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Hannoveraner in Habsburgs Diensten

Von Gerhard Strejcek

Wissen

Erich Graf Kielmansegg amtierte zwei verdienstvolle Jahrzehnte als Statthalter von Niederösterreich.


Am 5. Februar 1923 starb Erich Graf Kielmansegg in Wien, der als langjähriger Statthalter von Niederösterreich (von 1889 bis 1911) für die Entstehung des sogenannten "Groß-Wien" und für maßgebliche Fortschritte in der Infrastruktur des großen Landes "unter der Enns" verantwortlich war. Dazu zählten neben modernisierten Verkehrswegen auch Maßnahmen zur Abwehr von Überflutungen durch den Wienfluss und die Donau.

Wie zum Hohn erreichte die offenbar noch unbesiegte Donau am Tag seines Ablebens nach tagelangen Niederschlägen einen Pegel von 4,30 Meter bei der Reichsbrücke und überschwemmte den Handelskai. Die Schneeschmelze nach dem Tauwetter hatte in ganz Österreich zu Lawinenabgängen und Hochwasser mit zahlreichen Opfern geführt.

Da es damals noch kein Entlastungsgerinne gab, das geflutet hätte werden können, traten die sogenannten Überschwemmungsexposituren in Dienst, die sich in der Brigittenau, im Prater, in der Freudenau und in Zwischenbrücken befanden, um nur einige zu nennen. Sie wachten darüber, dass der Schaden sich in Grenzen hielt, was dank der sogenannten Inundationsgebiete, die unter der Federführung Kielmanseggs von Langenzersdorf bis nach Schloss Hof freigehalten und mit Dämmen versehen worden waren, auch der Fall war. Posthum erwiesen sich nun die Verdienste des Landeschefs, der in zäher und oft unbedankter Weise den Hochwasserschutz auf die politische Agenda gesetzt hatte.

Eingemeindung

Bekannt ist die Anordnung des Kaisers Franz Joseph ("Es ist mein Wille ..."), mit der er in den 1850er Jahren den Startschuss für die Schleifung der Wiener Stadtmauern und den Bau der Ringstraße gegeben hatte. Dreißig Jahre später hatte die Residenzstadt zwar ein nahezu abgeschlossenes Bauprogramm im Zentrum, aber sie stieß beim heutigen Gürtel, wo die Linienkapellen und -ämter an der einstigen militärischen Verteidigungszone noch eine Zollgrenze markierten, an ihre Grenzen. Anlässlich der Eröffnung des Türkenschanzparks im damaligen Vorort Währing am 30. September 1888 zündete der Monarch in seiner Ansprache eine weitere Ausbaustufe, indem er die "baldige physische Vereinigung der Vororte" mit der Stadt wünschte.

Graf Kielmansegg im Glanz seiner Amtstitel.
© Public domain / Urheber unbekannt / via Wikimedia Commons

Während andere dieses Projekt auf Jahrzehnte bemessen hätten, drängte der aufmerksame Zuhörer Kielmansegg, der im Folgejahr zum Statthalter Niederösterreichs ernannt wurde, auf den Beschluss eines niederösterreichischen Landesgesetzes, der 1890 erfolgte und Anfang 1892 in Kraft trat. Dieses Gesetz besiegelte die Eingemeindung von mehr als vierzig Vororten, darunter Gersthof, Pötzleinsdorf, Glanzing und Oberdöbling, die rund um den Park und das Cottageviertel lagen. So entstand vor 130 Jahren Groß-Wien in einer mehrstufigen, aber keineswegs undemokratischen Weise.

Unermüdlich hatte Kielmansegg, der am 13. Februar 1847 in Hannover als Nachfahre holsteinischer Ahnen geboren wurde und acht Tage vor seinem 76. Geburtstag verstarb, sein dienstliches Auge auf die Verwaltungsreform fokussiert. In den Nachrufen, die von verbaler Distanzierung der Republiksjournalisten vom System und den hypertrophen Titeln der untergegangenen Monarchie gekennzeichnet waren, gab es keinen, der nicht die Modernisierungsmaßnahmen lobte. Die "Neue Freie Presse" bezeichnete Kielmansegg als "Kämpfer gegen Bürokratismus und Amtsschlendrian" - eine Amts-Figur, die man sich heute wieder sehr wünschen würde und die glaubhaft vielleicht am ehesten von Rechnungshofpräsident Franz Fiedler repräsentiert wurde und von seiner heutigen Nachfolgerin im Amt, Margit Kraker, repräsentiert wird.

Kanzleireform

Effizienz, Rechtsstaatlichkeit und Kontinuität sollten die Leitlinien der Justiz und Verwaltung Österreich-Ungarns sein. Im berühmten achten Kapitel ("Kakanien") von Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" findet sich ein Zitat, das auf den Spitzenbeamten Kielmansegg geradezu zugeschnitten erscheint: "Dort, in Kakanien, diesem seither untergegangenen, unverstandenen Staat, der in so vielem ohne Anerkennung vorbildlich gewesen ist, gab es auch Tempo, aber nicht zuviel Tempo."

Diese Dynamik versuchte der Vertraute des Kaisers umzusetzen. Er erreichte damit vor allem eine Beschleunigung und qualitative Verbesserung der Aktenführung, indem er nach einem ausgeklügelten System das Liegenlassen von Akten und das Verzögern von anhängigen Verfahren verhinderte. Die Nachwelt bescheinigte der nach Kielmansegg benannten "Kanzleireform" messbare Erfolge. Heute gibt es trotz Digitalisierung bereits wieder Wartezeiten von mehr als einem Jahr in sensiblen Bereichen wie dem Staatsbürgerschaftsrecht.

Erich Kielmansegg, dessen Vater Eduard hannoveranischer Staatsminister war, aber 1866 am Höhepunkt innerdeutscher Konflikte nach Wien zog, hatte in Wien Jus studiert und war sodann als rechtskundiger Beamter Konzipist bei der Statthalterei tätig. Bereits 1876 wurde er Bezirkshauptmann von Baden und später von Sechshaus bei Wien (damals noch ein Vorort), ehe er in Kärnten und der Bukowina zum Einsatz kam.

Kaiser Franz Joseph, circa 1885.
© Carl Pietzner / Public domain / via Wikimedia Commons

Der adelige Karrierist glich optisch seinem obersten Dienstherrn, wie auch anderen Spitzenbeamten, die der vom Kaiser besonders geschätzte Ministerpräsident Ernest von Koerber repräsentierte. Wenn der Kaiser seine Minister empfing - Kielmansegg war 1886 bis 1889 k.k. Innenminister, in jener Ära trat er auch als Reformer der Sozialversicherung und Mitschöpfer des später von Franz Kafka vollzogenen Arbeiter-Unfallversicherungsgesetzes auf -, gewann ein Beobachter den Eindruck eines Familientreffens unter Cousins.

Aus dieser optischen Leitwolf-Imitation folgte aber keine widerspruchsfreie Unterwerfung. Kontroversen entstanden, als der Monarch Kielmansegg zum Regierungschef ernennen wollte, ein Job, den sich viele angesichts des cisleithanischen Dauer-Nationalitätenstreits nicht antun und dem sie durch Ausflüchte aller Art entgehen wollten.

Anekdoten

Kielmansegg opponierte im Mai 1895, indem er sich auf seine protestantische Konfession berief. Doch Franz Joseph blieb unerbittlich und antwortete schlagfertig: "Wenn Sie als Evangelischer Statthalter sein können, dann können Sie auch einer Regierung vorstehen." Und so kam es, dass das katholische alte Österreich nach dem protestantischen Außenminister Friedrich Ferdinand von Beust in den Monaten Juni bis Oktober 1895 auch einen evangelischen Ministerpräsidenten hatte, wie man den Regierungschef oder Premier damals nannte.

Friederike Kronau (um 1870).
© Public domain / via Wikimedia Commons

Eine zweite, bezeichnende Anekdote hat der anonyme "Presse"-Redakteur - womöglich Historiker und Chefredakteur Ernst Benedikt selbst - im Nachruf von 1923 überliefert. Ausgerechnet im Prälatenzimmer in Mariazell soll der Kaiser Kielmansegg in ein Gespräch über Schauspielerinnen verwickelt haben. Das Thema wies pikante Facetten auf, denn als Leiter der auch für Wien zuständigen Statthalterei war Kielmansegg einst oberster Zensurbeamter.

Es ging, so wusste es der damalige Redakteur offenbar genau, um die aus Duisburg-Ruhrort stammende Darstellerin Friederike Kronau (1841-1918), die zu den erklärten Lieblingen des Wiener Publikums gehörte. Sie war elf Jahre jünger als der Kaiser, sechs Jahre älter als der Minister und Statthalter Kielmansegg und hatte folglich die Ära, in der sie mit Erfolg jugendliche Liebhaberinnen gespielt hatte, in den 1860ern erlebt. Angeblich soll Franz Joseph (vermutlich durch Katharina Schratt bestens informiert) über die Mimin besser im Bilde gewesen sein als der Theaterbeamte, dessen Aufgabe es allerdings nicht war, das Privatleben zu durchleuchten, sondern der das Publikum - mehr noch den Staat - vor Skandalen bewahren sollte.

Trauergesellschaft

Dass dieses System oft versagte, sollte sich bis in die Erste Republik deutlich zeigen, als Kielmansegg noch den "Reigen"-Skandal miterlebte. Er selbst befürwortete einst moderne, sozialkritische Stücke wie Gerhart Hauptmanns "Die Weber", beugte sich aber dem Votum eines Expertengremiums.

Über das Leichenbegängnis des vormaligen Grafen Kielmansegg am Döblinger Friedhof berichteten die Blätter am 9. Februar 1923. Vor allem konservativ-feudale Parteigänger und Spitzenbeamte waren erschienen, die noch den Abglanz der k.u.k. Monarchie darstellten. Der Präsident des Abgeordnetenhauses und vormalige Wiener Bürgermeister, Richard Weiskirchner, sowie Ex-Kanzler Johannes Schober, die ehemaligen Minister Max Eugen Hussarek und Walter Breisky sowie der amtierende Landeshauptmann von Niederösterreich, Karl Buresch, allesamt graduierte Juristen, waren vor Ort, die evangelische Kirche vertrat Oberkirchenrat Wolfgang Haase.

Der Kreis der Beamten und politischen Funktionäre umfasste demnach vor allem großdeutsch-konservative und gemäßigte Christlichsoziale. Es war bekannt, dass Kielmansegg ein politisch letztlich unterlegener Gegner Karl Luegers gewesen war, dessen Bestätigung im Jahr 1895 er nicht hatte verhindern können. Dasselbe galt für den Aufstieg der Sozialdemokraten, deren Stern vor allem 1918 bis 1920 geleuchtet hatte.

Die Trauer der einstigen Elite eines untergegangenen Staates war nicht vorgeschützt. Kielmansegg war neben all seinen "dienstlichen" Eigenschaften durch eine höchst menschliche Seite beliebt gewesen: Er hatte gerne launige Couplets auf Wienerisch mit einem leichten Hannoveraner Zungenschlag zum Besten gegeben. Ein singender Spitzenbeamter war und ist gewiss kein Unmensch.

Gerhard Strejcek, geboren 1963, ist Ao. Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und Autor kulturhistorischer Beiträge.