Freiherr von Münchhausen als Kürassier. - © Wikimedia Commons
Freiherr von Münchhausen als Kürassier. - © Wikimedia Commons

Als "Lügenbaron" aus Filmen, Büchern und Erzählungen ist er fast jedem bekannt, der Baron von Münchhausen. Nicht jeder aber weiß, dass hinter den unglaublichen Geschichten, die unter seinem Namen kursieren und in denen der Baron beispielsweise seinen Ritt auf einer Kanonenkugel über ein Schlachtfeld beschreibt, eine real existierende Person steckt: Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen.

Im Gutshaus der Eltern wurde der "echte Lügenbaron" vor 300 Jahren, am 11. Mai 1720, in der heute zum deutschen Bundesland Niedersachsen gehörenden Stadt Bodenwerder im Weserbergland geboren. Nachdem sein Vater gestorben war, wuchs er gemeinsam mit sechs (nach manchen Quellen auch sieben) Geschwistern bei seiner Mutter auf dem elterlichen Gut auf. Im Alter von zwölf Jahren wurde der junge Hieronymus, der adeligen Tradition folgend, Page im Schloss Bevern, drei Jahre später bekleidete er eine ebensolche Stellung am Braunschweiger Hof in Wolfenbüttel. Mit siebzehn Jahren meldete er sich freiwillig zum Pagendienst am russischen Zarenhof beim Prinzen Anton Ulrich in St. Petersburg.

Während des russisch-türkischen Krieges nahm er 1737 an der Reise zur Festung Otschakow an der Schwarzmeerküste teil, die ihm später wohl den Hintergrund für seine heute bekannteste Geschichte - den erwähnten "Ritt auf der Kanonenkugel" - lieferte. 1744 heiratete er nahe Riga die Gutsherrentochter Jacobina von Dunten. Zarin Elisabeth I. beförderte ihn 1750 zum russischen Rittmeister. Noch im gleichen Jahr nahm Münchhausen seinen Abschied aus dem Militärdienst und kehrte nach Deutschland zurück, um das elterliche Gut in Bodenwerder zu übernehmen.

Im Lügenpavillon

Der Ritt auf der Kanonenkugel in einer Zeichnung von August von Wille (1828-1887). - © Wikimedia Commons
Der Ritt auf der Kanonenkugel in einer Zeichnung von August von Wille (1828-1887). - © Wikimedia Commons

Dort ließ er 1763 als Gartenhaus die berühmte "Münchhausen-Grotte" bauen, in der er Hof hielt und in Gesellschaft seiner Freunde und Jagdgäste viele seiner abenteuerlichen Erzählungen zum Besten gab. Als "Lügenpavillon" wird die Stätte deshalb heute im Volksmund bezeichnet. An diesem Ort wurden die unglaublichen Abenteuergeschichten des wilden Fabulierers geboren, in denen Münchhausen etwa schildert, wie er sich und sein Pferd an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zieht, im Bauch eines Riesenfisches überlebt, im Erdinnern mit Venus persönlich flirtet, um vom eifersüchtigen Vulkan hochkant hinaus- und auf die andere Seite der Erde befördert zu werden, einem Wolf in den Schlund greift und dessen Inneres nach außen wendet oder sein in den Schnee gefallenes Messer mittels eines gefrorenen Harnstrahls wieder zu sich herauf holt.

Haarsträubende Geschichten, in denen physikalische oder biologische Gegebenheiten ad absurdum geführt werden. Bei der Komposition seiner Abenteuererzählungen verstand es der geschickte Unterhalter Münchhausen, Überlieferungen aus dem Volksmund und seine mit viel Phantasie angereicherten eigenen Jagd- und Reiseerlebnisse in einer Weise zu verknüpfen, dass die Grenze zwischen Wahrheit und Dichtung für seine Zuhörer oft nur schwer zu erkennen war.

Abenteuerlich, aber wirklich geschehen ist die Geschichte, wie es zur weiteren literarischen Verbreitung der Münchhausen-Abenteuer kam. Nachdem in kleinerem Rahmen Autoren aus dem engeren Freundes- und Bekanntenkreis von Münchhausen aufgeschnappte Erzählungen zu Papier gebracht hatten, war es der gelegentlich als Gast bei Münchhausen in Bodenwerder weilende Universalgelehrte und Kustos Rudolf Erich Raspe, der am Beginn ihrer weltweiten Ausbreitung stand.

Raspe hatte 1774 aus den landgräflichen Sammlungen in Kassel Münzen mitgehen lassen, um seine Schulden zu bezahlen. Nachdem der Diebstahl entdeckt worden war, floh er nach England. Um dort an Geld zu kommen, veröffentlichte er unter Münchhausens Namen 1785 in London unter dem Titel "Baron Munchhausens Narrative of His Marvellous Travels und Campaigns in Russia" eine Reihe von aus der Erinnerung aufgeschriebenen Anekdoten und Reiseabenteuern, die er einst bei Münchhausens heiteren Abenden gehört hatte. Sein Buch wurde in England ein großer Erfolg und zog vier immer wieder erweiterte Neuauflagen nach sich.

Auch der deutsche Schriftsteller Gottfried August Bürger, der vor allem durch seine Balladen bekannt geworden war, erlangte von Raspes Buch Kenntnis. 1786 übersetzte er es ins Deutsche und erweiterte es dabei um viele Abenteuergeschichten. Ruhm brachte Bürger die um weitere Episoden vermehrte zweite Auflage seines Buches von 1788, "Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande - Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen", das bald in zahlreiche weitere Sprachen übersetzt wurde und Münchhausen als "Lügenbaron" weltberühmt machte.

Den echten Münchhausen freute seine Berühmtheit, obwohl man ihn bereits zu Lebzeiten über die Landesgrenzen hinaus auch als brillanten, humorvollen Erzähler würdigte, weniger, brachte sie ihm doch den Ruf als "Lügenbaron" ein und gab ihn - in seinen Augen - der Lächerlichkeit preis.

Der Ärger darüber vergällte ihm ebenso sein restliches Leben wie das späte Eheabenteuer, auf das er sich nach dem Tod seiner ersten Frau, die 1790 verstorben war, eingelassen hatte. Mit über siebzig Jahren heiratete er 1794 sein erst zwanzig Jahre altes Patenkind Bernhardine. Schon kurz nach der Hochzeit kam es zu Zerwürfnissen, weil die Gattin Avancen von jungen Verehrern nicht abgeneigt war. Wegen ehelicher Untreue reichte Münchhausen die Scheidung ein. Die Ehe endete in einem drei Jahre lang andauernden und Aufsehen erregenden, ruinösen Scheidungsprozess.

Ruinöser Prozess

Im Rahmen der Gerichtsverhandlungen kam dem historischen Baron Münchhausen auch noch seine Neigung zum Fabulieren in die Quere, denn der Anwalt seiner Gattin zog die veröffentlichten Lügengeschichten als Nachweis für die mangelnde Vertrauenswürdigkeit des Ehemanns heran. Der Baron verlor durch den Prozess fast sein ganzes Vermögen und musste das Gut Bodenwerder an seinen Neffen Wilhelm abtreten und fortan dort als Gast leben. Noch bevor der Scheidungsprozess offiziell abgeschlossen war, starb Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen am 22. Februar 1797. In der Klosterkirche Kemnade wurde er beigesetzt. Als Pate für den Begriff "Münchhaus(en)iade" als literarische Gattungsbezeichnung für prahlerische Lügengeschichten hat er bis heute in der Literaturgeschichte ebenso seinen Platz wie mit den von ihm überlieferten Geschichten.

Brunnen vor dem Münchhausen-Museum in Bodenwerder. - © CC Franzfoto
Brunnen vor dem Münchhausen-Museum in Bodenwerder. - © CC Franzfoto

In seiner Heimatstadt Bodenwerder im Weserbergland erinnert man heute vielfach an den Lügenbaron. So gibt es ein Münchhausen-Museum, das die Geschichte des berühmten Sohnes erzählt, und einen ihm zu Ehren errichteten Brunnen, der seiner "Geschichte mit dem halbierten Pferd" gewidmet ist. Seit 1997 verleiht die Stadt auch den Münchhausen-Preis für besondere Leistungen auf dem Gebiet der Darstellungs- und Redekunst.

Im nahen Kloster Kemnade befindet sich sein Grab in der Münchhausen’schen Familiengruft. Eine Steinplatte in der Klosterkirche erinnert dort auch an ihn. Die geplanten umfangreichen Feierlichkeiten zu Münchhausens Geburtstag fallen weitgehend den Einschränkungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie zum Opfer.

Neue Bücher zum Jubiläum

- © Faber & Faber/Thomas M. Müller
© Faber & Faber/Thomas M. Müller

Gottfried August Bürgers "Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen" erscheinen im für seine buchkünstlerisch hochwertigen Publikationen bekannten Leipziger Verlag Faber & Faber in einer knalligen Ausgabe. In ihr setzt der an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig lehrende Illustrator Thomas M. Müller die fantastischen Erzählungen mit 30 opulenten Bildern poppig grell in Szene (160 Seiten, Leinenband im Schmuckschuber, 37 Euro).

Münchhausens Abenteuer in der Ausgabe Gottfried August Bürgers mit den 1866 erstmals für die französische Veröffentlichung erschienenen lustvollen Holzstich-Illustrationen des weltberühmten Illustrators Gustave Doré (1832-1883) neu herausgegeben hat die Büchergilde Gutenberg. Der Kabarettist und Theatermann Rainald Grebe verfasste für "Des Freiherrn von Münchhausen wunderbare Reisen und Abenteuer" (208 Seiten, 26 Euro für Mitglieder) ein instruktives Nachwort, in dem er Münchhausen in unsere Gegenwart holt und aufzeigt, wie Dichtung, wenn sie ihren naiven Rahmen verlässt, zur Lüge wird.

Anlässlich dieser Neuauflage fiel den Büchergilde-Büchermachern auf, dass nicht alle Illustrationen Gustave Dorés aus der französischen Erstausgabe Eingang in spätere Münchhausen-Ausgaben fanden, so auch nicht in die 1954 erschienene der Büchergilde Gutenberg, die jetzt wieder aufgelegt wurde. Die im Buch fehlenden Graphiken erscheinen jetzt separat, bibliophil aufgemacht und im historischen Format eines Bilderbogens - einer Art Vorläufer, mit wahren und Sensationsgeschichten gespickten der Illustrierten - unter dem Titel "Münchhausen. Büchergilde Bilderbogen No 2" als zweifarbig bedrucktes Faltblatt im Format von 67 x 96 Zentimetern. Dorés Bilder umgibt dabei ein Text mit Teilen aus Münchhausens Memoiren, die im Vorfeld zu seinem 300. Geburtstag ganz überraschend wie aus dem Nichts aufgetaucht sind. Aus ihnen, betonen die Herausgeber des bibliophilen Spaßes, geht hervor: Münchhausens Geschichte muss umgeschrieben werden.

Hier erfahren wir, verspricht der Verlag, aus erster Hand die Wahrheit - und nichts als die Wahrheit! ("Münchhausen - Memoiren eines Lügenbarons". Münchhausen. Büchergilde Bilderbogen No 2.Herausgegeben von Cosima Schneider; Text von Lukas Gedziorowski, Illustrationen Gustave Doré, im bedruckten Schuber im Format 34 x 24 cm, 18 Euro für Mitglieder).