Josef Hyrtl (1810-1894) und Josef Schöffel (1832-1910) waren außergewöhnliche Männer und miteinander befreundet. Beide vertraten dieselben Ideale: Gerechtigkeit, Unerschrockenheit und Kompromisslosigkeit, obwohl ihre Herkunft und ihre Berufe völlig unterschiedlich waren.
Josef Schöffel, liberaler Politiker, Bürgermeister und Journalist, ging als Retter des Wienerwaldes in die Geschichte ein. Der 22 Jahre ältere Josef Hyrtl machte als Universitätsprofessor der topographischen Anatomie, Fachbuchautor und Wohltäter auf sich aufmerksam. An beide Männer erinnern Denkmäler, Büsten, Straßenbezeichnungen, Bildungsstätten und Aussichtswarten.
"Ich habe mich mehr und mehr in die Materie vertieft", erzählt der Perchtoldsdorfer Filmemacher Josef Kovats über den Werdegang seines geförderten Dokumentarfilmes "Schöffel und Hyrtl - Der Praktiker, der Idealist und ihre sozialen Visionen". Diese spannende Dokumentation über den sozialen Einsatz der beiden Männer vor dem politischen Hintergrund des 19. Jahrhunderts wurde im Oktober 2022 in der Volkshochschule Mödling präsentiert.
Josef Schöffel bekämpfte als Journalist ab 1870 Korruption und Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit der geplanten teilweisen Abholzung des Wienerwaldes. Der kinderlose Anatom Josef Hyrtl verwendete seine Einkünfte für wohltätige Zwecke und finanzierte unter anderem die Errichtung eines Waisenhauses in Mödling.
Wichtiges Lehrbuch
Josef Hyrtl, am 7. Dezember 1810 im ungarischen Kismárton (heute Eisenstadt) geboren, entstammte einer Musikerfamilie. Schon als Medizinstudent arbeitete er an einem anatomischen Atlas mit und unterrichtete am "Anatomischen Theater" der Wiener Universität (heute Österreichische Akademie der Wissenschaften). Im Alter von 27 Jahren erhielt Hyrtl aufgrund seiner wissenschaftlichen Arbeiten einen Lehrstuhl an der Karls-Universität in Prag, wo er von 1837 bis 1845 Anatomie und Physiologie lehrte sowie Lehrbücher verfasste, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden.
1845 berief Kaiser Ferdinand I. den erst 35-Jährigen als Ordinarius für Anatomie nach Wien. Ein Jahr später erschien Hyrtls "Lehrbuch der Anatomie des Menschen", damals weltweit eines der wichtigsten medizinischen Lehrbücher. Bis 1889 erfuhr es 20 Auflagen. Nach und nach vermehrte er seine anatomischen Sammlungen auf etwa 5.000 Präparate.
Einen schweren Rückschlag erlitt Hyrtl im Revolutionsjahr 1848: Seine Wohnung in der Wiener Jägerzeile (heute Praterstraße 68) wurde samt anatomischer Sammlung sowie seiner Bibliothek in den Oktoberkämpfen zum großen Teil zerstört. Daraufhin übersiedelte er mit den noch verbliebenen Resten seiner Exponate in die bereits aufgelassene Medizinisch-Chirurgische Josephs-Akademie (heute Josephinum). Er begann mit dem Aufbau einer neuen Sammlung, veröffentlichte weitere Fachbücher und machte sich einen Namen als brillanter Vortragender.

Das Hyrtl-Haus in Perchtoldsdorf.
- © Josef Moser, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons1864 wurde Hyrtl anlässlich des 600-jährigen Bestehens der Wiener Universität zu deren Rektor ernannt. Aufsehen erregten seine Präparate bei der Wiener Weltausstellung von 1873. Diese anatomischen und histologischen Präparate wurden für Unterrichtszwecke in alle Welt verkauft und begründeten den materiellen Reichtum Hyrtls.
1874 legte er im Alter von 64 Jahren sein Lehramt nieder und zog sich mit seiner Frau Auguste nach Perchtoldsdorf zurück. Sein Wohnhaus, neben der Herzogsburg gelegen, wird heute von der Marktgemeinde genutzt. Seine Arbeitsstube samt Präparaten befand sich im Eckturm der Burganlage. Bis in die 1970er Jahre war dort ein kleines Museum. Nach dessen Auflösung wurden die Objekte in alle Winde zerstreut ...
Anlässlich seines 50-jährigen Promotionsjubiläums im März 1885 spendete Hyrtl der Wiener Universität 40.000 Gulden (rund 615.000 Euro) für mittellose Studenten. Nach Ablauf eines Jahres teilte ihm der Rektor mit, dass das Geld nicht - wie vorgesehen - für Studierende, sondern für "andere Zwecke" verwendet wurde.

Porträtmedaillon von Josef Hyrtl an der Fassade der Allgemeinen Poliklinik (Mariannengasse 10, 1090 Wien).
- © Papergirl, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia CommonsEine Szene im Dokumentarfilm geht auf diesen Vertragsbruch ein: Lautstark beklagt sich der 76-jährige Hyrtl bei seinem Freund Schöffel über den "Seeräuberstaat", der sich über Vereinbarungen hinwegsetzt. Nach dieser Enttäuschung wollte Hyrtl deutsche Universitäten unterstützen, konnte aber von Schöffel zu einer Spende für das Waisenhaus-Projekt in Mödling überredet werden.
Im Jahr 1889 erlebte der Anatom eine besondere Ehrung: Im Arkadenhof der Universität wurde seine Büste eingeweiht. Hyrtl starb im Alter von 84 Jahren am 17. Juli 1894 in Perchtoldsdorf, wo eine Allee nach ihm benannt ist und auf dessen Friedhof sich sein Grab befindet.
Gegen den Kahlschlag
Josef Schöffel entstammte einer Bergbaubeamten-Familie mit neun Kindern. Er wurde am 29. Juli 1832 im böhmischen Příbram geboren. Mitte des 19. Jahrhunderts war Österreich laufend in Kriege verwickelt, die Josef Schöffel, der seit 1849 Soldat war, miterlebte. Seine negativen Erfahrungen aus der Militärzeit verarbeitete er in einer 1866 anonym erschienenen Studie über das österreichische Militärwesen. Nach 14 Dienstjahren trat er im Jahr 1863 als Oberleutnant aus der Armee aus und begann das Studium der Geologie.
Bis 1869 arbeitete er als Volontär an der Geologischen Reichsanstalt in Wien, im Verlag für Landeskunde von Niederösterreich und für die Reichsforstverwaltung. Nebenbei verfasste Schöffel Feuilletons und schrieb für Karl Kraus in dessen Zeitschrift "Die Fackel". Bei seinen politischen Recherchen stieß der 30-Jährige im Jahr 1862 auf die Anordnung der k.k. Finanzlandesdirektion, den im staatlichen Besitz befindlichen Wienerwald zwecks Abholzung zu verkaufen, um dadurch die prekäre Finanzlage nach den Kriegen zu verbessern. Schon 1860 hatte der Verkauf großer staatlicher Waldflächen begonnen. Es war ein gutes Geschäft - auch für die teilweise korrupten Beamten des neu geschaffenen "Staatsgüter-Verschleißbüros".
Zum Nachteil der Wienerwald-Gemeinden räumte die Regierung dem Holzhändler Moritz Hirschl eine Monopolstellung ein. Im April 1870 erreichte dieser "Ausverkauf des Wienerwaldes" schließlich seinen Höhepunkt, als das Parlament ein Gesetz verabschiedete, welches gestattete, die in "Niederösterreich isoliert gelegenen Teile des Wienerwaldes" zu verkaufen. Dieses Gesetz war gleichzeitig der Beginn von Schöffels Wienerwald-Rettungsaktion.
Nachdem die Öffentlichkeit 1870 von den geplanten Rodungen im Wienerwald in Kenntnis gesetzt worden war, begann er mit einer Kampagne gegen den damit verbundenen Amtsmissbrauch: Mit Hilfe des "Neuen Wiener Tagblatts" und der "Deutschen Zeitung" - aber ohne Unterstützung der "Neuen Freien Presse" - führte er im Frühjahr 1870 eine Informationskampagne gegen die Veräußerung des Wienerwaldes durch.
Erstmals wurde damals auf die große Bedeutung des Wienerwaldes für das Klima und die biologische Artenvielfalt hingewiesen. Unterstützt wurde Schöffel von einigen Mitstreitern, vor allem von seinem Freund, dem genialen Dichter und Feuilletonisten Ferdinand Kürnberger, mit Essays wie "Was sich der Kahlschlag erzählt" oder Beiträgen wie "Badeplatz der Dummheit". Dieser publizistische Kampf dauert zwei Jahre. Schöffel erhielt Morddrohungen und hatte Gerichtsverfahren zu überstehen.

Ein 1990 erstellter Porträtkopf von Josef Schöffel aus Bronze in Purkersdorf.
- © Ailura, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia CommonsIm März 1872 wurden ihm wegen "Herabwürdigung der Verfügungen der Behörden" sechs Monate Haft angedroht, jedoch wurde die Klage bald fallen gelassen. Daraufhin gelang Schöffel das schier Unmögliche: Die Regierung hob alle bisherigen den Wienerwald betreffenden Verträge auf. Das 1870 verabschiedete Gesetz kam nicht zur Anwendung. Man entzog dem Finanzministerium zugunsten des Ackerbauministeriums die Verfügung über die Staatsforste.
Im Jahr 1873 wurde Schöffel zum Bürgermeister der abgewirtschafteten Gemeinde Mödling gewählt. Er brachte die Finanzen in Ordnung, sanierte Brücken, Straßen und Plätze und baute eine Bürgerschule. In dieser Zeit begann auch seine Freundschaft mit Josef Hyrtl: Schöffel hatte nämlich die Räumung und Sanierung des als Beinhaus verwendeten romanischen Karners neben der Pfarrkirche angeordnet. Dabei fielen einige anatomisch interessante Skeletteile und ein missgebildeter Skelettschädel auf, den er Hyrtl, der in Perchtoldsdorf wohnte, zukommen ließ. Ab dieser Zeit trafen sich die beiden regelmäßig zum Gedankenaustausch.
Jugendfürsorge
1875 wurde der bisherige Markt Mödling zur Stadtgemeinde erhoben. Der niederösterreichische Landwahlbezirk entsandte Schöffel als Abgeordneten in den Reichsrat. Dort vertrat er vor allem die Mittelschicht und das Kleinbürgertum. Insbesondere setzte er sich für die Jugendfürsorge ein. Schöffel war auch der Erste, der auf die Gefahren der eingeschleppten Reblaus hinwies.
Unterstützt vom niederösterreichischen Statthalter Baron Possinger und von seinem Freund Josef Hyrtl, gründete Schöffel 1885 eine Stiftung zur Errichtung eines Waisenhauses und einer Kirche. Hyrtl spendete 120.000 Gulden, etwa 1,8 Millionen Euro. Schon im Oktober 1886 erfolgte die Einweihung des Waisenhauses. Nach der späteren Fertigstellung der Waisenhauskirche ließ die Stadtgemeinde Mödling auf dem Areal eine Volksschule errichten. Der dazwischen liegende Platz wurde zum "Joseph Hyrtlplatz". Somit ergänzten und unterstützten sich die beiden Männer ständig in ihrem sozialen Engagement.
1902 zog sich der zähe Idealist, von Intrigen, persönlichen Angriffen und den Mühen des politischen Alltags gezeichnet, ins Privatleben zurück. Am 7. Februar 1910 - drei Wochen nach dem Tod seiner Frau - starb der Heimat- und Naturschützer Josef Schöffel im Alter von 78 Jahren. Er wurde auf dem Mödlinger Friedhof bestattet.