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"Die Frauen kommen!"

Von Bettina Figl

Wissen
Erster Internationaler Frauentag am 19. März 1911: Die "Arbeiter-Zeitung" druckte dieses Bild.
© ÖNB

Adelheid Popp, Auguste Fickert und Hildegard Burjan waren Feministinnen der ersten Stunde. Doch bis heute bleiben einige ihrer Forderungen unerfüllt.


"Wäre ich doch ein Mann." Diesen Satz habe sie immerzu wiederholt, schreibt Adelheid Popp (geb. 1869) in ihrem Erinnerungsband "Jugend einer Arbeiterin", der im Vorjahr im Picus Verlag neu herausgegeben wurde. Darin ist auch zu lesen, wie sich Popp, die später einen Ruf als begnadete Rednerin erlangt, als junges Mädchen gefühlt hat: "[Bei einer Versammlung] hatte [ich] nicht einmal den Mut, Beifall zu spenden. Das hielt ich für unweiblich und nur für ein Recht für Männer. Auch wurde (...) nur für Männer gesprochen. Keiner der Redner wandte sich auch an Frauen (...). Es schien alles nur Männerleid und Männerelend zu sein."

Aber auch von Leid und Elend weiß Popp zu berichten, stammte sie doch aus ärmlichsten Verhältnissen und musste nach nur drei Jahren Schulbildung als Kind in Fabriken arbeiten. Trotz der ungünstigen Ausgangslage wird sie Österreichs erste Berufspolitikerin und setzt sich ihr Leben lang für Frauen ein, die zu jener Zeit keinen Zugang zu höherer Bildung haben; für ihre Arbeit werden sie schlechter bezahlt, weshalb sie von männlichen Kollegen als Lohndrückerinnen und Billigkonkurrenz diffamiert werden. Das Lehrerinnen-Zölibat zwingt Frauen, ihre Arbeit nach der Heirat aufzugeben.

Unabhängigkeit

Gegen diese Missstände kämpft auch Auguste Fickert (geb. 1855) vehement an. Die Lehrerin ist neben der Sozialdemokratin Popp und der Christlichsozialen Hildegard Burjan ("Christin sein bedeutet politisch sein") eine der zentralen Figuren der ersten Frauenbewegung. Fickert ist in ihren Positionen radikaler als ihre Mitstreiterinnen: Sie lebt ihre Homosexualität offen, stellt das Modell der Kleinfamilie infrage, fordert Rechte für Prostituierte, die Gleichstellung von unehelichen Kindern und bessere Arbeitsbedingungen für Alleinerzieher-innen - allesamt Forderungen, die erst Jahrzehnte später in Erfüllung gehen sollten.

"Jugend einer Arbeiterin" von Adelheid Popp war lange vergriffen. 2019 wurde der Erinnerungsband neu herausgegeben.
© Picus Verlag

Zwar gilt für Frauen das Vereinsverbot, doch Privatpersonen dürfen öffentliche Versammlungen einberufen, was Fickert für ihre Zwecke nützt. 1893 gründet sie den "Allgemeinen Österreichischen Frauenverein", dessen Ziele ökonomische Unabhängigkeit und Zugang zu Bildung für Frauen sind. Dafür setzt sich auch die Sozialdemokratische Arbeiterpartei ein - vom Parteigründungstag im Jahr 1889 sind Frauen jedoch noch ausgeschlossen.

Und nicht alle Frauen wollen das Wahlrecht: Der Christliche Wiener Frauenbund, die "Lueger-Garde", engagiert sich zwar in den Wahlkämpfen des christlichsozialen Wiener Bürgermeisterkandidaten, lehnt die politische Gleichberechtigung von Frauen aber vorerst ab. Die von Auguste Fickert mitbegründeten politischen Magazine "Die Dokumente der Frau" und "Das neues Frauenleben" sind "wesentlich dafür verantwortlich, dass die Idee des Frauenwahlrechts verbreitet wurde", erklärt Petra Unger, Kulturvermittlerin und Gründerin der "Wiener Frauen*Spaziergänge".

Einer dieser Spaziergänge führt durch Gumpendorf, wo 1893 ein von Adelheid Popp mitorganisierter Frauenstreik stattfand: Beim "Streik der 700" schlossen sich an die 700 Textilarbeiterinnen zusammen, forderten Mindestlohn, Verkürzung der Arbeitszeit auf zehn Stunden und einen arbeitsfreien 1. Mai. Nach zwei Wochen Streik werden die Forderungen erfüllt und die "Anstifterin" Amalie Ryba (später Seidel) wird nach zwischenzeitlicher Entlassung wieder eingestellt.

"Frauen können, wenn sie sich zusammenschließen, sehr wohl zu Rechten kommen", sagt Unger, die immer wieder Bezüge zur Gegenwart herstellt: "Was heute unter ‚Frauenstreik‘ läuft, sind meist Aktionstage. Denn die, bei denen es sofort auffallen würde, wenn sie streiken, können nicht: Mütter mit Kleinkindern oder Altenpflegerinnen." Dennoch ermutigt sie Frauen zum Streik, zumindest im Kleinen: "Manchmal beginnt der Streik damit, dass man nicht immer den Mann mitdenkt, sondern sich in Frauenräume zurückzieht." Unger will die "Utopie eines Generalstreiks" in den Raum stellen, denn: "Wir sind drauf und dran, viele der erkämpften Rechte zu verlieren, Stichwort 12-Stunden-Tag."

"Frauen Wahl Recht" von Petra Unger gibt einen guten Überblick zum Frauenwahlrecht in Österreich. 
© Mandelbaum Verlag.

Dabei kann Österreich, das seit Mitte des 20. Jahrhunderts sehr streikarm ist, auf eine lange Streikgeschichte zurückblicken, wie Christian Koller in "Streikkultur" umfassend darlegt. Beflügelt von der Wahlreform in Belgien, die durch einen Arbeiterstreik erreicht wurde, setzen sich ab Ende des 19. Jahrhunderts auch österreichische Sozialdemokraten verstärkt für das Frauenwahlrecht ein, allen voran Adelheid Popp.

Zur ersten sozialdemokratischen Frauenversammlung zum Frauenwahlrecht strömen am 1. Oktober 1893, neben zahlreichen Männern, 1000 Frauen in die Penzinger Au. Fast 20 Jahre später sollte der Erste Internationale Frauentag stattfinden. "(. . .) man raunte sich nur zu: ‚Die Frauen kommen! Die Frauen!", schreibt die "Arbeiter-Zeitung" über den ersten Internationalen Frauentag am 19. März 1911, an dem 20.000 Frauen über die Ringstraße zogen.

Fristenlösung 1975

Ihren Forderungen - Frauenwahlrecht, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Abschaffung des Abtreibungsverbots - wird, wenn überhaupt, erst Jahre später Folge geleistet: Auf das Wahlrecht müssen Frauen noch sieben Jahre warten, das Abtreibungsverbot sollte erst mit Einführung der "Fristenlösung" im Jahr 1975 fallen - und noch heute verdienen laut Statistik Austria Frauen in Österreich im Schnitt 20 Prozent weniger als Männer.

Zurück zum Wahlrecht: Als die Regierung 1918 eine Gemeindewahlreform verspricht, kommt es zum Schulterschluss von Sozialdemokratinnen und bürgerlich-liberalen Frauen. Der Zerfall der Monarchie und die damit verbundenen politischen Umbrüche ebnen schließlich den Weg für das Frauenwahlrecht. Das unbekannte Wahlverhalten der Frauen macht jedoch vielen Angst. Jede Partei befürchtet, dass Frauen - die nach dem Ersten Weltkrieg mehr als die Hälfte der Wählerschaft ausmachen - ihre Stimme dem politischen Gegner geben werden. Viele Genossen glauben, Frauen würden "zu sehr unter dem Einfluss des Klerus stehen und [dass] der Erfolg der Revolution durch ihre Teilnahme am politischen Leben in Frage gestellt werden könnte", wie Victor Adler, Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, später in einer Rede sagte.

Die Furcht der Roten war begründet: Der Großteil der Wählerinnen wählt bürgerlich, allen voran die Christlichsozialen. Mit 82 Prozent liegt die weibliche Wahlbeteiligung 1919 jedoch unter jener der Männer (87 Prozent). Die Diskriminierung von Prostituierten, die von den ersten Wahlen 1919 noch ausgeschlossen sind, wird durch das Bundes-Verfassungsgesetz aus 1920 wieder aufgehoben.

Ab der ersten formalen Nationalratswahl 1920 sind schließlich alle Frauen wahlberechtigt. Universitäten, höhere Schulbildung und fast alle Berufe werden für Frauen geöffnet, der Höhepunkt der ersten Frauenbewegung ist der Einzug der ersten weiblichen Abgeordneten in den Nationalrat am 4. März 1919. Neben den Sozialdemokratinnen Anna Boschek, Emmy Freundlich, Adelheid Popp, Gabriele Proft, Therese Schlesinger, Amalie Seidel und Maria Tusch war Hildegard Burjan die einzige Christlichsoziale, fünf von ihnen sind ehemalige Arbeiterinnen und Haushaltsgehilfinnen.

Am 3. April 1919 hält Adelheid Popp als erste Frau eine Rede im Nationalrat zum Thema Abschaffung von Adelsprivilegien. Sie fordert die Reform des Familienrechts, Ziel ist die gleichberechtigte Obsorge. Obwohl der Kampf über Parteigrenzen hinweg getragen wird, erreichen die Politikerinnen nur einen Bruchteil ihrer Ziele. Gesellschaftliche Konflikte und die Weltwirtschaftskrise führen dazu, dass demokratische Errungenschaften rückgängig gemacht werden. "Unsere erträumte Welt werden wir nicht mehr schauen", lautet Adelheid Popps Fazit am Ende ihres Lebens.

1933/1934 wird die in der Verfassung verankerte Gleichstellung der Geschlechter abgeschafft. Unter dem austrofaschistischen Regime folgen viele Rückschritte: Das Lehrerinnen-Zölibat wird wieder eingeführt, 1933 verlieren alle weiblichen Bundesbediensteten ihre Arbeit. Es ist das Ende der ersten Frauenbewegung, gekämpft wird nun um das Überleben der Demokratie. Im Nationalsozialismus verlieren Frauen zwar nicht das aktive Wahlrecht, das ist angesichts des totalitären Regimes ohnehin nahezu bedeutungslos, aber das passive: Die NSDAP verweigert Frauen jede politische Kandidatur sowie jegliches politische Amt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzt sich in den 1950er Jahren ein reaktionäres Frauenbild durch. Die Situation der Frauen verbessert sich erst mit der zweiten Frauenbewegung in den 1970er Jahren: (freiwillige) Parteiquoten werden eingeführt, Gleichstellungspolitik wird institutionell verankert, Frauenhäuser werden zum Schutz vor häuslicher Gewalt errichtet, autonome Frauenvereine gegründet.

Vierte Welle

Im Vorjahr ist der umfangreiche Sammelband "Sie meinen es politisch: 100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich" erschienen.
© Löcker Verlag

Femizide, #metoo, Einkommensschere, mangelnde Repräsentation in Politik und Wirtschaft: Auch im 21. Jahrhundert bleibt viel zu tun. Die vierte Welle der Frauenbewegung, die gerade erst Fahrt aufnimmt, zeichnet sich durch Internationalität und Heterogenität aus, wie die Politologin Michaela Karl in "Die Geschichte der Frauenbewegung" erklärt. Doch nur ein Teil der heterogenen Gesellschaft ist zur politischen Partizipation befugt. Heute werde migrantischen Frauen (und Männern) das Wahlrecht ebenso verwehrt wie den Frauen vor 100 Jahren, heißt es in dem Sammelband "Sie meinen es politisch", der anlässlich des 100-jährigen Frauenwahlrechts erschienen ist.

Denn das Wahlrecht ist in Österreich an die Staatsbürgerschaft gekoppelt (ausgenommen EU-Bürger bei Kommunalwahlen), und das Staatsbürgerschaftsgesetz ist, verglichen mit jenem anderer europäischer Länder, sehr restriktiv. Vor allem das erforderliche Jahresnettoeinkommen von 10.700 Euro stellt für viele Frauen, die weniger verdienen als Männer, eine Hürde dar. Mehr als die Hälfte der Arbeiterinnen und 25 Prozent der weiblichen Angestellten in Österreich verdienen weniger, als für die Staatsbürgerschaft nötig wäre, rechnen die Autoren mit Zahlen der Statistik Austria vor. Auch dagegen protestieren Frauen, die am 8. März auf die Straße gehen. Denn wie die Politologin Karl treffend beschreibt, ist die vierte Welle der Frauenbewegung davon geprägt, was die Bewegung von Anfang an ausgezeichnet hat: Solidarität.

Arruzza, Cinzia; Bhattacharya, Tithi; Fraser, Nancy: "Feminismus für die 99%. Ein Manifest." Matthes & Seitz. Berlin, 2019.

Blaustrumpf ahoi (Hg.): "Sie meinen es politisch: 100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich." Löcker Verlag. Wien, 2019.

Hamann, Sibylle (Hg.), Popp, Adelheid: "Jugend einer Arbeiterin". Picus Verlag. Wien, 2019.

Koller, Christian: "Streikkultur. Performanzen und Diskurse des Arbeitskampfes im schweizerisch-österreichischen Vergleich 1860-1950." Lit Verlag. Wien, 2009.

Notz, Gisela: "Den Aufstand wagen", in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis. Heft 36, Jg. 17, 1994.

Schöpf, Elfie: Frauenstreik. Ein Anfang...Hintergrund, Portraits, Interviews. Zytglogge Verlag, Bern, 1992.

Unger, Petra: "Mut zur Freiheit: Mut zur Freiheit: Faszinierende Frauen. Bewegte Leben". Metro Verlag. Wien, 2009. (vergriffen)

Unger, Petra: "Frauen Wahl Recht: Eine kurze Geschichte der österreichischen Frauenbewegung." Mandelbaum Verlag. Wien/Berlin, 2019.

Hinweis: Frauenspaziergang mit Petra Unger zur ersten und zweiten Frauenbewegung am 14.3. um 14 Uhr, Treffpunkt vor dem Parlament: frauenspaziergaenge.at/events