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Auf der Suche nach der Vergangenheit

Von Christina Mondolfo

Wissen

Ein antiker Tempel, ein Hügelgrab, eine Tonscherbe oder ein Faustkeil – all diese Dinge und viele mehr erzählen uns etwas über unsere Vergangenheit. Doch sie sind vielfältigen Widrigkeiten ausgesetzt – für die Archäologen ein Wettlauf gegen die Zeit.


Von ehemals sieben Weltwundern existiert nur mehr eines: die Pyramiden von Gizeh. Doch die glanzvollen Grabmäler haben das meiste ihrer Pracht verloren; der Großteil der Kalksteine der Ummantelung wurde abgetragen und für andere Bauten verwendet, den Rest erledigten die Elemente. Auch das Innere blieb nicht verschont – Grabräuber stahlen die wertvollen Grabbeigaben und sogar die Mumien der Pharaonen. Auch das Tal der Könige wies bereits bei seiner Entdeckung zahllose Spuren von menschlichen Eingriffen und Erosion auf, frühe Ausgrabungen trugen zusätzlich zur Zerstörung beziehungsweise zum Verschwinden von Artefakten und wichtigen Hinweisen auf die Hochkultur der Ägypter bei. Wobei man den ersten Archäologen vermutlich keine böse Absicht unterstellen kann, doch viele von ihnen sahen die Archäologie eher als Hobby oder Schatzgräberei und weniger als wissenschaftliche Disziplin. Und der Ägyptologe Sir William Matthew Flinders Petrie veröffentlichte die Prinzipien einer wissenschaftlichen Ausgrabung erst 1904: In seinem Werk "Methods and Aims in Archäology (Methoden und Ziele der Archäologie)" forderte er unter anderem Umsicht im Umgang mit den ausgegrabenen Monumenten und Artefakten, höchste Sorgfalt bei der Ausgrabung selbst sowie die Registrierung jedes vorgefundenen Details, eine detaillierte und saubere Vermessung und Kartierung des Ausgrabungsortes sowie die komplette Veröffentlichung der Resultate.

Umso mehr muss es heute im Fokus einer wissenschaftlich bestimmten, archäologischen Ausgrabung stehen, eine vollständige Dokumentation anzulegen. Vermessung, Zeichnung, Fotografie und schriftliche Erfassung der getanen Arbeit sind unabdingbar, denn wenn der Fundkontext zerstört ist, ist er sowohl für diese als auch nachfolgende Generationen von Archäologen unwiederbringlich verloren. Dank moderner Techniken wie Satellitenbilder, Photogrammetrie, Laserscan oder Bodenradar, um nur einige wenige zu nennen, können Fundorte jedoch bereits im Vorfeld genauer bestimmt und die Daten über das Fundmaterial und den Fundort ausgeweitet werden. Umfassende Bodenproben für die Archäobotanik, Mikrobiologie, Isotopenuntersuchung oder Thermolumineszenzdatierung sind ebenfalls ein wichtiger Teil der Arbeit, da sich daraus weitere Bewertungsmöglichkeiten der Funde ergeben. Besonders für frühe Kulturen, die keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben, ist die Erfassung des größtmöglichen Kontextes wichtig, da nur die Kombination und Verknüpfung aller umgebungsrelevanten Elemente Rückschlüsse auf Inhalte oder Verwendung diverser Funde ermöglicht.

Feinde der Archäologen

Die Natur ist gleichzeitig Bewahrerin und Zerstörerin der materiellen Hinterlassenschaften menschlicher Zivilisation. Während Wasser, Erde, Torf, Sand, Stein, Asche oder Eis organische Stoffe konservieren können, können sie sie gleichzeitig vernichten: Es sind meist einzigartige Umstände und Kombinationen von Zeit, Material und Umweltbedingungen, die für den Erhalt von Holz, Steinwerkzeugen, Waffen aus Metall, Keramik oder Knochen sorgen. Und für Archäologen ist es oft ein Glücksfall, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um rasch, aber sorgfältig, die Stücke zu bergen und sie für die Nachwelt zu erhalten.
Doch der schlimmere Feind als die Natur in Sachen archäologischer Funde ist meist der Mensch selbst. Als die spanischen Konquistadoren ab dem 15. Jahrhundert in Mittel- und Südamerika einfielen, suchten sie vor allem nach Gold und Silber, um die leeren Kassen Spaniens aufzufüllen und im Gegenzug dafür Ruhm, Titel und Besitz zu erhalten. Ihre Raubzüge waren erfolgreich, auf die einheimischen Völker und ihre Kunstobjekte wurde dabei keine Rücksicht genommen. Die meisten Kunstgegenstände wurden eingeschmolzen, um den Transport in die spanische Heimat zu erleichtern – für die internationale Nachwelt und die Erinnerung der Nachkommen der frühen indigenen Völker Mittel- und Südamerikas ging dadurch jedoch ein Teil ihrer Identität für immer verloren. Als Beispiel sei das sogenannte Goldfloß von Eldorado oder Pasca genannt: Das 18 Zentimeter lange Goldartefakt wurde im Jahr 1969 in einer Höhle südwestlich von Bogotá in Kolumbien gefunden, die früheste Datierung verweist auf das Jahr 600 nach Christus. Es ist heute im Museo del Oro in Bogotá zu bewundern und gilt als einzigartig unter den 35.000 Ausstellungsstücken. Es zeigt elf stehende Figuren sowie eine auf einem Thron sitzende, die Nasen- und Ohrenschmuck trägt. Forscher interpretieren diese Darstellung als Krönungszeremonie des neuen Muisca-Herrschers am Guatavita-See, die die Legende von Eldorado begründete. Der unbekleidete Auserwählte wurde nämlich mit Goldstaub bepudert, auf den See gerudert und tauchte dann in das Wasser ein, um das Gold von sich zu waschen – die perfekte Opfergabe für den Sonnengott. Diese Arbeit zeugt von höchster Kunstfertigkeit der Muisca, doch da sonst nur wenige weitere Stücke dieser Art gefunden wurden, bleibt vieles über dieses Volk weiterhin rätselhaft.

Kulturelles Gedächtnis

Ausgrabungsorte und archäologische Funde sind das kulturelle Gedächtnis eines Volkes. Sie sind bedeutend für das Verstehen der Entwicklung einer Region oder eines Staates und seiner Bewohner und heutzutage oftmals ein wichtiger touristischer Aspekt eines Landes. Sie haben aber auch politische Brisanz und sind daher oft Ziel von Zerstörung oder Plünderung in Kriegen oder bewaffneten Auseinandersetzungen. Das soll die Organisation "Blue Shield International" verhindern, wobei ihr sogar militärische Unterstützung zur Verfügung steht. Doch ihre Hilfe kommt nicht immer rechtzeitig und so musste die Welt 2001 mit Bestürzung zusehen, wie die Taliban die Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan, von der Unesco als Weltkulturerbe gelistet, sprengten. 2012 fielen die Lehmmoscheen von Timbuktu in Mali den Ansar-Dine-Islamisten zum Opfer, die ihren Akt der Zerstörung damit begründeten, dass alle Mausoleen, "die nicht mit islamischem Recht vereinbar seien", zu vernichten seien, denn die Verehrung von Heiligen und ihren Grabmälern sei ein Verstoß gegen den Islam.

2015 machte die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) nahezu ganz Palmyra, Unesco-Weltkulturerbestätte in Syrien, dem Erdboden gleich. So blieben nach der Sprengung des Baal-Shamin-Tempels, des Baal-Tempels, des berühmten Triumphbogens und von sechs Grabtürmen nur mehr Trümmer.

2008 erstrahlte sie noch in allem Glanz: Die Nabi-Yunus-Moschee in Mossul. Heute ist nur mehr ein Trümmerhaufen übrig.
© DeAgostini / Getty

Nur ein Jahr zuvor, nämlich 2014, hatte der IS im Irak die nach dem Propheten Jona (Nabi Yunus) benannte Moscheeanlage im Ostteil der Stadt Mossul, dem ehemaligen Ninive, gesprengt. Unter den Mauerresten gruben Mitglieder der Terrormiliz Tunnel, um die unterhalb der Moschee vermuteten Schätze aus der Zeit der Assyrer zu rauben. Als nach der teilweisen Befreiung der Stadt endlich wieder Archäologen nach Mossul durften, machten sie in den Tunneln aufsehenerregende Entdeckungen: Steinreliefs und ein riesiger Lamassu, ein geflügelter Torwächter mit Stierkörper und Menschenkopf, stützten die Annahme von der Existenz eines assyrischen Palastes unterhalb der Nabi-Yunus-Moschee. Der niederländische Archäologe David Kertai, Experte für assyrische Architektur, meinte jedoch, dass die gefundene Steintafel mit einer Inschrift von König Asarhaddon noch kein Beweis dafür sei, dass es sich bei den Funden tatsächlich um seinen Palast handle. Krieg und Terror haben in diesem Fall zwar ein wichtiges, identitätsstiftendes Monument zerstört, aber gleichzeitig den Archäologen neue Funde und damit in Folge Erkenntnisse über eine frühe Kultur beschert. Ein neuer Wettlauf gegen die Zeit, die Elemente und mögliche weitere Unterbrechungen durch Terror oder Politik hat begonnen.