Zum Hauptinhalt springen

Das Ende eines Traumes

Von Brigitte Biwald

Wissen

Der Journalist und Autor wurde vor 200 Jahren geboren und war ein publizistischer Kämpfer der Revolution von 1848.


Nach der vormärzlichen Öde der inländischen Publizistik kam es im Sturmjahr 1848 zu einer "Explosion" der Presselandschaft, deren Vielfalt noch heute beeindruckt. Hermann Jellinek war Teil dieses Geschehens. Wer war dieser junge Mann? Ein Philosoph? Ein Demokrat? Ein Radikaler? Ein früher Sozialist? 

Jellinek war ein Journalist mit zündender Rhetorik. Ab April 1848 betätigte er sich in Wien als politischer Publizist. Als solcher entwickelte er ein umfangreiches politisches Programm, das alle Zeichen des Frühsozialismus trug. Er forderte die Aufhebung des Adels, die Befreiung der Bauern, die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz sowie das Recht auf Arbeit. Jellinek gehörte zur Gruppe junger jüdischer Revolutionäre wie Fischhof oder Goldmark, die auch im weiteren Verlauf der politischen Kämpfe um Demokratie und Freiheit eine zentrale Rolle spielten. Die meisten dieser jungen Männer waren aus der Provinz nach Wien gekommen und hatten unter schwierigen materiellen Bedingungen studiert. Die Ärzte, Journalisten und "Literaten", die ihre Existenz mitunter ohne geregeltes Einkommen fristeten, waren revolutionär gesinnt. Viele jüdische Intellektuelle waren im Zeitungswesen zu finden.

Getrennte Wege

Hermann/Herschel Jellinek wurde am 22. Jänner 1822 als einer von drei Söhnen von Isaak Löw Jellinek und dessen Frau Sara im mährischen Drslawitz geboren. Sein Vater war Pächter einer herrschaftlichen Branntweinbrauerei. Die Mutter stammte aus einer Rabbinerfamilie. Sein Bruder Aron, der sich später Adolf nannte, war 1820 geboren worden, 1824 kam Moyses/Moritz auf die Welt. Schon in jungen Jahren waren Hermann und seine beiden Brüder wissbegierige, begabte Kinder. Adolf erreichte als jüdischer Gelehrter und liberaler Rabbiner in Leipzig und Wien hohes Ansehen. Moritz war Ökonom und später Unternehmer.

Da die Mutter früh verstarb, wuchsen die Knaben bei der Großmutter mütterlicherseits in Ungarisch Brod auf, wo sie sowohl die jüdische Grundschule als auch die deutsche Normalschule besuchten. Ab dem 13. Lebensjahr gingen Hermann und Adolf in die Talmudschule in Proßnitz. An der Prager Universität studierten beide ab 1839 moderne Sprachen, Literatur, Philosophie und Geschichte. Geld verdienten sie als Hauslehrer.

1842 wechselten die Brüder an die Universität Leipzig. Im Gegensatz zu den österreichischen Universitätsstädten war Leipzig als Zentrum des Buchhandels eine der geistig aktivsten Städte auf dem Gebiet des Deutschen Bundes und auch ein beliebter Rückzugsort österreichischer regimekritischer Intellektueller. Genau dort begann Hermann sich politisch zu engagieren, was seinem Bruder Adolf gar nicht gefiel.

Jellineks Verlegerfreund Alfred Julius Becher (1803-1848).
© Gabriel Decker / Peter Geymayer, Public domain, via Wikimedia Commons (Ausschnitt)

Hermann befasste sich mit Hegel und Feuerbach, studierte Naturwissenschaften und Volkswirtschaft. In einem ersten publizistischen Beitrag in der jüdischen Kulturzeitschrift "Der Orient", wo auch Adolf mitwirkte, positionierte sich Hermann als grundsätzlicher Religionskritiker und Gegner jeder Theologie. Hermanns weltanschauliche Entwicklung ging somit in eine ganz andere Richtung als diejenige Adolfs. Dieser stand am Beginn einer Karriere als bedeutender jüdischer Prediger.

Hermann Jellinek zählte schon vor 1847 zu den äußersten Linken und orientierte sich an frühsozialistischen Denkern wie Proudhon und Fourier. Nach Abschluss seiner Studien mit der Promotion wurde er 1847 aus dem Königreich Sachsen ausgewiesen. Kurz vorher hatte er sich in Leipzig in Amalie Hempel, Tochter eines Seifensieders, verliebt. Von Geldsorgen geplagt, zog Hermann mit Amalie 1847 nach Berlin. Nachdem er von den revolutionären Ereignissen des 13. März 1848 erfahren hatte, reisten die beiden nach Wien. Sofort nach Ankunft veröffentlichte Jellinek eine kleine Broschüre an die "Wiener Bürger und Studenten".

Jüdische Intellektuelle wie Jellinek galten als scharfsichtige Analytiker. Der Stil der Publizistik hatte sich buchstäblich über Nacht geändert. Metternichs Sprachrohr, der "Österreichische Beobachter", wurde in die "Allgemeine Österreichische Zeitung" übergeleitet. Sogar die "Wiener Zeitung" geriet im Sturmjahr aus ihrem Gleichgewicht; unter rasch wechselnden Redaktionen boten ihre Spalten ein buntes Sammelsurium unterschiedlichster politischer Meinungen. Etwa 200 Blätter, davon 90 täglich erscheinende, wurden zwischen März und Oktober 1848 gegründet. Hermann Jellinek verfasste zunächst Leitartikel für die "Allgemeine österreichische Zeitung", in denen er die Habsburger vehement angriff, und arbeitete mit Alfred Julius Becher und dessen Zeitschrift "Der Radikale" zusammen. Als "erste Grundfrage für Österreich", sah er die "Zertrümmerung der Privilegien des Besitzes" durch ein "soziales Wahlgesetz".

Nachdem am 25. April die sogenannte "Pillersdorfsche Verfassungsurkunde" bekannt wurde, bekämpfte er diese. Selbstbewusst trat er für die Gleichberechtigung aller, für eine "große sociale Revolution" und die Errichtung der "Demokratie" ein. Damit zählte der junge Journalist zum äußersten linken Flügel der revolutionären Bewegung.

Radikalisierung

Die Kampagne, die Hermann Jellinek und seine Mitstreiter gegen die Pillersdorfsche Verfassungsurkunde führten, zeigte im Mai Wirkung. Nach der sogenannten "Sturmpetition" und dem Aufmarsch vor der Hofburg, wo der Ministerrat tagte, gab die Regierung nach und das Prinzip der Volkssouveränität wurde zugestanden. Wien war in einem wahren Freudentaumel, die "schwarz-rot-goldene" Begeisterung erreichte ihren Höhepunkt. Mit dabei die Demokraten, die allerdings in sich gespalten waren. Sie hatten die Wahl zwischen "schwarzgelb", also der eigenständigen österreichischen Staatlichkeit, und "schwarz-rot-gold" mit dem Anschluss an einen deutschen Bundesstaat. Jellinek vertrat die deutsche Lösung.

Das Triumphgefühl der Revolutionäre hielt jedoch nicht lange an. Als Kaiser Ferdinand nach Innsbruck flüchtete, schlug die Stimmung bei der großen Mehrheit der Bürger in "Katzenjammer" um. Hermann Jellinek, der fühlte, dass die Bevölkerung nicht noch mehr verschreckt werden durfte, nahm Stellung für eine "constitutionelle Monarchie". Rund 2.000 demonstrierende Erdarbeiter standen am 19. Juni erstmals der Nationalgarde gegenüber. Jellinek versuchte zu vermitteln. Er trat in seinen Artikeln für die politischen und sozialen Ansprüche der Arbeiter ein und wollte eine Spaltung zwischen dem demokratisch gesinnten Klein- und Bildungsbürgertum und dem Proletariat vermeiden.

Dabei geriet er selbst in eine Welle des neu entflammten Judenhasses. Zwar sahen sich die revolutionären Juden vor allem als Kämpfer für die allgemeine Freiheit und weniger für ihre eigenen jüdischen Anliegen. Dennoch formierten sich die antijüdischen Kräfte auch 1848. So bildete sich auf der katholischen Seite eine konservative Front gegen den jüdischen Liberalismus. Der junge Pfarrer Sebastian Brunner, Mitarbeiter der "Wiener Kirchenzeitung", beschimpfte Hermann Jellinek als "Sophist, Socialist, Fatalist, Antichrist, Talmudist".

Am 23. August wurden aufbegehrende Arbeiter in der "Praterschlacht" niedergeworfen. Während das sogenannte "Besitzbürgertum" zufrieden war, bedeutete das blutige Ende der Augustunruhen eine schwere Niederlage für das Konzept der Demokraten, einer bürgerlichen "Revolution des ganzen Volkes". Mit zunehmender Sorge beobachte Jellinek die Vorgänge in Ungarn. Ihm war klar, dass der Kampf zwischen der regimetreuen Jelačić-Armee und den ebenso aufbegehrenden Ungarn für die Überlebenschancen der Revolution in Wien entscheidend war. In einer großen Volksversammlung am 10. September, organisiert vom Demokratischen Verein, hielt er eine Rede. Er setzte sich mit den damaligen Verhältnissen Ungarns in Bezug auf Österreich auseinander und wies darauf hin, "dass die Freiheit oder Untergang derselben in beiden Ländern eng miteinander verknüpft" sei.

Als am 6. Oktober Wiener Truppen zur Unterstützung der Armeen Jelačićs ausrücken wollten, erhoben sich Arbeiter, Studenten und Teile der Nationalgarde. Kriegsminister Latour wurde während dieses blutigen Aufruhrs gelyncht, der Hof verließ Wien ein zweites Mal. Hermann Jellinek sah in den Ereignissen des 6. Oktober - mit Ausnahme der Ermordung Latours - einen vermeintlichen Erfolg. Der Kampf für die "sociale Demokratie" war nun nach seinem Dafürhalten "eingeleitet", und er nahm daran teil.

Als am 23. Oktober die Armeen von Windischgrätz und Jelačić die Stadt einschlossen, standen nur einige tausend Verteidiger bereit. Die bürgerlichen Nationalgarden zogen sich zurück. Jellinek, seit 25. September 1848 Vater einer Tochter, schloss sich dessen ungeachtet dem neu gegründeten "Elite-Corps" an. Die Schlacht um Wien begann am 26. Oktober 1848. Jellinek erlebte auf den Barrikaden den Einmarsch der Truppen von Windischgrätz.

Die Rache der Sieger

Am 31. Oktober fanden die letzten Kämpfe in Wien statt, an denen sich Jellinek nicht mehr beteiligte. Als man ihm riet, so wie andere Revolutionäre die Flucht zu ergreifen, ging er nicht darauf ein. Am 5. November wurde er in der Wohnung der Frauenrechtlerin Baronin Perin, der Geliebten seines Verlegerfreundes Alfred Julius Becher, verhaftet. Am 20. November führte man Jellinek vor ein Militärtribunal, wo man ihm und Becher vorwarf, mittels publizistischer Tätigkeit auf die "gänzliche Zerstörung" der "bestehenden Staatseinrichtung" hingewirkt zu haben.

Jellinek protestierte erfolglos. Am 22. November wurde das Todesurteil verkündet. Er sorgte sich bis zu seiner Hinrichtung um seine Braut und seine Tochter Hermine. Er bat seinen Vater, das Kind zu adoptieren und seine Lebensgefährtin zu unterstützen. Am 23. November wurden der 26-jährige Jellinek und Alfred Julius Becher von einem Hinrichtungspeloton "im Stadtgraben vor dem neuen Thor" erschossen. Die Beisetzung erfolgte am 25. November auf dem Währinger Friedhof.

Hermann Jellineks Bruder Adolf erreichte als jüdischer Gelehrter und liberaler Rabbiner in Leipzig und Wien hohes Ansehen.
© www.lbi.org / Adolf Jellinek, Public domain, via Wikimedia Commons (Ausschnitt)

Dieser stand- und kriegsrechtliche Prozess war die juristische Formalisierung eines höheren militärischen Befehls gewesen. Es sollte ein Exempel statuiert und der Presse signalisiert werden, dass künftig enge Grenzen der Berichterstattung und Kommentierung eingehalten werden mussten. Die Willkür des Todesurteils wurde sofort erkannt, nicht nur bei den Unterstützern der Revolution.

Jeder Versuch, die Erinnerung an 1848 zu bewahren, sollte im Keim erstickt werden. Trauernde brachten im November 1849 Kränze auf den Kirchhof in Währing. Sie galten dem Andenken Messenhausers, Blums, Bechers und Jellineks. Die Kränze wurden weggeschafft und der Friedhof wurde geräumt und bewacht. Der revolutionäre Traum war zu Ende. Das Denkmal für die vier Hingerichteten befindet sich im Währinger Park.

Literatur:

Wolfgang Häusler
Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung
Demokratie und soziale Frage in der Wiener Revolution von 1848. Wien 1979.

Klaus Kempter
Die Jellineks 1820-1955
Eine familienbiographische Studie zum deutschjüdischen Bildungsbürgertum. Düsseldorf 1998.

Brigitte Biwald, geboren 1951, ist Historikerin; Veröffentlichungen zum Thema Medizin- und Militärgeschichte, lebt in Perchtoldsdorf.