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Der Beginn des Atomzeitalters

Von Rolf Steininger

Wissen

Vor 75 Jahren, am 16. Juli 1945, erfolgte der erste erfolgreiche Test einer Atombombe, deren kriegerischer Einsatz nicht lange auf sich warten ließ.


"The Gadget" ("das Gerät") war der Codename der ersten Atomwaffe - hier am 15. Juli 1945, dem Tag vor dem ersten Versuch.
© Los Alamos National Laboratory

Am 16. Juli 1945, um 5:29:45 Uhr, begann das Atomzeitalter. In der Nähe des Städtchens Alamogordo in der Wüste des US-Bundesstaates New Mexico wurde die erste Atombombe erfolgreich gezündet. Der Trinity Test - den Codenamen hatte Robert Oppenheimer, der wissenschaftliche Leiter des Projekts, nach einem Gedicht von John Donne gewählt - übertraf alle Erwartungen.

Die Bombe entwickelte eine Energie von 20.000 Tonnen herkömmlichen Sprengstoffs TNT. Der Boden im Versuchsgebiet Ground Zero - von daher auch die Bezeichnung für spätere Zerstörungen, etwa nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York - senkte sich um zwei Meter und wurde zu Glas. Der Atomblitz wurde noch im Umkreis von 300 km bemerkt, die Explosion noch in 160 km Entfernung gehört. Den Journalisten wurde eine vorbereitete amtliche Erklärung übergeben: "Ein großes Munitionslager explodierte heute Morgen in der Nähe des Luftwaffenstützpunktes Alamogordo."

Der militärische Leiter des Projekts, General Leslie Groves, war überzeugt: "Der Krieg ist aus. Ein oder zwei dieser Bomben und Japan ist erledigt."

"Baby is born"

Die Nachricht von der erfolgreichen Explosion erhielt US-Kriegsminister Henry L. Stimson in Potsdam - wo zur gleichen Zeit die "Großen Drei" (US-Präsident Harry S. Truman, Kremldiktator Stalin und der britische Premierminister Winston Churchill) tagten - mit dem Satz: "Baby is born". In einem zweiten Telegramm an Stimson hieß es: "Der Doktor ist soeben zurückgekehrt und ist ganz begeistert und zuversichtlich, dass der kleine Junge genauso stark ist wie sein großer Bruder." Das hieß: es gab zwei einsatzbereite Bomben. Der kleine Junge war Little Boy, eine Uranbombe (Hiroshima), der große Bruder Fat Man, eine Plutoniumbombe (Nagasaki); der Doktor war Robert Oppenheimer.

Die Nachricht versetzte Truman in höchste Erregung. Stimson notierte am 21. Juli: "Der Präsident war ungeheuer aufgekratzt und sprach immer wieder mit mir darüber, wenn wir zusammenkamen. Er sagte, es gebe ihm ein völlig neues Gefühl der Zuversicht, und dankte mir dafür, dass ich mit zur Konferenz gekommen und anwesend sei, um ihm zur Seite zu stehen." Die Bombe, so Stimson, würde die amerikanische Politik auf allen Gebieten beeinflussen. Als Stimson Churchill informierte, gestikulierte der mit seiner Zigarre und antwortete erregt: "Was war das Schießpulver? Trivial! Was war die Elektrizität? Eine Kleinigkeit! Diese Atombombe ist das schreckliche Weltgericht!"

Begonnen hatte alles am 2. August 1939 mit jenem inzwischen berühmten Brief von Albert Einstein an US-Präsident F. D. Roosevelt, in dem er vor einer möglichen Atombombe Nazi-Deutschlands warnte. Am 19. Jänner 1942, sechs Wochen nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor, erteilte der Präsident dann die Genehmigung zu vorbereitenden Arbeiten für den Bau der Bombe. Der militärische Leiter wurde General Leslie Groves, der wissenschaftliche Leiter Robert Oppenheimer. Groves begann mit organisatorischen Arbeiten im New Yorker Stadtteil Manhattan; von da an hieß das Unternehmen Manhattan Projekt.

Im Sommer 1942 stampfte General Groves die Forschungsstadt Site Y bei Los Alamos in der Wüste von New Mexico, 50 km von Santa Fe entfernt, aus dem Boden. Der Ort war wegen seiner Einsamkeit, der Trockenheit und der statischen Elektrizität gewählt worden. Am 28. Dezember 1942 erteilte Präsident Roosevelt dann die definitive Genehmigung zum Bau der Bombe, nachdem ihm mitgeteilt worden war, dass sie bis 1944 fertiggestellt werden könnte: geplante Kosten 500 Mio. Dollar (nach heutigem Wert 5 Mrd.). Von nun an arbeiteten rund 100.000 Menschen unter höchster Geheimhaltung direkt und indirekt an diesem Projekt.

Als die Amerikaner Ende Juni Okinawa eroberten und die Invasion Japans vorbereiteten, verstärkte die Friedenspartei in Tokio ihre Bemühungen, den Krieg zu beenden. Anders die Militärs, die eine Art Götterdämmerung für das japanische Volk vorbereiteten: für die letzte Schlacht wurden Bambusspeere verteilt.

Auswahl der Ziele

In den USA waren mittlerweile die Vorbereitungen für den Einsatz der Atombombe weitergegangen. Eine Spezialeinheit von B-29- Bombern unter dem Befehl des 30-jährigen Oberst Paul W. Tibbets wurde im April auf die Marianeninsel Tinian im Pazifik verlegt. Am 2. Mai 1945 tagte in Washington jener Ausschuss, der zwei Bombenziele in Japan - und für den Fall schlechten Wetters zwei Ersatzziele - auswählte.

Man einigte sich auf vier Städte: Hiroshima (großer Hafen, militärisch wichtig), Kokura (wichtigstes japanisches Arsenal), Niigata (großer Hafen, Ölraffinerie, Aluminiumfabrik), Kioto (zahlreiche Kriegsindustrien). Stimson strich Kioto dann wegen seiner Kunstschätze aus dieser Liste und ersetzte es durch Nagasaki (größter Hafen, Werften, Rüstungsindustrie).

Alles war bereit für den Einsatz der Bombe. Nur wenige der an dem Projekt beteiligten Wissenschafter wurden von späten Skrupeln geplagt. Sie rieten, die Vernichtungskraft der Bombe den Japanern zunächst in einem Versuch zu demonstrieren, sie über unbewohntem Gebiet, etwa in der Bucht von Tokio, abzuwerfen und auf diese Weise das Land zur Kapitulation zu veranlassen.

Doch ein Ausschuss unter Leitung von Stimson entschied anders und empfahl Präsident Truman am 1. Juni 1945 den Einsatz gegen Japan, und zwar ohne vorhergehende Warnung und "ohne Rücksicht auf mögliche zivile Opfer". Die Wirkung der neuen Bombe sollte den Japanern eindeutig vor Augen geführt werden.

Am 18. Juni 1945 fand im Weißen Haus eine entscheidende Besprechung über die Weiterführung des Krieges im Pazifik statt. Truman gab sein Einverständnis zur ersten Phase des Unternehmens Olympic, der Invasion Japans, die am 1. November beginnen sollte. Generalstabschef George Marshall hatte ihm versichert, dass die Zahl der Toten und Verwundeten auf amerikanischer Seite 63.000 nicht überschreiten würde.

Ultimatum an Japan

Die Invasion war nicht das einzige Thema dieser Besprechung. Zum ersten Mal wurde in diesem Kreis auch darüber gesprochen, ob der Krieg möglicherweise auf politischem Wege beendet werden könnte. Japan solle die Chance erhalten, Kaiserreich zu bleiben. Damit würde für die Führung in Tokio die alles entscheidende Voraussetzung zur Beendigung des Krieges geschaffen. Für den Fall der Ablehnung sollte mit dem Einsatz der Atombombe gedroht werden. Truman war einverstanden und bat um einen entsprechenden Entwurf.

Der stellvertretende Kriegsminister John C. McCloy und zwei Vertreter des State Department erarbeiteten in den folgenden Tagen eine 13-Punkte-Erklärung, in der zwar die bedingungslose Kapitulation gefordert wurde, aber Punkt 12 enthielt die für Japan wichtigste Einschränkung - die Möglichkeit, das Kaiserhaus zu erhalten: "Die Besatzungstruppen der Alliierten werden abziehen, sobald diese Ziele verwirklicht sind und in Übereinstimmung mit dem frei zum Ausdruck gebrachten japanischen Volkswillen eine verantwortliche, friedliebenden Regierung gebildet ist. Dies kann auch eine konstitutionelle Monarchie unter der gegenwärtigen Dynastie einschließen, falls die friedliebenden Nationen von der aufrichtigen Entschlossenheit einer solchen Regierung überzeugt werden können, dass sie eine Friedenspolitik verfolgt, die die Entwicklung eines aggressiven Militarismus in Japan zukünftig unmöglich macht."

Am 2. Juli stimmte Truman dieser Erklärung zunächst zu, schloss sich dann aber James F. Byrnes an. Byrnes, seit dem 3. Juli neuer Außenminister, bestand mit den "Falken" im State Department und im Kongress auf der bedingungslosen Kapitulation und lehnte den zweiten Satz von Punkt 12 ab. Ähnlich sah das der ehemalige Außenminister Cordell Hull. Auch für ihn hörte sich dieser Satz zu sehr nach "Beschwichtigungspolitik" an. Dies entsprach der Stimmung in der amerikanischen Öffentlichkeit, wie eine Meinungsumfrage des Gallup-Instituts deutlich machte: ein Drittel der Befragten sprach sich für die Hinrichtung Kaiser Hirohitos aus, 37 Prozent waren zwar für ein Gerichtsverfahren, erwarteten aber lebenslängliche Haft oder Exekution; nur sieben Prozent meinten, man solle den Kaiser entweder in Ruhe lassen oder als Marionette benutzen. Der Satz wurde gestrichen.

Am 24. Juli 1945 erteilte Präsident Truman von Potsdam aus dem Oberkommandierenden der Strategischen Luftwaffe, General Carl Spaatz, den Befehl zum Einsatz der Atombombe: "Abwurf, sowie das Wetter nach dem 3. August 1945 [ein Tag nach Ende der Potsdamer Konferenz. Anm.] Bombardierung nach Sicht gestattet, auf eines der folgenden Ziele: Hiroshima, Kokura, Niigata oder Nagasaki."

Als Truman Stalin am selben Tag von der neuen Bombe unterrichtete - ohne das Wort Atombombe zu benutzen -, blieb dieser scheinbar vollkommen ungerührt, so als wisse er nicht, was diese Nachricht wirklich bedeutete. Er saugte ungerührt an seinem Zigarillo und meinte nur, er hoffe, die Amerikaner würden die neue Waffe gegen Japan einsetzen.

Stalins Spione

Wir wissen heute, dass Stalin über die amerikanische Atomforschung sogar besser informiert war als Truman, der erst bei der Amtsübernahme nach dem Tod von Roosevelt am 12. April von Stimson in das Atomgeheimnis eingeweiht worden war. Stalins Spione in Los Alamos hatten gute Arbeit geleistet. Gegenüber Geheimdienstchef Berija meinte er: "Truman will Druck auf uns ausüben, uns beherrschen. Seine Haltung ist besonders aggressiv gegenüber der Sowjetunion. Natürlich ist die Atombombe von Vorteil für Truman. Aber eine Politik der Erpressung und der Einschüchterung ist für uns inakzeptabel."

Am 26. Juli forderte Truman Japan ultimativ zur bedingungslosen Kapitulation auf. Im letzten Satz wurde drohend angekündigt: "Andernfalls bleibt für Japan nur seine sofortige und totale Vernichtung." Über den für Tokio entscheidenden Punkt, das Schicksal des Kaisers, sagte das Ultimatum nichts, ebenso wenig wurde die Atombombe erwähnt.

Tokio hatte Moskau wenige Tage zuvor um Vermittlung gebeten, hoffte auf bessere Kapitulationsbedingungen und beschloss, auf das Ultimatum zunächst überhaupt nicht einzugehen - es weder anzunehmen noch abzulehnen. Als Ministerpräsident Suzuki die Haltung seiner Regierung der Presse erläuterte, benutzte er das Wort "mokusatsu", ein Wort, das sowohl "ignorieren", "kein Kommentar", als auch "mit Verachtung strafen" bedeutet. Letzteres hatte Suzuki nicht gemeint, aber so wurde es in Amerika aufgefasst. Am 30. Juli lautete die Schlagzeile der "New York Times": "Japan lehnt das alliierte Ultimatum zur Kapitulation offiziell ab." Und Kriegsminister Stimson notierte: "Es blieb uns nichts anderes übrig, als den Japanern vor Augen zu führen, dass das Ultimatum genau das bedeutete, was es sagte, und um das zu tun, besaßen wir in der Atombombe ein geeignetes Mittel."

Das Verhängnis war nicht mehr aufzuhalten.

Rolf Steininger, geboren 1942, Em. O. Univ.-Prof., war von 1984 bis 2010 Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. www.rolfsteininger.at (u.a. mit einer TV-Dokumentation des Autors zum Thema).