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Was steckt in einem Namen?

Von Walter Klier

Wissen

Wie die jüdische Bevölkerung in Galizien ihre deutschen Namen erhielt. Erkenntnisse aus einem neuen Buch.


Der Familienname: Jeder hat einen, und kaum jemals denkt man darüber nach, was er bedeutet oder woher er kommt. An manchen Wendepunkten des Lebens, zum Beispiel wenn geheiratet werden soll, rückt er ins Rampenlicht. Manche Namen werden als "komisch" empfunden, obwohl sie ursprünglich sicher nicht komisch gemeint waren: Schoißwohl oder Himmelfreundpointner. Kommt er aus einer anderen Sprache, kann man ihn sich schlecht merken (Deldaripanah, Abdelazeem), gibt es davon genügend Träger und hat man von der zugehörigen Sprache eine Ahnung, geht es leichter: Prochaska oder Montecuccoli.

Und dann sind da die jüdischen Namen. Eine große Zahl von ihnen ist offensichtlich deutsch, sie werden als "komisch" empfunden, und es umgibt sie eine Aura des Besonderen. Was hat es mit ihnen für eine Bewandtnis?

Im Zuge der sogenannten Polnischen Teilungen wurde das Königreich Polen ab 1772 sukzessive unter die Nachbarmächte aufgeteilt; der südliche Teil kam unter österreichische Verwaltung. Es war nicht nur die Zeit des Absolutismus, sondern auch der Aufklärung, und diese beiden Strömungen führten bei den damals Herrschenden, also der russischen Zarin Katharina, dem Preußenkönig Friedrich und unserem Kaiser Joseph, zu einer jeweils sehr eigenwillig gemischten Art von Herrschaft.

Moderne Verwaltung

Man kann versuchen, sich das vorzustellen: Ich, von Gottes Gnaden Kaiser, König usw. habe einerseits die Weisheit mit Löffeln gefressen, nicht zuletzt dank der lebhaften Brieffreundschaft mit den führenden Geistern der Zeit (die in jenen Tagen so ziemlich alle ihren Wohnsitz in Paris hatten), und in meinem Reich geschieht alles genau so, wie ich es haben will - aber andererseits ist da auch das Volk, das Heinrich Heine später so treffend als "den großen Lümmel" titulierte. Und dieser "Lümmel" folgt nie so richtig, wenn man es wieder einmal besonders dringend von ihm will.

Im neuen Reichsteil, der den schönen Namen "Königreich Galizien und Lodomerien" bekam, sah Joseph die Möglichkeit, seine tatsächlich zahlreichen und vielfältigen Reformideen sozusagen auf der grünen Wiese zu verwirklichen. Diese Ideen standen unter dem übergreifenden Motto der "Toleranz", was nun (jedenfalls in der Praxis) nicht unbedingt bedeutete, dass eine Andersartigkeit der Untertanen, welcher Art auch immer, willkommen gewesen wäre, sondern eher im Gegenteil.

Die Untertanen waren für den Geschmack des Herrschers viel zu verschieden und sollten etwas gleicher, handhabbarer gemacht werden. Es ging darum, die "Subjekte" des Fürsten für die Verwaltung "lesbar" zu machen; dazu diente alles Mögliche, etwa die allgemeine Schulpflicht, die flächendeckende Einführung von Familiennamen, oder auch die zu dieser Zeit erfundenen Hausnummern. Es ging, man ist versucht, natürlich zu sagen, um Steuerlisten, die Erfassung der Wehrtauglichen, die Gültigkeit von Unterschriften auf Verträgen und anderen Dokumenten und dergleichen mehr.

Als besonders schwer "lesbar" wurden - nicht überraschend - die jüdischen Untertanen empfunden. Sie hatten ihre absonderliche Religion, ihre eigene Kleidung, sie hatten ihre komische Sprache, von der gesagt wurde, sie hätten sie extra erfunden, damit man sie nicht verstünde und sie somit ihre Betrügereien, die man ihnen ebenfalls routinemäßig nachsagte, besser ausführen konnten.

Tatsächlich hatten die Juden sogar zwei davon, nicht nur das Hebräische, sondern vor allem die Alltagssprache, also Jiddisch. Es liegt eine Ironie der Extraklasse darin, dass in einer Zeit der vom Schulsystem noch kaum angetasteten, enorm starken Dialekte ausgerechnet diese dem Deutschen so ungemein nahe Sprache als völlig unverständlich empfunden wurde.

Deutsch als Norm

Dem Kaiser Joseph schwebte vor, als Verwaltungssprache im ganzen Reich nach Möglichkeit das Deutsche einzuführen. Das war noch vor der "Erfindung" des Nationalismus, es entsprang dem aufklärerischen Nützlichkeitsprinzip. Große Teile der Beamtenschaft in den Kronländern waren schon bisher deutschsprachig gewesen und das Deutsche war als Verkehrssprache immerhin einigermaßen verbreitet.

Es war nur folgerichtig, dass bei einem weiteren Punkt auch auf das Deutsche zurückgegriffen wurde: bei den Familiennamen. Bei den Juden gab es in aller Regel das, was es bis heute in vielen Sprachen und etwa in Island fast ausschließlich gibt, nämlich Vatersnamen. Manchmal fungierten auch Spitznamen als eine Art Familiennamen, wohlhabendere Familien folgten dem Vorbild der Adeligen und hatten sich bereits Familiennamen im modernen Sinne zugelegt.

Es war also in der Zeit kurz vor 1800, da kamen die Juden zu ihren berühmten "komischen" Namen. Wie das im Einzelnen vor sich ging, hat bis heute erstaunlicherweise noch keinen Wissenschafter interessiert. Bisher existierte lediglich eine Art moderner Sage, nämlich die vom bösartigen, antisemitischen österreichischen Beamten, der sich bemühte, den Betroffenen so lächerliche Namen wie nur möglich zu geben. Von "Spott"- oder "Ekelnamen" war da die Rede, und wie man weiß, geistert die Fama von den lächerlichen Namen nicht nur durch die Literatur, sondern auch durch die jüdischen Witze und ist gewissermaßen Allgemeingut.

Erst im Herbst 2021 ist ein umfangreiches Werk dazu erschienen, "Nochems neue Namen", und es stellt das bisherige Wissen so ziemlich auf den Kopf beziehungsweise vom Kopf auf die Füße. Im Verlauf der Lektüre wird einem nämlich klar, dass es sich bei der oben skizzierten Geschichte tatsächlich um eine Sage handelt - nachzuweisen ist sie in dem ungemein reichhaltigen Archivmaterial, das der Historiker Johannes Czakai durchgeackert hat, bis auf seltene Einzelfälle nicht. Nach dem damaligen Maß des allgemeinen Antisemitismus ist leicht vorstellbar, dass es derartige Beamte gab - was sich aber tatsächlich feststellen lässt, ist nicht mehr und nicht weniger als das vor sich hin Werken einer mehr oder weniger tüchtigen, mehr oder weniger überforderten Bürokratie, die das tat, was sie überall und bis auf den heutigen Tag tut: Sie macht Dienst nach Vorschrift.

Im Übrigen hatte Kaiser Joseph zunächst nur an die Vornamen gedacht, und fürs Erste wurde eine Liste "akzeptabler" Namen erstellt. Das waren in der Regel die aus der Bibel stammenden, von denen etliche ohnehin von Christen und Juden gleichermaßen verwendet wurden und bis heute werden.

Die Geschichte mit den Familiennamen entstand dann aus einer Art "Stille-Post-Fehler". Die Wiener Zentrale ordnete die Einführung neuer Vornamen an - und in Galizien begann man, als habe man schlecht gehört, mit der Festlegung deutscher Familiennamen. Als das Werk so weit gediehen war, dass es kaum noch rückgängig gemacht werden konnte, meldete man pflichteifrig nach Wien, dass "diese Abänderung der Vornamen nicht mehr bewerkstellet werden könnte, und man eben aus diesen wichtigen Betrachtungen des gehor(samsten) Ermessens ist, die deutsche Benennung der Juden lediglich auf die Geschlechts Namen zu beschränken".

Viermal benannt

Das Bild, das sich im Detail bietet, ist sehr vielgestaltig. Meist war es offenbar willkommen, wenn die zu Benennenden schon Vorschläge mitbrachten, es gab auch routinemäßig jüdische Beisitzer, die bei der Prozedur mithalfen. In einer Gegend wurden lauter Ortsnamen als Nachnamen vergeben, die der zuständige Beamte aus seiner alten Heimat im Schwäbischen offenbar noch im Kopf hatte. Vielleicht hatte er Heimweh?

Gerne wurden auch galizische Ortsnamen als Nachnamen vergeben, bis man bemerkte, dass die polnischen Adeligen traditionell häufig solche Namen führten, und dass Juden plötzlich von Amts wegen adelige Namen trugen, durfte natürlich nicht sein. Also musste oder sollte das wieder rückgängig gemacht werden.

Kaiser Jospeh II., gemalt von einem unbekannten Künstler.
© Public domain / via Wikimedia Commons

So geschehen etwa bei dem im Buchtitel genannten Nochem, einem Lemberger Kleinhändler, von dem man sonst fast nichts weiß, außer dass er es in seinem Leben auf vier verschiedene Familiennamen brachte: zuerst Bilker, dann Baltstein (das mit dem adeligen "Waldstein" verwechselt werden konnte), dann Balstiner, schließlich Boldstirer.

Woher kamen die Namen, wie wurden sie gebildet? Insgesamt ähnelt das Material sehr dem, was es auch in anderen europäischen Ländern gab: Berufsbezeichnungen, körperliche oder sonstige Auffälligkeiten, die Herkunft, ein Vorname oder eben ein Spitzname. Und hier kommt eine größere Anzahl stets zweiteiliger erkennbar "künstlicher" Namen nach dem Muster "Goldstein" hinzu. Des weiteren ergab sich durch die Verschriftlichung und das danach immer fortgesetzte Abschreiben eine Menge an Entstellungen und Missverständnissen.

Das "Komische" der Namen lag womöglich in der josephinischen Idee, ausschließlich deutsche Namen zu verwenden, also solche, die ihre Träger mehrheitlich gar nicht verstanden; und dass diese Familiennamen, anders als alle übrigen, nicht auf scheinbar natürlichem Weg entstanden waren, sondern "künstlich" und alle auf einen Schlag. (Da fällt einem die Parallele zur zwangsweisen Italianisierung der deutschen Südtiroler während der faschistischen Ära ein; wahrscheinlich ließen sich weltweit ähnliche Vorgänge finden.)

Selbstironie & Spott

Etwas von dem "Komischen" einer solchen konzertierten Aktion hat sich im allgemeinen Bewusstsein gehalten und wurde dann erzählerisch mit dem erwähnten bösartigen Beamten verquickt. Das verhinderte allerdings nicht, dass ein Teil der Betroffenen die neuen "deutschen" Namen als Prestige-Zugewinn empfand; andere schenkten ihnen keine Beachtung, wieder andere versuchten, nochmals andere Namen anzunehmen, um sich dem Zugriff der Behörde zu entziehen.

Mit Josephs Tod 1790 erlosch der Reformeifer, der vorher schon sehr unterschiedlich stark ausgebildet gewesen sein dürfte, dann völlig. Was blieb, bis heute, sind die Namen.

Selten ist mir ein so lesenswertes Buch über ein scheinbar so abseitiges Thema untergekommen. Eine Frage aber wirkt noch in mir nach: Warum sollten ausgerechnet die jüdischen Familiennamen aus Galizien irgendwie lustiger sein als andere? Was an, meinetwegen, Finkielkraut lustiger sein soll als an Hebenstreit (so hieß meine Urgroßmutter), wird bei Lichte besehen nicht klar.

Mein Vorschlag zur Güte: Nehmen wir einmal an, die Juden hätten um 1800 ihre weltberühmte Witzkultur schon gehabt; ergo machten sie sich über die neu zugeteilten Namen lustig, und dies wurde dann von der missgünstigen nichtjüdischen Umwelt dahingehend gewendet, dass es sich bei den besagten um lächerliche Namen handle. Vielleicht fällt jemandem etwas Besseres ein?

Johannes Czakai: Nochems neue Namen. Die Juden Galiziens und der Bukowina und die Einführung deutscher Vor- und Familiennamen 1772-1820. Wallstein, Göttingen 2021, 560 Seiten, 59,70 Euro.

Walter Klier, geboren 1955, lebt als Schriftsteller und Maler in Innsbruck.