Die Venus von Willendorf besteht aus norditalienischem Gestein. Das berichtet ein Team um Gerhard Weber vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien. Die Steinzeitjäger und -sammler hatten demnach eine weite Fußreise mit ihr zurückgelegt, bevor sie in der Wachau verloren ging und 30.000 Jahre später, 1908, ausgegraben wurde. Die Studie wurde im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlicht.

Die knapp elf Zentimeter große Frauenfigur war wohl ein Fruchtbarkeitssymbol und Glücksbringer für ihre damaligen Besitzer. Sie ist die Einzige ihrer Art, die aus einem porösen Gestein namens "Oolith" (Eier-Stein) hergestellt ist. Die Forschenden durchleuchteten die Venus mit einem hochauflösenden Mikro-Computertomographie-Gerät (microCT). "Wir entdeckten dabei, dass ihr Inneres sehr ungleichmäßig ist", erklärt Weber. Das gab den Forschern die Möglichkeit, ihre bisher rätselhafte Herkunft zu bestimmen.

Zunächst konnten sie eine Herkunft aus dem Wiener Becken ausschließen, wo Oolithe ebenfalls vorkommen. Im Inneren der Venus entdeckten die sie nämlich ein eingelagertes Stück Muschelschale - ein 2,5 Millimeter kleines Fragment des "Muschelschlosses" (Umbo). Dieses war laut Paläontologen charakteristisch für Muscheln aus der Jurazeit, die bis vor 145 Millionen Jahre datiert ist, während die Wiener Oolithe aus dem Miozän stammen und somit höchstens 23 Millionen Jahre alt sind.

Alexander Lukeneder und Mathias Harzhauser von der Geologisch-Paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museum Wien, wo die berühmte Figurine ausgestellt ist, besorgten Vergleichsproben von 33 Steinbrüchen einerseits in Österreich und Tschechien, wo man die Herkunft bisher vermutete, und andererseits aus 1.800 Kilometern Umkreis - von Frankreich im Westen bis zur Ukraine im Osten, von Deutschland im Norden bis Sizilien im Süden. Dann verglichen die Wissenschafter die inneren Gesteinsstrukturen der Venus und der anderen Proben miteinander.

"Dabei wurde die Größe der Körner vermessen, mehrere tausend davon mit Bildverarbeitungsprogrammen markiert und die Strukturen verglichen", so die Forscher in einer Aussendung: "Keine Probe im Umkreis von 200 Kilometern passte auch nur annähernd." Auch Proben aus dem 136 Kilometer von Willendorf entfernten Steinbruch Stránská skála bei Brünn in Tschechien, wo der Ursprung des Venus-Gesteins angenommen würden war, passte nicht. Laut Webers Untersuchungen kommt es definitiv nicht von dort.

Ursprung in der Nähe
des Gardasees

Stattdessen stamme das Gestein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus der Nähe des Ortes Ala unweit des Gardasees in Norditalien, erklärt Weber. Die Proben aus dieser Region seien statistisch nicht von jenen der Venus zu unterscheiden. Demnach wurde die Figurine, oder zumindest ihr Material, hunderte Kilometer von südlich der Alpen bis zur Donauregion nördlich der Alpen mitgenommen. Vermutlich hat diese Wanderung viele Jahre oder sogar Generationen gedauert, so Weber: Die damaligen Menschen waren Jäger und Sammler, die abhängig vom jeweiligen Klima und der Beutetiersituation von einem günstigen Standort zum nächsten zogen und dabei vorzugsweise den Flüssen folgten.

Möglicherweise kam die Venus um die Alpen herum über die Pannonische Tiefebene in die Wachau, meint Weber. Es könnte aber auch über die Alpen entlang der Flussläufe der Etsch, des Inns und der Donau geschehen sein. Dieser Weg wäre zwar gut 730 Kilometer lang, würde aber größtenteils unterhalb von 1.000 Metern Seehöhe liegen.

Sollte der Venus-Ursprung doch nicht in Italien liegen, gilt Isjum in der Ostukraine als nächste Alternative. Dieser Ort liegt aber 1.600 Kilometer Luftlinie von Willendorf entfernt und die dortigen Proben stimmen weniger gut mit dem Venusgestein überein als jene aus Italien. Oolith besteht aus kleinen, zusammenklebenden Steinchen durch Kalkanlagerungen an winzigen Körnchen, die sich über die Jahrmillionen Jahre aufgelöst haben und das Venusgestein leicht zu bearbeiten werden ließen.