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Die Hintergrundmusik von Texten

Von Betina Petschauer

Wissen
Je nach Schriftart kann sich die Lesbarkeit von Texten verbessern oder verschlechtern.
© Bruno Martins / Unsplash

Je nach Profession machen Menschen sich unterschiedlich viele Gedanken über Schriftarten. Die wenigsten fragen sich, wie sie überhaupt entstanden sind. Dabei hat die Auswahl einer Schriftart sogar psychologische Effekte auf die Leserschaft.


Die Erfindung der Schrift gehört zu den größten Errungenschaften in der Geschichte der Menschheit. Wer historisch gesehen die allererste Schrift entwickelte, ist unter Forschenden umstritten. Eine weitverbreitete Theorie ist, dass die erste Schrift im dritten Jahrtausend v. Chr. in Mesopotamien mit der Buchführung aufkam. Nach der Keilschrift und den ägyptischen Hieroglyphen entwickelte sich aus der phönizischen Alphabetschrift die griechische Schrift. Aus ihr entstanden schlussendlich die lateinische und die kyrillische Schrift sowie die Runen. Mit der Renaissance setzte sich im lateinischen Alphabet die Unterscheidung zwischen Groß- und Kleinbuchstaben durch.

Bereits im Mittelalter wurden verschiedene Schriftarten, wie etwa "Antiqua" oder "Textura", unterschieden. Die Humanisten suchten nach einer leicht lesbaren Schrift und entwickelten aus der karolingischen Minuskel die Renaissance-Antiqua und die humanistische Kursive. Mit der Erfindung des Buchdrucks von Johannes Gutenberg vereinfachte sich die Vervielfältigung von Schriftstücken enorm. Ab 1530 entwickelten sich in Italien die heute noch bekannten Garamond-Schriften.

Etwa zur selben Zeit wurde im Zuge der Reformation mit Martin Luthers Flugschriften und der Luther-Bibel die Fraktur zum Inbegriff der deutschen Schrift. Damit setzte sich endgültig die textsortenspezifische Trennung von Schriftgattungen durch: Fraktur für Reformationsschriften, Rotunda für lateinische, Bastarda für deutsche Texte und Antiqua für humanistische Schriften. In diesem Zusammenhang entwickelte sich aber auch ein polemischer Schriftstreit zwischen den Fraktur- und Antiqua-Befürwortern, der sich bis zur Nachkriegszeit hinziehen sollte. Ab 1770 entwickelte der italienische Schriftengestalter Giambattista Bodoni, der auch "Fürst unter den Typografen" genannt wurde, aus einem französischen Vorgänger die Klassizistische Antiqua, die die westeuropäische Schriftkultur des gesamten 19. Jahrhunderts bestimmte.

Ein neues Zeitalter

Anfang des 20. Jahrhunderts rivalisierten drei unterschiedliche Strömungen: die kunstgewerbliche Gebrauchs- und Akzidenztypografie (etwa Egyptienne), die traditionelle Buchtypografie (Fraktur, Antiqua-Schrift) und die Moderne Typografie, inspiriert durch die Industrie und Kunst.

Erst seit 1937 gehört Typografie zu den Grundlagen des Graphikdesigns. In weiterer Folge revolutionierten Computer die Schrifttechnologie. Ende der 70er Jahre verdrängte der Fotosatz innerhalb nur eines Jahrzehnts den Bleisatz, der zuvor 500 Jahre lang zur Anwendung kam. Ab dem Ende der 80er Jahre veränderte die damals innovative Adobe-Software den Grafikbereich grundlegend. Mit Beginn der 90er Jahre begannen junge Schriftgestaltende, so gut wie alle Schriftarten aus allen Schrift- und Stilepochen zu digitalisieren. So entstanden seitdem Schriftenbibliotheken, Schriftenanbieter und abertausende von digitalen Schriftarten.

Der Mensch dahinter

Michael Karner ist gelernter Schriftsetzer und arbeitet selbstständig als typografischer respektive Buch-Gestalter. Daneben schreibt er Artikel für die Fachzeitschrift "Graphische Revue" und hat einige Jahre an der Werbeakademie WIFI Wien Schrift und Typografie unterrichtet. Seit 2012 ist er Universitätslektor an der Universität für angewandte Kunst Wien für die Klasse Kartak, wo er den Umgang mit Schrift lehrt. Gefragt nach dem Wert von Schriftarten, sagt er im Gespräch mit dem "Wiener Journal": "Man darf nicht vergessen, dass alle Schriftarten einen Urheber oder eine Urheberin haben, ob Arial oder Times New Roman. Es stehen Menschen dahinter. Vielen Laien ist nicht bewusst, dass Schriften auch etwas können müssen und einen Wert haben. Wenn Schriftgestaltende ernsthaft an einer Schrift arbeiten, müssen dabei so viele Details beachtet und verschiedene Schnitte wie Fett oder Kursiv geschaffen werden. Vor allem, wenn die Schriften lesbar sein müssen." Karner plädiert persönlich eher für dezente Schriftarten: "Wenn ein Laie einen Standardtext liest und ihm dabei die Schönheit der Schriftart auffällt, läuft eigentlich schon etwas falsch. Eine Ausnahme bilden Displayschriften, die für Flyer oder Plakate verwendet werden, da gibt es andere Anforderungen." Der Entstehungsprozess hinter einer Schrift ist wiederum gar nicht so kompliziert: "Das Einzige, was es braucht, um eine Schrift zu entwerfen, ist eine Idee. Während meiner Lehrtätigkeit an der Werbeakademie hatte ich in zehn Jahren auch drei Studierende, die eine eigene Schrift gestalten wollten. Eine spezifische Ausbildung dafür gibt es etwa in Reading (UK) oder in Den Haag", so Karner.

Ordnung im Schriftendschungel

Immer wieder gab es Versuche, Schriftarten zu klassifizieren. Die 1964 eingeführte DIN-Norm teilt beispielsweise in elf Gruppen ein, sie ist jedoch stark umstritten. Aufgrund der großen Vielfalt an Schriftarten und den stetig neu erscheinenden Schriftarten-Trends ist es unmöglich, all die abertausenden Schriften, die heute digital zu Verfügung stehen, einzuordnen.

Der Buchdruck hat die Vervielfältigung von Schriftstücken revolutioniert.
© Marco Djallo / Unsplash

Grob wird zwischen Web- und Printschriften unterschieden, da es in diesen Bereichen unterschiedliche Anforderungen gibt. Im Gegensatz zum Printbereich gibt es im Web wesentlich weniger Schriftarten (Webfonts), da aufgrund der Umwandlung von Kurven in eckige Pixel nicht alle Schriftarten geeignet sind. Auch die Responsivität ist ein großes Thema: Variable Fonts sind im besten Fall stufenlos anpassbar, was Strichstärken, Kontraste, Breiten, Serifenlängen und viele weitere Einstellungen betrifft.

Eine weitere Unterteilung ist die Trennung zwischen Serifen-, serifenlosen, Schreib- und anderen Schriften. Als Serifen werden die feinen Linien an den Enden der einzelnen Buchstaben bezeichnet. Bekannte Serifenschriften sind etwa Times New Roman, Bodoni oder Garamond, weitverbreitete serifenlose (auch "groteske Schriften" genannt) etwa Arial, Helvetica, Verdana oder Calibri.

Es herrscht die weitverbreitete Meinung, dass Serifenschriften besser lesbar sind als serifenlose. Sie geben Lesenden eine optische Führung, das heißt, man verrutscht nicht so leicht in der Zeile. Auch deshalb werden bei Printprodukten wie Zeitungen gerne Serifenschriften verwendet. Im Web kann jedoch der gegenteilige Effekt eintreten, da sie aufgrund der geringeren Auflösung und des eckigen Monitorrasters unter einer gewissen Größe nicht optimal dargestellt werden können.

Die Botschaft hinter dem Text

Viel wichtiger als die Typisierung von Schriftarten ist jedoch, was sie bei der Leserschaft auslösen. Gestaltende versuchen, durch die Formsprache und das Erscheinungsbild der verschiedenen Schriftarten die Aussage der Texte visuell zu unterstützen – vergleichbar mit der akustischen Unterstützung von Hintergrundmusik, die ebenfalls für die Stimmung verantwortlich ist. Dabei spielen die Anmutung einer Schrift und die Gefühle, die sie beim Betrachter hervorrufen, eine wichtige Rolle. Neben der Lesbarkeit ist auch die Schriftwirkung ein wichtiger Faktor bei der Auswahl einer Schriftart: Wer kennt nicht die vielbelächelte Schriftart Comic Sans. Besonders in Marketing und Werbung wird viel mit der Psychologie von Schriften gearbeitet. Unterschiedlichen Schriftgruppen werden unterschiedliche Attribute nachgesagt, wobei die folgende Einteilung nur eine von vielen Möglichkeiten ist.

Serifenschriften sind als vertrauenswürdige Schriften bekannt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie die ältesten bekannten Schriften sind und damit Stabilität und Etablierung vermitteln. Die erste serifenlose Schrift erschien erst 1816 im Druck, davor waren nur Serifenschriften in Verwendung. Auch heute werden die meisten Bücher noch in Serifenschriften gesetzt, um der Leserschaft ein Gefühl von Intellekt zu vermitteln. Aufgrund dieser jahrhundertelangen Entwicklung werden Serifenschriften heute als zuverlässig empfunden, weswegen sie gerne von Banken oder Versicherungsunternehmen verwendet werden.
Im Gegensatz dazu werden serifenlose Schriften eher mit Progressivität, Innovation und Abenteuerlust verbunden und daher gerne von modernen Unternehmen wie Start-ups verwendet. Auch wirken sie freundlich und offen, was sie für Unternehmen interessant macht, die preiswert und zugänglich erscheinen wollen.
Eine Untergruppe der Serifenlosen bilden die Modernen Serifenlosen. Sie sind besonders bei designorientierten Unternehmen wie Möbelhändlern beliebt, die futuristisch und minimalistisch wirken möchten.

Serifenbetonte Schriften (als klobigere Interpretationen von Serifenschriften) vermitteln ein Gefühl von Stärke und Ausdauerfähigkeit, weswegen sie gerne von Elektro- oder Autoherstellern verwendet werden.

Skript-Schriften, also jene, die wie Handschriften aussehen, wirken kreativ, verspielt oder romantisch, aber in jedem Fall emotional. Bekannt sind sie zum Beispiel aus dem Disney- oder Coca-Cola-Logo.
Alles, was sich nicht in die bereits genannten Gruppen einordnen lässt, kann als unabhängige Schrift (auch Anzeige- oder Neuheitsschrift) bezeichnet werden. Damit drücken Unternehmen vor allem Individualität und Einfallsreichtum aus, für längere Texte sind sie jedoch meist nicht geeignet.

Michael Karner ist überzeugt: "Es gibt für mich keine guten und schlechten Schriftarten, es kommt immer nur auf den Anwendungsfall an. Es gibt Schriften für verschiedene Anlässe, es hängt etwa davon ab, wie lang der Text ist, ob er online oder auf Papier verwendet wird und wer die Zielgruppe ist. Bei Studien zur Wirkung von Schriftarten bin ich eher skeptisch, da ich deren Durchführung meist für fragwürdig halte."