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Das alliierte Gipfeltreffen in Jalta 1945

Von Rolf Steininger

Wissen

Vor 75 Jahren fand auf der Krim die Konferenz der "Großen Drei" für den Frieden statt.


In der Nacht vom 2. auf den 3. Februar 1945 starteten 25 viermotorige Transportflugzeuge in Abständen von zehn Minuten von Malta in Richtung Osten. Ihr Ziel: Saki, der Flugplatz von Jalta; an Bord: der schon vom Tode gezeichnete amerikanische Präsident Roosevelt und der britische Premierminister Churchill mit ihren Stäben - insgesamt 700 Personen: Diplomaten, Militärs und Nachrichtentechniker. Auf der Krim hatte es heftig geschneit, man hielt die Landung für ein Wagnis, doch als die erste Maschine nach siebenstündigem Flug Saki erreichte, war die Landebahn reingefegt.

Roosevelts Maschine landete um 12.10 Uhr; er wartete, bis 20 Minuten später Churchills Flugzeug eintraf. Erst dann wurde der Präsident in seinem Rollstuhl mit Hilfe eines Lifts zu Boden gelassen. Auf der Landebahn begrüßte ihn Stalins Außenminister Molotow; ein Eliteregiment hatte eine Ehrenwache gestellt, eine Militärkapelle spielte die Nationalhymnen. Als Roosevelt seine Verwunderung darüber äußerte, warum Stalin nicht persönlich zu seinem Empfang gekommen sei, wurde ihm erwidert, Stalin sei noch gar nicht in Jalta eingetroffen.

Bis zum Konferenzort waren noch einmal sechs Stunden Autofahrt erforderlich. Anschließend wurde dem kranken Roosevelt sofort Bettruhe verordnet. Am nächsten Morgen traf auch Stalin in Jalta ein.

Die Zukunft Polens

Mehr als 14 Monate waren seit dem Treffen der "Großen Drei" Ende November/Anfang Dezember 1943 in Teheran vergangen. Jetzt war das Ende des Krieges gegen Nazideutschland abzusehen und die Zeit gekommen, den Frieden zu organisieren. Es ging um die Zukunft Deutschlands und Polens, um den Krieg gegen Japan und die Gründung einer neuen Weltorganisation, der Vereinten Nationen. Es sei Aufgabe der Sieger, so Roosevelt, "den Frieden mindestens für 50 Jahre zu sichern".

Deutschland bereitete dabei noch die geringsten Schwierigkeiten. Es sollte in drei Besatzungszonen aufgeteilt, die oberste Regierungsgewalt dort von Militärregierungen übernommen werden; ein alliierter Kontrollrat in Berlin war als zentrale Behörde zuständig für Angelegenheiten, die Deutschland als Ganzes betrafen. Stalin gab dem Drängen Churchills nach: Frankreich sollte vierte Besatzungsmacht werden, vorausgesetzt, dessen Zone ginge nicht zulasten der sowjetischen Zone.

Die übrigen Entscheidungen über die Zukunft Deutschlands betrafen die Zerstückelung, die Reparationen und die endgültige Ostgrenze. Hier übernahm Stalin die Initiative, aber Roosevelt und Churchill vermieden jede Festlegung. Die Zerstückelung Deutschlands in einzelne Staaten sollte von einem Ausschuss in London geprüft werden; die Forderung Stalins nach zehn Milliarden Dollar (nach heutigem Wert etwa 100 Milliarden) für die Sowjetunion wurde lediglich als Diskussionsgrundlage akzeptiert.

Die Frage der deutschen Ostgrenze hing unmittelbar mit dem Thema zusammen, über das es in Jalta die meisten und hitzigsten Debatten gab: Polen. Wie kein anderes Land in Europa hatte Polen unter der Naziherrschaft gelitten; es wurde nun zum Prüfstein für die alliierte Zusammenarbeit. In Teheran waren sich die drei lediglich darüber einig gewesen, dass Polen als Ausgleich für die im Osten an die Sowjetunion verloren gegangenen Gebiete deutsche Gebiete erhalten sollte. Das war die berühmte Westverschiebung Polens. Die Frage war: wie weit nach Westen? Es war von der Oder die Rede gewesen. Churchill hatte sich bereit erklärt, Polen auch den Bezirk Oppeln zu geben. Damit war zugleich klar, dass er von der östlichen Neiße, der Glatzer Neiße gesprochen hatte. Beschlüsse waren nicht gefasst worden.

In Jalta verlangte Stalin jetzt als Grenze die westliche Neiße, die Görlitzer Neiße. Damit beanspruchte er ganz Schlesien für Polen. Churchill widersprach. Die Frage blieb offen und wurde mit der Formel zugedeckt, Polen im Norden und Westen einen beachtlichen territorialen Zuwachs zuzugestehen; die definitive Grenze sollte auf einer zukünftigen Konferenz festgelegt werden.

Der nächste Punkt betraf die politische Zukunft Polens. In sieben der acht Plenarsitzungen war das ein Thema. Stalin ignorierte die polnische Exilregierung in London und hatte die von ihm unterstützten Kommunisten in Warschau Anfang Jänner als rechtmäßige polnische Regierung anerkannt. Der schließlich erzielte Kompromiss entsprach den Realitäten - in Polen stand die Rote Armee - und ließ Roosevelt und Churchill ihr Gesicht wahren: Die kommunistische Regierung sollte durch Hinzuziehung von "demokratischen Führungskräften" auf "breiter demokratischer Basis" umgebildet werden und alsbald "freie und uneingeschränkte" Wahlen organisieren.

Roosevelt ließ seine ursprüngliche Forderung nach Bildung einer völlig neuen, aus Kommunisten und Exilpolitikern paritätisch besetzten Regierung ebenso fallen wie die Kontrolle dieser Wahlen durch die Alliierten. Für den amerikanischen Russlandexperten George F. Kennan war dies, wie er notierte, "ein besonders schäbiges Beispiel für Doppelzüngigkeit".

Der Krieg gegen Japan

Die Verständigung mit der Sowjetunion sollte nicht gefährdet werden, zumal Stalin auch einer "Erklärung über das befreite Europa" zustimmte, die ebenfalls vielseitig interpretierbar war. Die drei Regierungen verpflichteten sich da-rin, die von der Herrschaft Nazideutschlands befreiten Völker der ehemaligen europäischen Satellitenstaaten der Achse zu unterstützen und aufeinander abzustimmen.

Die befreiten Völker sollten in die Lage versetzt werden, "demokratische Einrichtungen nach ihrer eigenen Wahl zu schaffen". Roosevelt hatte damit eine jener öffentlichen Erklärungen, die ihm persönlich hilfreich sein würden, wie er sie schon in Teheran gewünscht hatte.

Damals wusste niemand in Washington, ob die Atombombe funktionieren würde und gegen Japan eingesetzt werden konnte. Also brauchte man die Sowjets. Stalin erfüllte Roosevelts Wunsch und verpflichtete sich, drei Monate nach Kriegsende in Europa in den Krieg gegen Japan einzutreten. Als Preis forderte er die Rückgabe dessen, was der Zar 1904/1905 im Krieg gegen Japan verloren hatte: Internationalisierung des Hafens von Dairen, Verpachtung des Flottenstützpunktes von Port Arthur, Verwaltung der chinesischen Ostbahn und der südmandschurischen Eisenbahn, Erwerb von Südsachalin und Anerkennung der Mongolischen Volksrepublik, die damit im Machtbereich Moskaus bleiben würde. Japan würde zudem die Kurilen an die Sowjetunion abtreten. Roosevelt stimmte zu, ohne seinen chinesischen Verbündeten Tschian-Kai-shek auch nur informiert zu haben.

Schließlich kam Stalin Roosevelt bei der Verwirklichung von dessen Lieblingsidee entgegen: Die noch offenen Fragen der Organisation der Vereinten Nationen wurden gelöst. Stalin zog seine ursprüngliche Forderung auf 16 Stimmen für die Sowjetunion in der UN-Vollversammlung zurück und beschränkte sich auf höchstens vier. Roosevelt machte dafür beim Vetorecht das entscheidende Zugeständnis: In allen Konfliktfällen, zu deren Lösung auch militärische Maßnahmen notwendig würden, sollte eine Großmacht ihr Veto einlegen können. Für Stalin war damit die Gefahr gebannt, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zum Instrument einer antisowjetischen Politik würde.

Roosevelt und Churchill stimmten der - auch zwangsweisen - Rückführung sowjetischer Kriegsgefangener zu, die an der Seite Deutschlands gekämpft hatten (u.a. Soldaten der Wlassow-Armee).

In dem jahrzehntelang geheim gehaltenen Abkommen, das als "Verrat von Jalta" in die Geschichte eingegangen ist, hieß es dazu: "Alle von den alliierten Armeen befreiten sowjetischen Staatsbürger werden von den deutschen Kriegsgefangenen getrennt, bis sie den sowjetischen Behörden übergeben werden können. Marschall Stalin hofft, dass sie so schnell wie möglich nach Russland zurückgeführt werden können. Jene, die mit den Deutschen zusammengearbeitet haben, werden bei ihrer Rückkehr nach Russland entsprechend behandelt."

Für die betroffenen "Opfer von Jalta" bedeutete das Gulag oder Tod. Osttirol wurde wenig später Schauplatz eines der übelsten Kapitel in dieser Geschichte, als die Kosaken von den Briten zwangsweise in die Züge verfrachtet wurden: für sie das Todesurteil.

Der große Irrtum

Wenn von Jalta die Rede ist, verbindet sich bis in unsere Tage damit auch die Vorstellung, dass dort die "Teilung der Welt" bzw. die "Teilung Europas" beschlossen worden sei. So wurde die Wende 1989/90 als das "Ende der Ordnung von Jalta" bezeichnet.

Tatsache ist allerdings, dass auf der Konferenz in Jalta Europa bzw. die Welt nicht aufgeteilt wurde. Es wurde im Gegenteil von Churchill und Roosevelt zumindest der Versuch gemacht, diese Teilung zu überwinden, die angesichts der militärischen Realität längst existierte: Die Rote Armee stand in Bulgarien, Rumänien, Polen und Ungarn und war nur noch 90 Kilometer von Berlin entfernt. Weil dieser Versuch kläglich scheiterte, wurde Jalta in den 1950er Jahren zum Streitobjekt der amerikanischen Innenpolitik.

Am 11. Februar war die Konferenz zu Ende gegangen. Amerikaner und Briten hatten Jalta in gehobener Stimmung verlassen, davon überzeugt, gemeinsam mit der Sowjetunion den Grundstein für eine neue, bessere Welt gelegt zu haben. Roosevelts engster Vertrauter, Harry Hopkins, beschrieb das später so: "Wir glaubten im Herzen wirklich, ein neuer Tag sei angebrochen, der Tag, den wir alle seit so vielen Jahren ersehnt und über den wir so viel geredet hatten. Wir waren absolut überzeugt, den ersten großen Friedenssieg gewonnen zu haben."

Das war ein großer Irrtum, wie Stalins Politik in den von der Roten Armee besetzten Ländern in den folgenden Wochen deutlich machte. Im März meinte Roosevelt intern: "Stalin hat sämtliche Versprechungen nicht eingehalten, die er in Jalta gemacht hat." Als der amerikanische Präsident im April starb, gab es bereits die ersten Anzeichen für den Beginn eines neuen Krieges - des Kalten Krieges.

Rolf Steininger, geboren 1942 in Plettenberg/Westfalen, ist Em. o. Univ.-Prof. und war von 1984 bis 2010 Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. www.rolfsteininger.at

Literatur-Hinweis:
Rolf Steininger: Die USA und Europa nach 1945. Lau Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018, 307 Seiten, 22,90 Euro.