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Die Delikatessen der Neandertaler

Von Eva Stanzl

Wissen
Die Neandertaler brieten sich schmackhafte Taschenkrebse.
© wikimedia commons / Hans Hillewaert

Schalen- und Krustentiere zählten zu den Lieblingsspeisen in Portugal lebender Frühmenschen.


Rentiere, Wildpferde, Wollnashörner, Schneehühner, Gemüse, Fische und Meeresfrüchte aller Art: Dass die Neandertaler einen vielfältigen Speiseplan hatten, gilt als gesichert. In einer Fundstätte nahe Lissabon wurden neue Spuren eines paleolithischen Abendmenüs gefunden. Auch Krabben und schmackhafte Taschenkrebse zählten vor bereits 90.000 Jahren zu den Lieblingsspeisen der iberischen Frühmenschen.

Neben den Überresten von Steinwerkzeugen und Feuerstellen wurden in den Ablagerungen der Höhle Gruta de Fugueira Brava Panzer und Scheren von Krusten- und Schalentieren entdeckt und freigelegt. Laut der im Fachmagazin "Frontiers in Environmental Archaeology" veröffentlichten Studie haben die dort lebenden Neandertaler Krabben und Krebse gefangen, gekocht, aufgeknackt und verzehrt. "Am Ende der letzten Zwischeneiszeit haben Neandertaler im Mittelmeer regelmäßig insbesondere Taschenkrebse an dieser Felsküste gefangen. Ihr Ziel waren erwachsene Tiere von etwa 16 Zentimetern Durchmesser, die eine Mahlzeit von 200 Gramm ergaben", wird Studienleiterin Mariana Nabais vom Katalanischen Institut für Menschliche Paleoökologie in einer Aussendung zitiert. Und: "In der Höhle wurden die Tiere über Kohlefeuer gebraten und gegessen."

Ein Krabbenschmaus

Laut den Forschenden handelt es sich um eine detaillierte Studie der ersten umfangreichen Schalen- und Krustentiersammlung des Mittelpaläololithikums. 809 fossile Überreste wurden gezählt, von denen 56,7 Prozent anhand der Beißzangen, Scheren und Kieferknochen bestimmten Arten taxonomisch zugeordnet werden konnten. Der Großteil der Überreste stammt vom Taschenkrebs, der Rest von der Südlichen Seepocke, der Rennkrabbe, der Gemeinen Strandkrabbe oder der Großen Seespinne.

Heute gelten Shrimps, Krabben und Hummer als Delikatessen. Lange galten sie jedoch als zu unergiebig für die steinzeitliche Lebensweise des energieintensiven Jagens und Sammelns. Laut dem Modell der optimalen Nahrungsnutzung, wonach der Nettoenergiegewinn pro Zeiteinheit, in der Nahrung aufgenommen wird, möglichst maximiert werden sollte, enthalten Schalen- und Krustentiere zu wenig Fleisch und liefern zu wenig Energie im Vergleich zum Aufwand. Eine andere Theorie behält dagegen die Ökologie der Nahrungszufuhr im Auge. Dieser "Nutritional Ecology" genannte Zugang reiht marine Ressourcen wegen ihres Gehalts an Eiweiß, Omega3-Fettsäuren und Vitaminen sowie der Tatsache, dass sie vergleichsweise leicht zu fangen sind, weit höher. Der Perspektivenwechsel gab laut den Autoren Anlass zu Forschungsprojekten rund um die Archäologie von Weichtieren, Stachelhäutern und eben Krustentieren.

Das Team untersuchte, wie die Schalen- und Scherenfunde aufgeknackt worden waren. Sie fanden keine Spuren von Nagern, Raubtieren oder Vögeln. Krabben sind scheu, doch die Frühmenschen könnte sie laut den Forschenden im Sommer bei Ebbe im Seichtwasser gefangen haben.

Es wurden fossile Steinwerkzeuge und Feuerstellen sowie Versengungsspuren auf den Panzern gefunden. Die Bruchmuster legen nahe, dass die Schalen zum Essen geöffnet wurden. Wie Nabais berichtet, deute alles darauf hin, dass die Neandertaler ihre Krabben nicht bloß roh verzehrt, sondern warm zubereitet haben. Brennspuren an Panzern oder auch Zangen ließen darauf schließen, dass die Tiere auf eine Kochtemperatur von 300 bis 500 Grad Celsius gebracht wurden.

"Die Ergebnisse sind wie ein Sargnagel für die veraltete Annahme, dass die Neandertaler primitive Höhlenbewohner waren, die sich notdürftig vom rohen Fleisch erjagter Wildtiere ernährten", fasst Nabais zusammen. "Vielmehr aßen sie neben Muscheln auch Fische und Schnecken. Unsere Daten widerlegen Annahmen, wonach das Essen von Meerestieren etwas mit der Entwicklung einer mutmaßlich höheren Intelligenz unter frühen modernen Menschen in Subsahara zu tun hat", sagt die Archäologin.

Der Ordnung halber sei erwähnt, dass Meeresfrüchte Teil des iberischen Speiseplans sind. Wie die Universität Tübingen kürzlich berichtete, wurde in der Mittleren Altsteinzeit in unseren Breitengraden neben Großwild Hasen und Vögel zubereitet. Welchen Rezepten unsere Vorfahren folgten, ist weitgehend offen.