Neandertaler legten sich einst eine Jagdtrophäensammlung in einer Höhle im heutigen Spanien an, berichtet der Wiener Anthropologe Tom Higham mit Kollegen. Vor wahrscheinlich mehr als 55.000 Jahren sammelten diese Menschen gut präparierte Schädel mit Hörnern und Geweihen von Steppennashörnern, Auerochsen, Bisons, Rothirschen und Rehen an dem versteckten Platz, erklärte er der APA. Die Fundbeschreibungen wurden im Fachmagazin "Nature Human Behaviour" veröffentlicht.
Die "Des Cubierta"-Höhle liegt im "Tal der Neandertaler" am Lozoya Fluss nördlich von Madrid, wo es schon Funde zu dieser Menschenart gab. Es handelt sich eigentlich um eine "Höhlengalerie" mit eingefallener Decke, die 2009 von Archäologen entdeckt wurde. Sie ist zickzack-förmig, rund 80 Meter lang und zwei bis vier Meter breit. Mehr als tausend Steinwerkzeuge im Fertigungsstil der Neandertaler (Moustérien-Technologie) sowie Milchzähne und der Unterkiefer eines mit drei bis fünf Jahren verstorbenen Neandertaler-Kleinkindes zeugen davon, welche Menschen die Höhle in urgeschichtlichen Zeiten nutzten.
Darin wurden auch 35 Schädelteile von großen Pflanzenfressern gefunden, nämlich von Steppenbisons, Auerochsen, Rothirschen, Rehen und Steppennashörnern. Ein Team um Enrique Baquedano vom Archäologischen und Paläontologischen Museum der Autonomen Gemeinschaft Madrid in Alcalá de Henares (Spanien) besah sie genauer. An diesen Untersuchungen war auch Tom Higham vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien beteiligt.
"Es ist sehr ungewöhnlich für Steinzeitjäger, dass sie die Köpfe von großen Tieren wie Nashörnern und Bisons von den Stellen mitbrachten, wo sie die Tiere getötet hatten", so Higham: Solche Schädel sind nämlich groß und schwer, haben aber kaum wertvolles Fleisch an den Knochen. Meistens schleppten die Jäger deshalb nur die fleischreichen Körperteile zu ihren Lagern. Diese nahrhafte Stücke haben die Neandertaler aber nicht in die Des Cubierta Höhle mitgenommen, berichten die Forscher. Die Tiere wurden demnach irgendwo anders zerlegt.
Gekonnte Fleischhauerarbeit mit Steinwerkzeugen
Um die Schädel kümmerten sich dann besonders erfahrene Fleischer, meint Higham. Noch außerhalb der Grotte entfernten sie die Augen sowie Unter- und Oberkiefer, denn von den Knochenstückchen und Zähnen, die laut Versuchen der Anthropologen dabei ab- und herausbrechen, war in der Höhle kaum etwas zu finden. "Auch das Gehirn wurde wohl als Teil der Konservierungsstrategie entfernt", erklärt Higham. Durch diese gekonnte Fleischhauereiarbeit mit Steinwerkzeugen, von denen noch Schnittspuren zu erkennen sind, hatten die Neandertaler Schädelteile mit Hörnern und Geweihen als Jagdtrophäen erschaffen.
Auffallend war für die Anthropologen, dass sämtliche in der Höhle gefundenen Schädel mit Hörnern oder Geweihen bewehrt waren, wie man es von heutigen Sportjagdtrophäen kennt. "Dass sie alle auf recht kleinem Raum zusammenlagen, lässt vermuten, dass es sich bei dieser Ansammlung um eine Art Jagdschrein handelte", schreiben sie in der Fachpublikation.
Die Gewohnheit, Jagdtrophäen zu präparieren und zu sammeln, hielten die Neandertaler "zumindest mehrere Generationen hinweg aufrecht", erklären sie. Vielleicht habe es diesen Brauch dort sogar Jahrhunderte oder Jahrtausende lang gegeben. Man könne dies als "kulturelle Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde" ansehen, so die Forscher in einer Presseaussendung der "Autonomen Gemeinschaft Madrid".
Fähigkeit zur Symbolik
Jenes kreative Verhalten der Neandertaler war keine "Subsistenzaktivität", also nicht zum alltäglichen Überleben notwendig, meinen die Forscher: "Sie beleuchtet andere Aspekte, die bei dieser Menschenart völlig unbekannt sind: Nämlich die bisher nur unserer Art (Homo sapiens, Anm.) zugeschriebene Fähigkeit zur Symbolik." (apa)