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Anti-Held mitten im Gewitter

Von Michael Schmölzer

Wissen

Reinhard Federmanns Roman "Das Himmelreich der Lügner" wurde zum 100. Geburtstag des Autors wieder aufgelegt.


Wenige Tage nur schossen im Februar 1934 Regierungskräfte und Arbeiter aufeinander, doch der Schock, die Erfahrungen und die Lehren aus diesem Bürgerkrieg prägen Österreich bis heute. Der weitgehend in Vergessenheit geratene Autor Reinhard Federmann, dessen Geburtstag sich am 12. Februar zum 100. Mal jährt, hat das Thema in seinem 1959 erschienenen Roman "Das Himmelreich der Lügner" aufgegriffen. Zeitgerecht vor dem Jahrestag der Ereignisse haben Federmanns Tochter Dorothea Löcker und der Picus Verlag dafür gesorgt, dass das hochpolitische Werk eine Neuauflage erfährt.

Hauptfigur des Romans ist Bruno Schindler, ein aktiver Sozialist, der mit einer Pistole in der Hand die Republik retten will. Der Anfangsteil des mehr als 500 Seiten starken Romans ist den Februarkämpfen gewidmet, dann flieht Schindler ins sowjetische Exil und erlebt in Österreich den Neubeginn nach 1945, der von Verdrängung und Beschönigung des Geschehenen geprägt war.

Zunächst beschreibt Federmann die blutigen Kämpfe, die am 12. Februar 1934 begannen und in deren Verlauf Gemeindebauten von Heimwehr und Bundesheer beschossen wurden. Die Romanfigur Schindler sitzt mehr als 20 Jahre später als Zeitungskorrespondent in einem schäbigen Hotel und erinnert sich als Ich-Erzähler an die Ereignisse. Vorerst legt in Wien ein Generalstreik die Stromversorgung lahm. Es ist dunkel in der Stadt, der öffentliche Verkehr steht still und auch Schindler ist zunächst zum Nichtstun in seinem kargen Untermietzimmer verurteilt. "Die Revolution fraß um sich, aber mich hatte sie vergessen", so Schindlers wenig heroische Reminiszenzen.

© Picus

Von Begeisterung ist auch in der unmittelbaren Umgebung Schindlers wenig zu merken. Man arrangiert sich mit der Situation, von Solidarität mit den "kämpfenden Genossen" ist kaum etwas zu sehen. Der alte Arbeiter Joseph Chwala etwa verkörpert diese Haltung prototypisch: Er brauche keine Revolution, sagt er, er wolle einfach nur seine Ruhe.

Dann stößt Schindler doch auf kampfbereite Freunde, sie bewaffnen sich notdürftig, in einem Lkw machen sie sich auf den Weg und auf die Suche nach sozialistischen Schutzbündlern: "Dort, wo das Maschinengewehr schoss, dort wollten wir hin", so Schindler. Es geht in Richtung Donau, man versucht sich nach Floridsdorf durchzuschlagen. Wenig später ist das kleine Grüppchen mitten im Kampfgeschehen.

Schindler erweist sich einmal mehr als Anti-Held: "Es war, als wären wir ins Zentrum eines Gewitters gefahren (...) Ich hielt meinen Revolver in der Hand, ich wusste nicht, was ich damit anfangen sollte." Der Lkw geht in Flammen auf, Schindler verletzt sich am Kopf und tritt als Versprengter den Weg zurück an. Die Wirklichkeit erweist sich für ihn als ganz anders als die Vorstellung.

In der Rückschau erkennt Schindler, dass der Aufstand zur Rettung der Republik von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Die Führung der österreichischen Sozialdemokratie handelte halbherzig, und die, die kämpfen wollten, wussten nicht, wo die Waffenlager waren. Und: "Hatten wir denn unseren emsigen Feinden nicht viel zu viel Zeit gelassen, sich auf diesen Tag vorzubereiten", fragt Schindler im Nachhinein rein rhetorisch.

Der Verletzte wird diesseits der Donau von Sympathisanten aufgenommen, darf sich in deren Wohnung ausruhen. Hier ist man überzeugt, dass der Sturm der Arbeiter auf die Wiener Innenstadt und der Sieg unmittelbar bevorstehen. Dazu kommt es nicht, die Arbeiter verschanzen sich in den Gemeindebauten - unter anderem im Goethe- und im Karl-Marx-Hof - und müssen schließlich kapitulieren. Der Ich-Erzähler fühlt sich wie ein geprügelter Hund, für ihn ist die Revolution zu Ende. Schließlich bekommt er die Gelegenheit, sich in die Sowjetunion zu retten.

Nach 1945 kehrt die Romanfigur Schindler nach Österreich zurück, doch er fühlt sich deplatziert. Seine Freunde von einst haben verschiedene Wege eingeschlagen, einer hat sich sogar den Nazis angeschlossen, ist jetzt aber wieder voll rehabilitiert. Schindler will nicht in den Versöhnungskanon einstimmen, der in der Zweiten Republik um den Preis des allgemeinen Vergessens den sozialen Frieden sicherte.

Federmanns Buch wurde bei seinem Erscheinen im Jahr 1959 von der Kritik hochgelobt als jener Roman, der die Dramatik und Tragik des Februar 1934 am besten darstelle, es sei sogar eine "anarchistische Abrechnung", hieß es.

Der 1976 verstorbene Autor selber wollte, wie er sagte, mit dem Buch der Verklärung des Austrofaschismus durch Autoren wie etwa den ÖVP-Politiker Heinrich Drimmel entgegenwirken. Das ist ihm gelungen. Mit der Neuauflage wird der lange in Vergessenheit geratene Roman wieder einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Die Lektüre lohnt sich.

Reinhard Federmann

Das Himmelreich der Lügner

Roman. Mit einem Nachwort von Günther Stocker. Picus, Wien 2023, 544 Seiten, 28,- Euro.