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Koreakrieg als "Wendepunkt der Geschichte"

Von Rolf Steininger

Wissen
US-Kampfflieger über Nordkorea, Ölgemälde von William S. Phillips.
© Corbis via Getty Images

Vor 70 Jahren, am 25. Juni 1950, begannen die Gefechte zwischen Nord und Süd, die drei Jahre dauern und Millionen Tote fordern sollten.


Der Krieg begann an einem Sonntag, im Morgengrauen des 25. Juni 1950. Um 4.00 Uhr eröffneten die Nordkoreaner entlang des 38. Breitengrades das Feuer auf Südkorea.

Für US-Präsident Harry S. Truman und seine Mitarbeiter war dies der Beginn einer groß angelegten, globalen, von Moskau gesteuerten kommunistischen Offensive. Für Außenminister Dean Acheson stand fest: "Durch diesen ersten offenen Aggressionsakt seit Ende des Zweiten Weltkrieges steht die Zukunft der gesamten freien Welt auf dem Spiel, zu deren Schutz die USA handeln. Wir sind an einem Wendepunkt der Geschichte angekommen."

Der nordkoreanischen, sprich sowjetischen Aggression musste daher entschlossen entgegengetreten werden. Für den Vorsitzenden der Chiefs of Staff, General Omar N. Bradley, war der Zeitpunkt gekommen, den Kommunisten unmissverständlich zu sagen: "Bis hierher und nicht weiter!" ("We must draw the line somewhere!") Truman stimmte dem zu. Noch war man allerdings der Meinung, mit den von Acheson empfohlenen Maßnahmen auszukommen: Waffenlieferungen zur Unterstützung Südkoreas, Einsatz der US-Luftwaffe zur Sicherung der Evakuierung von amerikanischen Frauen und Kindern aus Südkoreas Hauptstadt Seoul, Verlegung der 7. US-Flotte in die Straße von Formosa, um einen Angriff Rotchinas auf Formosa zu verhindern.

Blockade Nordkoreas

Am 26. Juni wurde deutlich, dass die Entwicklung in Korea weitergehende Maßnahmen erforderte. Der Fall Seouls stand unmittelbar bevor. Am Abend fand eine weitere Sitzung auf höchster Ebene in Washington statt. Am nächsten Morgen teilte Truman die dort getroffene Entscheidung mit: "Ich habe den Luft- und Seestreitkräften der USA den Befehl erteilt, den Truppen der südkoreanischen Regierung Schutz und Unterstützung zu leisten." Gleichzeitig war die Blockade und Bombardierung Nordkoreas beschlossen worden.

Erst zehn Stunden später wurde diese Maßnahme vom UNO-Sicherheitsrat nachträglich sanktioniert. Dies war nur möglich, weil Moskau den Sicherheitsrat nach wie vor boykottierte und Stalin es nicht für nötig gehalten hatte, einen Vertreter zu entsenden, da er mit einem schnellen Sieg der Kommunisten rechnete - das hatte ihm Nordkoreas Kommunistenführer Kim il Sung zugesichert.

Drei Tage nach dem kommunistischen Überfall fiel die Hauptstadt Seoul; fünf Tage nach dem Beginn der Kämpfe war die halbe südkoreanische Armee vernichtet; die Nordkoreaner standen tief im Süden der Halbinsel. Daraufhin ging Truman am 30. Juni einen entscheidenden Schritt weiter: Er genehmigte den Einsatz der zwei in Japan stationierten amerikanischen Divisionen in Korea, ernannte General Douglas MacAr-thur, den Helden des Pazifikkrieges, zum Oberbefehlshaber in Korea. Gleichzeitig ließ er Elitetruppen aus den USA nach Korea einfliegen. Denen gelang es, den Vormarsch der Kommunisten zu stoppen und im Südosten bei Pusan einen Brückenkopf zu bilden.

Formal war der Kampf gegen die nordkoreanische Aggression keine rein amerikanische Aktion, sondern ein United Nations Command auf der Basis der UNO-Resolution vom 27. Juni. Darin waren alle Mitglieder gebeten worden, Truppen nach Korea zu entsenden. Dies war die Geburtsstunde einer ersten internationalen Streitmacht, die sich in den nächsten Monaten allmählich komplettierte. Am Ende gehörten ihr neben Amerikanern und Südkoreanern Soldaten aus 15 Nationen an. Dabei stellten die Amerikaner allerdings nicht nur die Hälfte der Soldaten - rund 350.000 Mann -, sondern finanzierten auch das ganze Unternehmen.

Demarkationslinie

Wie war es überhaupt zu dieser Entwicklung gekommen?

Nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. bzw. 9. August 1945 war der Krieg gegen Japan praktisch beendet. Am 8. August hatte Moskau Japan den Krieg erklärt, die Rote Armee war seit dem 9. August an der Ostküste Koreas 80 Kilometer nach Süden vorgestoßen. Mitte August 1945 einigten sich Washington und Moskau auf den 38. Breitengrad in Korea als Demarkationslinie für die Entwaffnung der Japaner: im Norden sollten dies die Sowjets durchführen, im Süden die Amerikaner.

Wie im geteilten Deutschland verfestigte sich die Demarkationslinie bald zu einer Systemgrenze. Im Juni 1946 legte Edwin Pauley, der amerikanische Vertreter in der Alliierten Reparationskommission, Präsident Truman dann einen Bericht vor, in dem es u.a. hieß: "Offen gesagt beunruhigt mich unsere Position in Korea sehr. [...] Korea ist zwar ein kleines Land und vom militärischen Standpunkt aus von geringer Bedeutung; dafür ist es ein ideologisches Schlachtfeld, das unseren ganzen Einfluss in Asien entscheidend bestimmen kann. Die Handlungen der Russen lassen klar erkennen, dass sie nicht nur nicht die Absicht hegen, sich in naher Zukunft aus Korea zurückzuziehen, sondern vielmehr beabsichtigen, ihre Herrschaft in Nordkorea zu befestigen."

Kim il-Sung im Jahr 1950.
© Hulton Archive/gemeinfrei

Genauso kam es. Nordkoreas Kommunistenführer Kim Il-sung, der von sich einmal gesagt hatte, Stalins Befehl sei Gesetz für ihn, errichtete im Norden ein kommunistisches Regime, der Mann der Amerikaner im Süden war Syngman Rhee.

Alle Bemühungen um eine baldige Wiedervereinigung des Landes scheiterten in der Folgezeit. Im September 1947 beschloss die UNO-Vollversammlung, eine UNO-Kommission einzusetzen, die freie und geheime Wahlen für ganz Korea überwachen sollte. Dieser Kommission wurde jedoch Anfang 1948 die Einreise nach Nordkorea verweigert. Die Folge war die endgültige Spaltung des Landes. Im Mai 1948 fanden in Südkorea Wahlen statt. Syngman Rhee rief am 15. August die Republik Südkorea aus, Kim Il-sung am 9. September 1948 die Demokratische Volksrepublik Korea.

Entgegen jahrzehntelanger kommunistischer Propaganda stand von Anfang an fest, dass der Norden den Süden überfallen hatte. Wir wissen heute genau, wie es zu diesem 25. Juni 1950 gekommen ist. Auch hier gilt (wie für manch andere Aspekte des Kalten Krieges) die Kurzformel: Am Anfang stand Stalin - wenn auch be- und gedrängt von Kim Il-sung, der die Wiedervereinigung wollte. Die aber war nur mit Waffengewalt zu erreichen. Kim Il-sung bat Stalin erstmals bei einem Besuch in Moskau am 7. März 1949 um entsprechende Zustimmung. Der war wie immer misstrauisch und auch zögerlich und wies darauf hin, dass die nordkoreanische Armee eben keine Übermacht mit Blick auf die Truppen Südkoreas habe, und dass amerikanische Soldaten weiter in Südkorea stünden. Er bat Kim um Geduld; die Gelegenheit zur Vereinigung werde noch kommen. Im gleichen Jahr zogen Sowjets und Amerikaner ihre Truppen aus Korea ab.

Stalins Sinnesänderung

Anfang Februar 1950 kam Stalin dann aber Kims Bitte nach, drei nordkoreanische Divisionen mit modernen Waffen auszurüsten. Am 9. Februar befahl er, mit den Vorbereitungen für einen Überfall zu beginnen. Was ihn zu dieser Sinnesänderung veranlasst hatte, wurde beim Besuch Kims in Moskau vom 30. März bis 15. April 1950 deutlich. Stalin sprach da von der "verbesserten internationalen Lage". Damit meinte er in erster Linie den von Mao am 1. Oktober 1949 verkündeten Sieg in China gegen Chiang Kai-shek.

Mao, so Stalin, könne notfalls Truppen nach Korea schicken. Und Stalin hatte seit August 1949 "seine" Atombombe. Und er kannte die Rede von Dean Acheson. Der hatte 12. Jänner 1950 vor dem Nationalen Presseclub in Washington bei der Aufzählung der für die Sicherheit der USA wichtigen Gebiete im Fernen Osten zwar Japan und die Philippinen, nicht aber Formosa und Korea genannt.

Kim versicherte dem sowjetischen Diktator im April 1950, dass die Nordkoreaner Südkorea innerhalb von drei Tagen überrennen würden, kommunistische Sympathisanten würden sich dann im Süden erheben und die Befreier willkommen heißen; alles würde so schnell gehen, dass die USA keine Zeit zum Eingreifen hätten. Stalin machte seine Zustimmung zum Angriff allerdings von einer Zusicherung Maos abhängig, die Nordkoreaner zu unterstützen. Gleichzeitig genehmigte er militärische Aufbaupläne in Nordkorea. Seinen Generälen befahl er, entsprechende Planungen durchzuführen. Angriffsbefehle, die er wenig später persönlich genehmigte, sprachen von Gegenangriffen, um so den Eindruck zu erwecken, als ob Südkorea Nordkorea angegriffen hätte. Vom 13. bis 16. Mai 1950 besuchte Kim Peking und präsentierte Mao seinen Angriffsplan, wobei er betonte, dass Stalin ihn bereits genehmigt habe.

Maos Zustimmung

Mao blieb skeptisch und verwies auf die Möglichkeit eines amerikanischen Eingreifens. Aber schließlich stimmte auch er zu, offensichtlich aus zwei Gründen: Zum einen plante er selbst die Invasion Formosas und hatte um sowjetische Unterstützung gebeten. Stalin hatte das anfangs aus Furcht, damit die Amerikaner zu provozieren, ausgeschlossen. Während des Besuchs von Mao in Moskau einige Wochen zuvor hatte er aber seine Meinung geändert und die Chinesen ermuntert.

Viele Zivilisten waren vom Krieg betroffen: Mädchen mit Bruder am Rücken auf der Flucht, Südkorea. Juni 1951.
© National Archives and Records Administration/gemeinfrei

Von daher konnte Mao sich nicht gegen Kims Pläne aussprechen, ohne bei Stalin eine mögliche Sinnesänderung hervorzurufen. Und Kim konnte er seine Bitte nicht abschlagen, nachdem nordkoreanische Truppen gegenChiang Kai-shek gekämpft hatten und Nordkorea während des Bürgerkrieges in China 1946 bis 1949 als strategische Basis für seine Truppen gedient hatte.

Am 10. Juni gab Stalin Kim endgültig grünes Licht für den Angriff. Um seine Verantwortung für die Nachwelt zu vertuschen, setzte er die Unterschrift von Andrej Gromyko, damals stellvertretender Außenminister, unter das entsprechende Telegramm. Gleichzeitig befahl er als die "Instanz", wie er intern genannt wurde, die sowjetischen Berater vom 38. Breitengrad abzuziehen, und forderte eine "Geschichte" für die Nachwelt.

Die konnte man dann in offiziellen sowjetischen Militärenzyklopädien nachlesen: aus einem kommunistischen Überfall - detailliert geplant und durchgeführt - wurde eine Verteidigungsaktion, um einen amerikanischen Angriff zurückzuschlagen. Diese Version galt bis zum Ende der Sowjetunion im Jahre 1991 - und gilt in Nordkorea heute noch.

Der Krieg verlief völlig anders, als von Kim vorausgesagt. Er dauerte drei Jahre und kostete Millionen Menschen das Leben - unter ihnen allein 37.000 Amerikaner. Das Land wurde vollständig zerstört. Mindestens zweimal bestand dabei die Gefahr eines Atomeinsatzes, es gab Kriegsverbrechen, Massaker - und zum ersten und einzigen Mal die Ausrufung des Nationalen Notstandes in den USA.

Rolf Steininger, geboren 1942, ist Em. o. Univ.-Prof. und war von 1984 bis
2010 Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Uni Innsbruck.Weitere Informationen zum Thema – mit einer Fernsehdokumentation – finden sich auf der website des Autors: www.rolfsteininger.at