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Ein vergessenes Grabmal eines lykischen Fürsten in Wien

Von Georg Plattner und Karoline Zhuber-Okrog

Wissen
Das 1889 hergestellte Modell des Heroons bezeugt das intensive Bemühen, am Ende des 19. Jahrhunderts die einzigartige Anlage in Wien verständlich zu machen.
© KHM Museumsverband

Das Heroon von Trysa ist das Monument mit dem vielleicht umfangreichsten Programm griechischer Mythen, das uns aus der Antike erhalten ist. Die Reliefs, die in den Jahren 1882–1884 nach Wien kamen, sollen nun endlich angemessen präsentiert werden.


Es ist beinahe 140 Jahre her, dass aus dem zerklüfteten Bergland Lykiens, einer Halbinsel im Südwesten der heutigen Türkei, einzigartige Relieffriese nach Wien gelangten. Mit einer Gesamtlänge von über 200 Metern und mehr als 600 aus dem Kalkstein gemeißelten Figuren entführen sie uns in die reiche Bilderwelt eines einheimischen Fürsten aus der Zeit des beginnenden 4. Jahrhunderts v. Chr., der wie ein Held (Heros) verehrt wurde. Die einst reich bemalten Reliefs schmückten die Umfassungsmauer seiner spektakulären Grabstätte in Trysa, einer antiken Siedlung mit einer befestigten Burg auf einem Bergrücken unweit von Myra (Demre). Der Name des Grabinhabers ist nicht bekannt. Es handelt sich aber sicherlich um einen der mächtigen Dynasten Lykiens, Herrscher, die wir aus der lokalen Münzprägung kennen.

Ein Modell aus dem Jahr 1889 erklärt die ursprüngliche Anlage. In zwei übereinanderliegenden Reihen schmückten die Reliefs alle vier Innenseiten der Umfassungsmauer sowie die Eingangswand außen. Durch ein monumentales Tor gelangte man in das Innere, in dem das mächtige Grabmal des Fürsten stand. Das Modell zeigt ein eingeschossiges Grabhaus in der für Lykien typischen Grabarchitektur, die eine ursprüngliche Holzkonstruktion in Stein wiedergibt. Heute wissen wir aber, dass auf diesem einst noch ein zweites mit reichem Reliefschmuck stand: In der doppelgeschossigen Anlage war auch die Bestattung von Angehörigen vorgesehen. Weitere Grabmäler befinden sich außerhalb der Mauern.

Bedeutender Kulturschatz

Die Reliefs des Grabdenkmals gehören zweifellos zu den wichtigsten Zeugnissen klassischer antiker Kunst und zu den bedeutendsten Relieffriesen der griechisch-römischen Kultur, die heute noch erhalten sind. Durch den Spiegel der griechischen Mythologie erzählen die Friese von der damaligen Gesellschaft. In einer einzigartigen, damals schon als "international" zu bezeichnenden Bilderwelt verbindet es klassisch-griechische, einheimisch-lykische, ägyptische und orientalische Elemente. Als Bildhauer hatte der Auftraggeber griechische Künstler an seinen Hof geholt, die das Bildprogramm entwarfen und gemeinsam mit ortsansässigen Steinmetzen umsetzten. Hinter den Darstellungen einzelner Szenen darf man durchaus reale Ereignisse aus der lokalen Geschichte und dem Leben des Grabinhabers vermuten.
Das Heroon war bereits in den Weihnachtstagen des Jahres 1841 entdeckt worden, als der preußische Gymnasiallehrer Julius August Schönborn Kleinasien bereiste, um die Geographie dieser damals unbekannten Landschaft zu erforschen. Begeistert versuchte er, die Berliner Museen zu einer Erwerbung der Reliefs zu bewegen, wie das im 19. Jahrhundert mit Genehmigungen der jeweiligen Staaten möglich und üblich war. Da diese Versuche scheiterten, verschwieg Schönborn die Lage des Grabmonumentes, um eine Erwerbung durch andere Nationen zu erschweren, und es erschienen nur Notizen zu seiner Entdeckung.

Umfassungsmauern des Heroons in der malerischen Berglandschaft Lykiens.
© Sinan Ilhan

Otto Benndorf, Professor für Archäologie in Wien, bemühte sich intensiv um die Erforschung Kleinasiens, und es gelang ihm, beim damaligen Ministerium für Cultus und Unterricht die Finanzierung einer Expedition zu erwirken. Am Ostersonntag, dem 17. April 1881, gelang ihm die Wiederentdeckung des Heroons, wovon Benndorf mit folgenden Worten berichtet:
"Wir verdoppelten unsere Anstrengungen, als wir auf der Sattelhöhe des steilen Berges angelangt die von Schönborn geschilderten Stadttrümmer mit ihren Sarkophagen erkannten und bald darauf an dem Ostende der nach Norden weiter aufsteigenden Akropolis die Reliefstreifen einer langen Mauer erblickten, die dem Heroon angehören musste. Vorauseilend arbeitete ich mich durch dorniges dichtes Gebüsch und Steingeröll athemlos rasch empor, auf das Eingangsthor zu, das sich in bedeutendem Abstande über den steilabfallenden Abhang, in der Mauer öffnete. Ohne bei dem Nächstliegenden, das in seiner Eigenart die Erwartungen steigerte, zu verweilen, kletterte ich erregt in den Steinfugen der Mauer zur Thorschwelle hinauf und sah mich im Inneren der Ruine plötzlich einer Fülle von Bildwerk gegenüber, die von benachbarten hohen Bäumen überragt und von innen aufgeschossener Vegetation theilweise reizvoll verdeckt, im Glanze der sinkenden Sonne einen wunderbaren Anblick gewährte. Ich bekenne, dass diese ersten Augenblicke der Betrachtung an dem langerstrebten und nun glücklich erreichten Ziele, in lautlos weihevoller Stille und Abgeschiedenheit einer großartig ausgebreiteten Natur, Steinwildnis ringsumher, mit dem Ausblick auf eine von Schneeketten umsäumte schluchtenreiche Gebirgslandschaft und das hochgewölbte endlose Meer, zu den tiefsten Eindrücken meines Lebens zählen."

In zwei weiteren Expeditionen, die diesmal von der eigens dafür ins Leben gerufenen "Gesellschaft für archäologische Erforschung Kleinasiens" finanziert wurden, konnten die Reliefs, Teile des Grabbaues und ein Sarkophag abgebaut, nach Wien transportiert und Kaiser Franz Joseph I. als Geschenk angeboten werden. Die damals gültigen Gesetze sahen eine Fundteilung archäologischer Kulturgüter vor, die dem Finder, dem Grundbesitzer und dem Staat jeweils ein Drittel zugestand. Auf diplomatischem Wege bemühte man sich um den gesamten Bestand der Relieffriese und hatte schließlich Erfolg: Die Ausfuhr aller Friesplatten wurde offiziell genehmigt, da "Zusammengehöriges nicht zu trennen" sei. Im Gegenzug leistete die Gesellschaft mit Unterstützung der k. k. Marine den aufwendigen Transport des sogenannten Delphinsarkophags aus Trysa nach Konstantinopel (Istanbul), der dort im archäologischen Museum ausgestellt ist.

Bewundert, aber wohin damit?

Die Reliefs wurden in Österreich mit großem Interesse empfangen und in Vorträgen und Zeitungsartikeln der Öffentlichkeit vorgestellt. Lediglich eine adäquate Aufstellung sollte zum Problem werden: Das Kunsthistorische Hofmuseum war im Bau bereits so weit fortgeschritten, dass eine Integration dieses Monuments nicht mehr möglich war. Die Versuche um eine Genehmigung eines Neubaus waren vergeblich, die damaligen Behörden bestimmten 1884 kategorisch, die Reliefs seien "zum Studium provisorisch aufzustellen".
Man fand eine Unterbringungsmöglichkeit im Tiefparterre des Kunsthistorischen Museums. Dort wurden die Friese – geteilt und in mehreren Reihen übereinander angeordnet – aufgestellt und mit Farbcodes deren Zugehörigkeit zu den jeweiligen Wänden des Heroons dokumentiert. Damals wurde auch das Heroonmodell hergestellt und dort gezeigt.
Dieses Provisorium bestand beinahe 100 Jahre und wurde um 1990 im Glauben aufgelöst, endlich eine Lösung für eine der Bedeutung des Monumentes gerechte Aufstellung gefunden zu haben. Nach mehreren Versuchen einer Präsentation im Museumsquartier oder unter dem Maria-Theresien-Platz wurde ein Projekt zur Unterkellerung des Heldenplatzes genehmigt, letztendlich aber trotz bereits zugesagter Finanzierung doch noch gestoppt, sodass die Reliefplatten seit damals in einem Depot untergebracht werden mussten. In der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums Wien weisen drei Platten mit Odysseus auf das ungelöste Problem hin, und zuletzt konnte 2018 ein weiterer Teil der Reliefs als Vorschau für eine Gesamtaufstellung im Ephesos Museum präsentiert werden.

Vorentwurf der Präsentation der Heroonfriese im Ephesos Museum in der Neuen Burg.
© Südstudio Stuttgart / KHM-Museumsverband

Die Lösung dieses inzwischen deutlich mehr als ein Jahrhundert ungelösten Problems ist nun in unmittelbare Nähe gerückt. Im Hochparterre der Neuen Wiener Hofburg wurden bauliche Maßnahmen gesetzt, die es erlauben, dass in zwei an das Ephesos Museum angrenzenden Räumen die Relieffriese nun endlich in ihrer vollen Länge ausgestellt werden können. Dazu war die Adaptierung des zuvor durch Wände unterteilten Bereiches und insbesondere die statische Aufrüstung notwendig, die das Aufstellen von fast 80 Tonnen Friesplatten erlauben. Diese Raumgruppe ist derzeit an das Haus der Geschichte Österreich vermietet.
Es bleibt zu hoffen, dass die Installation in naher Zukunft begonnen und so eine fast unendliche Geschichte zum Abschluss gebracht wird. Die Reliefs des Heroons von Trysa sollen hier zu einem neuen Höhepunkt in der europäischen Museumslandschaft werden.