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Zuerst Geiselbasar, dann Wüstensturm

Von Rolf Steininger

Wissen

Vor 30 Jahren befreite eine internationale Militärallianz unter Führung der USA das von Saddam Husseins irakischen Truppen besetzte Kuwait.


Während sich die Deutschen im Sommer 1990 auf die Vollendung ihrer Einheit vorbereiteten, entwickelte sich ein neuer Konflikt im Nahen Osten. 130.000 Soldaten des Irak unter seinem Diktator Saddam Hussein besetzten in den frühen Morgenstunden des 2. August 1990 das Öl-Scheichtum Kuwait. Damit brachte Hussein sieben Prozent der Weltproduktion und 20 Prozent der Weltreserven an Öl unter seine Kontrolle.

Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war das spätere Kuwait Teil einer Verwaltungseinheit innerhalb des Osmanischen Reiches, wurde aber nicht Teil des später gegründeten Irak, der die Souveränität Kuwaits 1932 und dann noch einmal 1963 - nachdem es 1961 von Großbritannien unabhängig geworden war - anerkannte. Unabhängig davon forderte er immer wieder die Angliederung Kuwaits als Teil der ehemaligen Provinz Basra, zumal der genaue Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten ungeregelt blieb. Der Einmarsch wurde denn auch von der irakischen Propaganda als "Wiedereingliederung" in das "irakische Mutterland" gefeiert.

Hinzu kam, dass der Irak nach dem Krieg gegen den Iran bei einigen arabischen Ländern hoch verschuldet war, allein bei Kuwait mit 80 Milliarden US-Dollar. Bagdad hoffte auf eine Reduzierung der Ölförderungsquote, dadurch auf eine Steigerung des Preises, um auf diese Weise seine Schulden bezahlen zu können. Da diese Rechnung nicht aufging, beschuldigte Bagdad unter anderem Kuwait, die Ölförderquoten überschritten zu haben. Außerdem habe Kuwait aus dem Iran-Irak-Krieg Vorteile für Ölbohrungen gezogen. Dem Irak seien hohe Verluste entstanden. Hussein drohte Kuwait, seine Forderungen notfalls auch militärisch durchzusetzen.

Umstrittenes Treffen

Jetzt kamen die USA ins Spiel, ohne die im Nahen Osten damals gar nichts lief. Am 25. Juli kam es zu dem "umstrittensten diplomatischen Treffen der jüngsten Geschichte" - so einige US-Historiker - zwischen Hussein und der amerikanischen Botschafterin April Glaspie. Hussein interpretierte deren Äußerungen offensichtlich als Zustimmung für die Invasion. Das von Bagdad veröffentlichte Protokoll vermittelt diesen Eindruck. Demnach habe Hussein gesagt, die USA sollten sich aus den innerarabischen Problemen heraushalten, worauf die Botschafterin geantwortet habe, die USA hätten "keine Meinung zu innerarabischen Streitigkeiten wie Ihre Unstimmigkeiten bezüglich der Grenze mit Kuwait".

In den frühen Morgenstunden des 2. August fand eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates in Washington statt. Es ging dabei nicht in erster Linie um Kuwait, sondern um die Sicherheit Saudi-Arabiens und die Ölversorgung der USA, die damals ein Viertel ihrer Ölimporte aus der Golfregion bezogen. Am Ende einigte man sich darauf, eine Resolution im UNO-Sicherheitsrat einzubringen und sich um die Zusammenarbeit mit Moskau zu bemühen.

Wenige Stunden später verabschiedete der UN-Sicherheitsrat denn auch mit 14 zu 1 (Jemen) Stimmen die Resolution 660, in der die Invasion als "Bruch des Weltfriedens" verurteilt und der sofortige und bedingungslose Rückzug der irakischen Truppen verlangt wurde.

Am 3. August hielt sich US-Außenminister James Baker in Moskau auf. Nach Gesprächen mit seinem Kollegen Schewardnadse und Sowjetführer Gorbatschow wurde ein gemeinsames Kommuniqué veröffentlicht, das in der Kuwait-Krise eine neue Partnerschaft zwischen beiden Ländern begründete.

In der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates am 4. August wurden die Ziele schon klarer formuliert. Außenminister Baker: "Saddam aus Kuwait vertreiben und ihm klarmachen, dass ein Angriff von seiner Seite auf Saudi-Arabien Krieg bedeutet." Für den Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, General Colin Powell, war klar: "Wir müssen Flagge zeigen." Zum Schutz Saudi-Arabiens und als Basis für zukünftige Aktionen in Kuwait müssten erhebliche US-Truppen nach Saudi-Arabien verlegt werden.

Zwei Tage später konfrontierten Verteidigungsminister Dick Cheney und General Norman Schwarzkopf König Faht in Jidda mit Satellitenaufnahmen von irakischen Truppen entlang der saudischen Grenze. Der König: "Wir müssen das tun. Am allerwichtigsten ist es jetzt, unser Land gemeinsam mit den Amerikanern zu schützen." Mit der Zustimmung des Königs lief die "Operation Wüstenschild" an. In den nächsten zehn Wochen wurden 200.000 GIs nach Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate verlegt.

Am 18. August teilte der irakische Parlamentspräsident mit, dass etwa 10.000 westliche Ausländer im Irak und in Kuwait auf strategische Einrichtungen wie Militärlager und Raffinerien verteilt würden. Als der UN-Sicherheitsrat am selben Tag die Ausreise dieser Bürger forderte, stellte Hussein klar, dass die Anwesenheit westlicher Ausländer "an lebenswichtigen Zielen eine militärische Aggression verhindern kann". Die Ausländer wurden zu "Schutzschilden"; sie würden freigelassen, wenn die amerikanischen Truppen aus Saudi-Arabien abgezogen und die Wirtschaftsblockade beendet würden.

"19. Provinz des Irak"

In der Folgezeit bemühten sich westliche Politiker um die Freilassung "ihrer" Landsleute. Den Anfang machte Österreichs Bundespräsident Kurt Waldheim, der Hussein als erster westlicher Staatsmann nach der Invasion am 26. August besuchte und dafür 95 festgehaltene Österreicher mitnehmen konnte. Ihm folgten der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt, der ehemalige britische Premier Edward Heath, der japanische Ex-Regierungschef Nakasone und US-Bürgerrechtler Jesse Jackson, die die Freilassung von Landsleuten aushandelten. US-Außenminister James Baker nannte das den Bagdader "Geiselbasar". Bis zum 13. Dezember kamen alle Geiseln frei.

Hussein ignorierte nicht nur sämtliche Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, sondern reagierte auch zunehmend aggressiv. Als der Sicherheitsrat am 25. August die Resolution 665 verabschiedete, mit der die angekündigten Sanktionen mit Hilfe von Schiffsblockaden durchgesetzt werden konnten, erklärte er Kuwait zur 19. Provinz des Irak und rief am 5. September zum "Heiligen Krieg" gegen die Präsenz der USA am Persischen Golf und zum Sturz von König Faht auf.

Es blieb nur der gewaltsame Weg zur Befreiung Kuwaits. Präsident Bush wollte einen "schnellen, klaren Sieg, ohne langen Bodenkrieg". Die Generäle Powell und Schwarzkopf entwickelten Ende Oktober einen entsprechenden Plan, der zur Grundlage der "Operation Wüstensturm" wurde: erst massive Luftschläge gegen Kommando- und Kommunikationszentren, Flugabwehranlagen etc., dann amphibische Landung, anschließend Einsatz von Bodentruppen. Powell: "Mit allem, was wir haben, reingehen und die Sache schnell beenden. Ein zweites Vietnam können wir dem amerikanischen Volk nicht zumuten."

Für die erfolgreiche Durchführung mussten die US-Truppen am Golf auf mindestens 500.000 Mann aufgestockt werden; dafür würden drei Monate benötigt. Entsprechend diesem Zeitplan beschloss der UN-Sicherheitsrat am 29. November einstimmig die berühmte Resolution 678: Die UN-Mitgliedstaaten wurden ermächtigt, "alle notwendigen Mittel einzusetzen, die Resolution 660 zu unterstützen und durchzuführen", sofern der Irak nicht bis zum 15. Jänner 1991 den UN-Resolutionen Folge leiste.

In den folgenden Wochen bemühte sich Washington erfolgreich um eine multinationale Anti-Irak-Koalition, die sich in einem vereinigten Militärbündnis widerspiegelte. Bis Anfang 1991 stellten 27 Länder - auch mehrere muslimische - insgesamt 660.000 Soldaten, von denen allerdings 74 Prozent Amerikaner waren. Am 12. Jänner stimmte der Kongress für den Kriegseinsatz - wenn auch nur knapp: 250 zu 183 im Repräsentantenhaus, 52 zu 47 im Senat: Einige sahen die nationale Sicherheit nicht bedroht.

Am 17. Jänner begann die "Operation Wüstensturm" wie geplant mit schweren Luftangriffen gegen den Irak. In einer Rede an die Nation versicherte Bush seinen Landsleuten: "Dies wird kein zweites Vietnam sein", während Hussein ihn als "Satan" bezeichnete und von der "Mutter aller Schlachten" sprach.

Am 24. Februar begannen die Alliierten mit ihrer Bodenoffensive. Nahezu ohne Widerstand besetzten sie am 27. Februar Kuwait City. Am 28. Februar verkündete Präsident Bush eine Waffenruhe. Am 3. März akzeptierte der Irak alle Bedingungen des UN-Sicherheitsrates für einen Waffenstillstand, der am 12. April in Kraft trat. Das war das offizielle Ende des Krieges.

Eine kritische Phase war der Abschuss von Scud-Raketen gegen Israel gewesen, hatte Hussein doch damit gedroht, chemische Waffen gegen Israel einzusetzen. Die Raketen waren aber eher harmlos, Israel griff nicht in die Kämpfe ein.

Triumph & Kritik

Die USA hatten einen außergewöhnlichen politischen und militärischen Erfolg bei relativ geringen Verlusten errungen: Nur etwa 300 Soldaten waren gefallen, die Kosten von rund 60 Milliarden Dollar hatten die Verbündeten weitgehend übernommen, Kuwait war wieder frei, Saddam Hussein geschwächt, die USA waren wieder die führende Macht im Nahen Osten.

Aber es gab auch Kritik: Warum hatte man Hussein an der Macht gelassen - und ihm ermöglicht, in den folgenden Wochen Aufstände der Kurden und Schiiten blutig niederzuschlagen? Bush verwies auf das UN-Mandat: Wäre man weitergegangen, "wären die USA zur Besatzungsmacht in einem arabischen Land geworden - wenn überhaupt, dann nur mit wenigen Alliierten an unserer Seite -, möglicherweise hineingezogen in den Sumpf eines städtischen Guerillakrieges." Davon hatte ihn Colin Powell mit den Worten abgeraten, es sei bei weitem einfacher, in den Irak hineinzugehen als wieder heraus.

Nach dem Patt im Koreakrieg und der Agonie in Vietnam hat Amerika einen Sieg gebraucht. Es gab auch wieder eine Siegesparade in Washington, auf der Bush verkündete: "Der Geist von Vietnam ist unter dem Sand der arabischen Wüste beerdigt worden." Damit schien auch das Kapitel Saddam Hussein abgeschlossen. War es aber nicht. Zwölf Jahre später gab es eine Fortsetzung.

Rolf Steininger war Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Ende Jänner erscheint von ihm "Das amerikanische Jahrhundert. Die USA als globale Führungsmacht" (hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt).