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Der Putschversuch des Walter Pfrimer

Von Christian Hütterer

Wissen

Vor neunzig Jahren erschütterte ein Aufstand der Heimwehren Österreich, doch der Spuk war rasch beendet.


Am 14. September 1931 kannten die österreichischen Zeitungen nur ein Thema: "Putschversuch in der Steiermark" und "24-stündiger Wahnsinnsputsch", so lauteten einige der Schlagzeilen an diesem Tag. Grund für die Aufregung war ein Staatsstreich, mit dem der Steirer Walter Pfrimer versucht hatte, die Macht in Österreich zu übernehmen. Der Aufstand scheiterte innerhalb weniger Stunden und wird im Rückblick als Operettenputsch und dilettantisch vorbereitetes Fiasko gesehen. Doch wie kam es zu den turbulenten Ereignissen?

Schon bald nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie und der Ausrufung der Republik begann die Polarisierung der österreichischen Politik. Die Christlichsoziale Partei und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei standen sich diametral gegenüber. Beide Fraktionen riefen paramilitärische Verbände ins Leben: Auf der bürgerlichen Seite wurden die nach Ländern gegliederten Heimwehren gegründet (in der Steiermark nannte sich die Organisation Heimatschutz), die Sozialdemokraten reagierten darauf mit der Schaffung des Schutzbundes.

1927 erreichten die Spannungen einen ersten traurigen Höhepunkt. Bei einer sozialdemokratischen Kundgebung im burgenländischen Schattendorf wurden zwei Menschen ermordet, die Täter wurden jedoch freigesprochen. Dieses Urteil führte zu Unruhen in Wien, Demonstranten setzten den Justizpalast in Brand und die Polizei antwortete mit Gewalt. Als sich die Lage endlich beruhigt hatte, wurden 89 Tote und hunderte Verletzte gezählt.

Neuer starker Mann

Die Spirale der Radikalisierung drehte sich weiter und erreichte auch die Steiermark, so starben etwa 1929 bei einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Heimatschutz und Schutzbund in St. Lorenzen drei Menschen. 1930 verkündete die Heimwehr im Korneuburger Eid, dass sie nach der Macht greifen und den Staat grundlegend neu organisieren wolle. Doch die Heimwehren waren, auch wenn sie das gleiche Ziel verfolgten, kein homogener Block. Zwei Personen standen im Vordergrund: der Oberösterreicher Ernst Rüdiger Starhemberg und der Steirer Walter Pfrimer.

Starhemberg war 1930 zum Bundesführer der Heimwehr gewählt worden und versuchte, die Heimwehr unter dem Namen Heimatblock in der institutionellen Politik zu verankern. Das Antreten bei den Wahlen des Jahres 1931 verlief aber enttäuschend, Starhemberg musste seine Ämter zurücklegen und Pfrimer wurde der neue starke Mann der Heimwehr. Pfrimer wollte "die wirtschaftliche und kulturelle Wiedergeburt Österreichs auf religiöser, sozialer und vaterländischer Grundlage", und das sollte durch die Abschaffung der Demokratie sowie die Neuorganisation des Staates nach ständischen Prinzipien erreicht werden.

Um an die Macht zu kommen, schmiedete Pfrimer mit seinen Gehilfen einen Plan: Der Heimatschutz sollte in der Obersteiermark sozialdemokratische Veranstaltungen angreifen und die da-raus entstehenden Unruhen zum Vorwand nehmen, um gegen die Bundesregierung zu putschen und die Macht in Österreich an sich zu reißen. Wie weit die Kreise waren, die diese Pläne zogen, ist bis heute unklar. Pfrimer selbst behauptete später, dass der damalige Landeshauptmann der Steiermark, Anton Rintelen, sowie Polizei und Militär eingeweiht waren. Aus ungeklärten Gründen verwarf Rintelen den Plan zum Umsturz und änderte kurzfristig die Vorgehensweise.

Am 12. September 1931 erklärte Pfrimer schon am Nachmittag bei einem konspirativen Treffen auf Schloss Pichlarn, dass er die Macht in Österreich übernommen habe. Damit griff er den Ereignissen jedoch vor, denn erst am Abend erschien ein Schreiben Pfrimers, in dem er alle Heimwehrverbände in Österreich zu den Waffen rief und ihnen - nach dem Vorbild Mussolinis, der 1922 mit dem Marsch auf Rom die Macht in Italien übernommen hatte - den Befehl gab, den Marsch nach Wien anzutreten. Auch die Parteizeitung des Heimatschutzes ließ schon erahnen, dass etwas bevorstand, denn sie erschien mit der Schlagzeile: "Es muß und - wird was g’schehn!"

In allen Gebieten des Aufstandes wurde eine Proklamation "An das Volk von Österreich" plakatiert. In diesem von Pfrimer unterzeichneten Dokument hieß es: "In höchster Not hat mich das heimattreue Volk von Österreich zum obersten Hüter seiner Rechte berufen." Pfrimer setzte sich als "Führer des Staates Österreich" ein und erließ eine provisorische Verfassung, durch die er sich selbst die Gesetzgebung übertrug und mit der er das Bundesland Wien auflöste.

Julius Raab (hier im Jahr 1961), später Bundeskanzler, stellte sich als Leiter der niederösterreichischen Heimwehr gegen den Aufstand.
© BKA/BPD, Attribution, via Wikimedia Commons

In Teilen der Steiermark konnten die Putschisten rasch vorrücken, sie besetzten Verkehrsknotenpunkte sowie Postämter und verhafteten zahlreiche Personen, die Widerstand leisteten. Doch der von Pfrimer ersehnte Überraschungseffekt blieb aus. In mehreren Orten waren den Bewohnern Versammlungen von Bewaffneten mit Marschgepäck aufgefallen und in einem anderen Fall wurde der geheime Putsch auf geradezu skurrile Weise verraten: Heimwehrmänner kehrten zu später Stunde in einem Gasthaus ein, mit Verweis auf die Sperrstunde wollte sie der Wirt aber nicht mehr bedienen. Einer der Heimatschützer antwortete darauf, dass Pfrimer gleich die Macht im Staat ergreifen werde und die Sperrstunde abgeschafft sei.

Abgeebbter Elan

Das Netzwerk der Sozialdemokraten funktionierte gut, all diese Beobachtungen wurden den verantwortlichen Funktionären gemeldet und von ihnen rasch an die entscheidenden Stellen in Wien weitergegeben. Dort nahm Otto Bauer, einer der führenden Vertreter der Sozialdemokraten, Kontakt mit der christlichsozialen Bundesregierung auf und forderte ein rasches Eingreifen, um den Putschversuch im Keim zu ersticken. Sollte das nicht geschehen, so drohte er mit der Mobilmachung des Schutzbundes, um den Aufstand ohne die Hilfe staatlicher Stellen niederzuschlagen. Heeresminister Vaugoin reagierte zwar zögerlich, musste aber schließlich den Einsatzbefehl für das Bundesheer geben. Doch zu diesem Zeitpunkt war der Elan des Putsches bereits abgeebbt. Jene Aufständischen, die eigentlich über den Semmering nach Wien marschieren sollten, tauchten weitab von ihrem Ziel und aus bis heute unbekannten Gründen auf dem Gaberl westlich von Graz auf. Die Putschisten erhielten auch keine Unterstützung aus den anderen Bundesländern.

Der spätere Bundeskanzler Julius Raab, der damals der Leiter der niederösterreichischen Heimwehr war, gab bekannt, dass er gegen den Aufstand sei, und unterstellte seine Truppen dem Bundesheer, um zur Niederschlagung der Revolte beizutragen. Auch die Heimwehrführer aus den anderen Bundesländern lehnten Pfrimers Abenteuer ab oder reagierten einfach nicht auf seine Aufforderungen, sich an der Erhebung zu beteiligen. Lediglich Pfrimers früherer Rivale um die Führung der Heimwehr, der Oberösterreicher Starhemberg, nahm eine besondere Rolle ein. Er kontaktierte den Heeresminister und ersuchte ihn, den Vormarsch des Bundesheeres zu bremsen. Im Gegenzug würde er, Starhemberg, dafür sorgen, dass spätestens am Abend alle beteiligten Heimwehrmänner wieder in ihre Quartiere einrücken würden. Tatsächlich rückte das Bundesheer auffällig langsam gegen die Aufständischen vor, und so konnten bewaffnete Auseinandersetzungen vermieden werden.

Pfrimer wusste spätestens jetzt, dass sein Putsch gescheitert war. Über sein Verhalten in den entscheidenden Stunden gibt es verschiedene Darstellungen. Während die einen davon sprachen, dass er durch einen Nervenzusammenbruch oder eine Herzattacke handlungsunfähig war, gaben andere Zeugen zu Protokoll, dass er einen kapitalen Rausch hatte: "Ich fand den Landesführer völlig apathisch auf einem Divan liegen und zu jedem vernünftigen Handeln unfähig. Pfrimer duftete meterweit nach Alkohol."

Pfrimer floh am Abend des 13. September über die Grenze nach Jugoslawien und fand bei Verwandten in Maribor Unterschlupf. Der Putsch war nun vollständig verpufft, es folgte eine Reihe von Verhaftungen, darunter auch die des Heimwehrführers Starhemberg. In Summe ging die Regierung aber sehr zurückhaltend gegen die Putschisten vor. Insgesamt hatten etwa 14.000 Mann samt ihren Waffen an der Rebellion teilgenommen, die Exekutive beschlagnahmte aber nur etwas mehr als 2.000 Gewehre, das Arsenal der Heimwehr blieb also zu einem Großteil intakt.

Verhärtete Fronten

Nach einigen Monaten im Ausland kehrte Pfrimer nach Österreich zurück und stellte sich am 7. Dezember in Graz der Polizei. Wenige Tage später begann der Prozess, in dem Pfrimer und einige seiner Unterstützer wegen Hochverrats angeklagt waren. Schon während des Prozesses heizte sich die Stimmung weiter auf, denn während Pfrimer, die weiteren Angeklagten und viele Zeugen den Putsch herunterspielten (der steirische Landeshauptmann verharmloste die gesamte Aktion als "b’soffene G’schicht"), fürchteten die Sozialdemokraten, dass die Aufständischen ungeschoren davonkommen würden. Die Spannung entlud sich in Gewalt, so kam es etwa in Voitsberg nach einer Versammlung von Kommunisten zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei, bei der zwei Personen erschossen wurden. Nach einer Woche endete der Prozess mit einem Freispruch für Pfrimer und alle Mitangeklagten. Die Reaktionen auf das Urteil waren vorhersehbar: Linke Zeitungen schrieben von Klassenjustiz und bezeichneten das Urteil als "Keine Sühne für Hochverrat, Bürgerkrieg, Arbeitermord", von der bürgerlichen Seite wurde der Freispruch hingegen wohlwollend aufgenommen.

Der schlecht vorbereitete und jämmerlich gescheiterte Putschversuch hätte ein Signal an die beiden großen politischen Gruppen Österreichs sein können, ihre festgefahrenen Positionen zu lockern und aufeinander zuzugehen. Spätestens nach der Verkündung des Urteils stand aber fest, dass der Aufstand Pfrimers und seine mangelnde Aufarbeitung die Fronten zwischen den beiden politischen Lagern weiter verhärten würde.

Der steirische Heimatschutz radikalisierte sich sogar noch mehr und ging eine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten ein. Pfrimer selbst wurde auch Mitglied der NSDAP und nach dem "Anschluss" Mitglied des Reichstages. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er bis 1947 inhaftiert und nahm danach seine Tätigkeit als Rechtsanwalt wieder auf, 1968 starb er im Alter von 87 Jahren.

Christian Hütterer, geboren 1974, Studium von Politikwissenschaft und Geschichte in Wien und Birmingham, schreibt Kulturporträts und Reportagen.