer Jules Major, James (John) Black, William Beale, A. Kent und Roberts anwesend. Noch immer ist unklar, wo die Gründungsversammlung genau stattfand, denn in den ältesten Quellen wird nur vom nahen Gasthaus "Zur schönen Aussicht" gesprochen. Doch zu diesem Zeitpunkt gab es in der Umgebung der Hohen Warte zwei Lokale mit diesem Namen: die heute "Pfarrwirt" genannte Gaststätte von Johann Bittner am Heiligenstädter Pfarrplatz und das längst nicht mehr bestehende Lokal von Franz Diglas am Ende der Pokor-nygasse am Abhang zur Heiligenstädter Straße.

Das erste offizielle Spiel der Vienna, welches gleichzeitig das erste österreichische Fußballspiel zwischen zwei eingetragenen Vereinen war, fand am 15. November 1894 auf eigenem Platz gegen den "Vienna Cricket and Football Club" statt, einem Wiener Verein, der ganz kurz nach der Vienna den Vereinsstatus erhielt. Mit von der Partie, die - je nach Quelle - 0:3 oder 0:4 verloren ging, waren unter anderem Franz Joli und sein jüngerer Bruder Max (1879-1946) sowie Jules Major. Die Gegner von den Crickets waren alle gebürtige Engländer, die jedoch beruflich nichts mit dem Gartenbau zu tun hatten.

Das erste Spiel der Vienna gegen einen auswärtigen Verein fand am 20. Oktober 1895 am eigenen Platz gegen den "Grazer Akademisch-technischen Radfahrverein" vor rund 700 Personen statt. Einige Tage später, am 3. November 1895, endete das Match der Vienna beim Vienna Cricket and Football Club auf der Jesuitenwiese im Prater, dem Spielort der Crickets, mit 5:4 für die Vienna.

Große Naturarena

Über 25 Jahre lang spielte die Vienna auf ganz einfachen Rasenflächen ohne spezielle Infrastruktur. Das erste richtige Stadion entstand 1921 auf dem noch heute genutzten Grund nahe dem Karl-Marx-Hof. Es war zu diesem Zeitpunkt das größte Fußballstadion außerhalb der britischen Inseln - und besticht noch heute durch die Naturarena mit dem Stehplatzbereich.

Das Eröffnungsspiel mit 12.000 Besuchern am 19. Juni 1921 bestritt man gegen den Wiener Klub SC Hakoah. Aus heutiger Sicht unvorstellbar war der Andrang im Hohe-Warte-Stadion, als im April 1923 bei einem Fußballländerspiel die Nationalmannschaft Österreichs gegen jene Italiens antrat: Über 75.000 Zuschauer wurden gezählt. Zu diesem Zeitpunkt war Fußball spielen noch ein Hobby, auch wenn manchen Spitzenspielern illegal "Gehälter" ausbezahlt wurden.

Eineinhalb Jahre später spielten keine Amateure mehr - egal ob Gärtner oder nicht - in der obersten Spielklasse, in der auch die Vienna vertreten war, denn mit der Saison 1924/1925 startete offiziell die Profimeisterschaft in Österreich. Und doch spielte Jahrzehnte später ein Wiener Gärtner eine ehrenamtliche Rolle bei der Vienna: Der Wiener Stadtgartendirektor Alfred Auer (1922-2002) übernahm von März 1969 bis zum Frühjahr 1973 zuerst die Funktion des geschäftsführenden Vizepräsidenten des Vereins, dann die des Präsidenten.

Jubiläumsspiel "125 Jahre Vienna" gegen Union Berlin auf der Hohen Warte 17. Juli 2019.
© Foto: Hlavac

Das Jubiläum "125 Jahre Vienna" feierte man am 17. Juli 2019 mit einem Freundschaftsspiel gegen den kurz davor in die erste deutsche Bundesliga aufgestiegenen Verein Union Berlin, das vor 4000 Zuschauern mit einem 1:4 endete.

Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte stellt sich die nicht ganz ernst gemeinte Frage, ob der Fußballklub Vienna in den ersten Jahren seines Bestehens nicht eher ein Gärtnerverein mit Fußball spielenden Mitgliedern als ein Fußballverein mit Gärtnern war. Unabhängig davon kann man mit einem Augenzwickern festhalten: "Schuld" am Jubiläum "125 Jahre Vienna" war nicht nur ein, sondern waren gleich mehrere Gärtner.

Christian Hlavac ist Gartenhistoriker und Publizist. Zuletzt erschien das Buch "La bella Austria. Auf italienischen Spuren in Österreich" (gemeinsam mit Christa Englinger, Amalthea Verlag).