Die steinzeitliche Siedlungsgeschichte Europas haben Forscher nachgezeichnet. Ihre Daten schöpfen sie aus dem Erbgut von 356 Jägern und Sammlern, die vor 35.000 bis 5.000 Jahren den Kontinent bevölkerten. Unter der analysierten alten DNA war auch jene der 2005 in Krems entdeckten "Wachtberg-Zwillinge" sowie von einem prähistorischen Fund aus Wöllersdorf-Steinabrückl (beide NÖ). Die bis dato genaueste Rekonstruktion zeigt unter anderem, dass zum Eiszeit-Höhepunkt Rückzugsorte extrem rar waren.

Nach aktuellem Kenntnisstand erreichten die ersten Vertreter von "Homo sapiens" Eurasien vor etwa 45.000 Jahren. Im Erbgut der späteren Europäer findet sich die genetische Signatur dieser frühen modernen Menschen-Gruppen im einst noch vorrangig von Neandertalern besiedelten Gebiet aber nicht mehr, heißt es in der in "Nature" publizierten Studie. Die Forscher konzentrierten sich daher auf die Zeit zwischen 35.000 und 5.000 Jahren. Aus dieser Periode stammen auch die ersten genetischen Spuren, die bis zu den heutigen Bewohnern Westeurasiens zurückverfolgt werden können.

Die Gravettien-Kultur

Eine erste erstaunliche Erkenntnis der Studie war, dass die auf den Zeitraum vor 32.000 bis 24.000 Jahren datierte Gravettien-Kultur zwar von der Iberischen Halbinsel bis ins heutige Russland nachweisbar ist, die einzelnen Gruppen trotz relativ übereinstimmender Herangehensweise an das Anfertigen von Werkzeugen und Kunstwerken, genetisch aber erstaunlich wenig miteinander zu tun hatten. Zu dieser Kultur gehörten auch die vor rund 31.000 Jahren unter einem Mammut-Schulterblatt am Wachtberg in Krems bestatteten Säuglinge, die im Jahr 2005 entdeckt wurden. Bei dem spektakulären Fund handelt es sich um die weltweit älteste Zwillingsbestattung.

Die Wissenschafter um Cosimo Posth von der Universität Tübingen ordnen ihr Erbgut nun dem "Véstonice-Cluster" - benannt nach Funden aus Dolní Véstonice im heutigen Tschechien - zu. Dieser wird als eine der beiden zentralen Gruppen angesehen, die die Gravettien-Kultur verkörperte. Die Vertreter besiedelten die Gebiete der Tschechischen Republik über das heutige Österreich bis nach Italien. "Die Véstonice-Menschen waren wiederum Nachfahren von früheren Gruppen, die weiter aus dem Osten kamen", schreibt Ludovic Orlando von der Paul Sabatier Universität in Toulouse.

Die zweite wichtige Gravettien-Untergruppe war der "Fournol-Cluster", dessen Vertreter vor allem in West- und Südwesteuropa anzutreffen waren. Vor dem Eiszeit-Maximum vermischten sich Mitglieder beider Gruppen zwar vereinzelt, danach ging man aber getrennte Wege: Mit der Ausbreitung der Gletscher zogen sich nämlich die Fournol-Vertreter in den Süden der Iberischen Halbinsel zurück. Dort überdauerten sie die härteste Periode der Eiszeit. Ihre Nachfahren entwickelten dann die "Solutréen-Kultur" und ihr genetisches Erbe ist in der Folge auch in der "Magdalénien-Kultur" nachweisbar, die weite Teile Süd-, West- und Zentraleuropas im Zeitraum vor rund 18.000 bis 12.000 Jahren prägte.

Die Oberkassel-Gruppe

Anders erging es den östlicheren Gravettien-Vertretern: Dachte man früher, dass diese in wärmeren Gefilden im heutigen Süditalien die Eiszeit überdauerten, verliert sich deren Erbgut aber nach dem Glazialen Maximum. Stattdessen sieht es danach aus, dass nach der Eiszeit Menschen vom Balkan über Nord- nach Süditalien kamen. Die Nachfahren dieser Menschen - dem "Villabruna-Cluster" - machten sich dann vor rund 14.000 Jahren in weitere Teile Europas auf, und ersetzten dort sukzessive Magdalénien-Vertreter.

Zu jener Zeit wurde es relativ rasch wärmer und Wälder breiteten sich über den Kontinent aus. "Dies könnte Menschen aus dem Süden veranlasst haben, ihren Lebensraum zu erweitern", so Johannes Krause, von der Universität Tübingen. Die Bewohner im Norden räumten diese Gegenden womöglich, weil ihr Lebensraum, die Mammut-Steppe, geschrumpft war.

Nördlich der Alpen mischten sich etwa vor 14.000 Jahren unter anderem Magdalénien- und Villabruna-Vertreter. Das Erbgut dieser von Posth und Kollegen "Oberkassel-Gruppe" genannten Menschen kann heute noch über weite Teile des Kontinents - von Großbritannien bis Polen - nachgewiesen werden. Auch die DNA des Fundes aus dem im Bezirk Wiener Neustadt gelegenen Wöllersdorf-Steinabrückl lässt sich der "Oberkassel-Gruppe" zuordnen.

In Folge lebten Jäger-Sammler-Gruppen im Westen und Osten Europas offenbar sehr lange getrennt. Erst vor etwa 8.000 Jahren scheinen sich die Gruppen aus dem Osten, in denen es mehr Menschen mit hellerer Haut und dunkleren Augen gab, mit der "Oberkassel-Gruppe" vermischt zu haben. Als ein Treiber dieser Entwicklung könnte der sich aus der heutigen Türkei langsam in Richtung Europa ausbreitende landwirtschaftliche Lebensstil fungiert haben, der die Jäger-Sammler-Gruppen in den Norden ausweichen ließ.