Ein Schwein vor Gericht? Ein am Galgen aufgeknüpfter Hund? Was uns heute höchst befremdlich anmutet, war besonders ab dem späten Mittelalter vor allem in Frankreich, der Schweiz und dem westlichen Deutschland durchaus üblich, nämlich Tiere anzuklagen und hinzurichten. Damals betrachtete man Tiere als "Rechtssubjekte, nicht als rechtliche Objekte, unterstellte ihnen Motive, Absichten, Willen, statt ihr Verhalten auf Instinkte und Impulse zu beschränken, konzedierte ihnen Vernunft und Willensfreiheit, moralische Verantwortung und Schuldfähigkeit, und ging davon aus, es sei sinnvoll, Tiere zu kriminalisieren und zu bestrafen, ( )", schreibt Peter Dinzelbacher, österreichischer Historiker und Mittelalterspezialist mit Schwerpunkt Sozial- und Mentalitätsgeschichte, in seinem Fachbuch "Das fremde Mittelalter".
Belegen lassen sich Tierprozesse ab dem Spätmittelalter und der Frühneuzeit, einen Höhepunkt erreichen sie im 16. Jahrhundert. Quellen sind Prozessprotokolle, Rechnungen, Eingaben an die Obrigkeit oder Aufsätze in Schriften, die sich mit dem Recht befassten. In Gesetzen oder Verordnungen dagegen findet sich dieses Thema bis auf wenige Ausnahmen nicht. Strafprozesse gegen einzelne Nutz- oder Haustiere sind ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts belegt, Zivilprozesse gegen Schädlinge wie Insekten oder Nager ab dem 14. Jahrhundert. Dinzelbacher betont weiter, dass nur dann von Tierprozessen zu reden sei, wenn "ein offizielles Gericht oder eine offizielle Obrigkeit sie durchführten und alle oder einige wesentliche Elemente eines auch bei Verfahren gegen Menschen üblichen Procedere waren wie förmliche Anklage und Verteidigung (
)".
Dass die Tiere allerdings der menschlichen Sprache nicht mächtig waren und daher weder die Anklage verstehen noch sich verteidigen konnten, tat dem Eifer von Ankläger und Richter keinen Abbruch.
Einer der bekanntesten Tierprozesse fand 1386 in Falaise, Frankreich, statt: Ein Schwein hatte angeblich ein Kind getötet und wurde dafür an den Galgen gebracht. In der Dorfkirche findet sich ein Gemälde, auf dem das Schwein einen Strick um den Hals hat und mit einer Jacke und Hose bekleidet ist. In letzterem sieht Dinzelbacher eine Gleichstellung oder zumindest Annäherung zur Exekution eines menschlichen Delinquenten. Für das Jahr 1457 gibt es den nächsten Bericht über eine Sau, die mit ihren sechs Ferkeln in Savigny, Schweiz, vor Gericht stand: Auch sie soll ein Kind getötet und teilweise gefressen haben. Die Sau wurde schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt, die Ferkel gingen aufgrund ihrer Jugend frei. 1582 wurde in der deutschen Stadt Jülich ein Schwein aufs Rad geflochten, weil es eine geweihte Oblate gefressen hatte. Der grausame Tod des Tieres sollte anderen als Abschreckung dienen.
Doch schon damals wurden Stimmen laut, die gegen Tierprozesse sprachen: So schrieb laut Dinzelbacher der französische Rechtspraktiker Philipp de Beaumanoir bereits 1283, dass jedes Verbrechen eine Absicht voraussetze. Aus genau diesem Grund könnten Tiere daher nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden, da sie nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden könnten. Beaumanoir zufolge wäre es wohl eher der Gier der Gerichtsherren geschuldet, dass auch Tiere gerichtlich belangt werden könnten.
Aber nicht nur Haus- oder Nutztiere landeten vor Gericht, auch wilde Tiere wurden angeklagt, vor allem Insekten wie Heuschrecken oder Engerlinge oder Nager wie Feldmäuse und Ratten. Diese wurden allerdings nicht einer weltlichen, sondern der kirchlichen Obrigkeit überantwortet. Auch diese Verhandlungen glichen denen gegen Menschen, es gab sogar Rechtsvertreter für die beklagten Tiere. Als Strafen waren Exkommunikation oder Exorzismus vorgesehen, doch zuvor verhandelte man mit den Beklagten und bot etwa Engerlingen ein unbestelltes Grundstück an, auf dem sie straffrei tun konnten, was sie auf den Feldern nicht tun sollten, nämlich fressen. Folgten sie dieser Aufforderung nicht, drohten ihnen die erwähnten Strafen.
Bei den geistlichen Prozessen ging es nicht um einzelne Tiere, sondern um das Kollektiv. Dass die Kirche gegen Geschöpfe Gottes vorging, schien jedoch schon damals Gelehrten problematisch: Wenn eine tierische Plage eine Strafe Gottes war, war es dann nicht blasphemisch, gegen die Verursacher mit kirchenrechtlichen Mitteln vorzugehen? Und hatten nicht alle Tiere das Recht auf Nahrung, sodass die Beschaffung derselben nie mit böser Absicht erfolgte?
Während Dinzelbacher etliche Quellen für die Existenz von Tierprozessen zitiert, meint die deutsche Rechtshistorikerin Eva Schumann: "Aus dem deutschsprachigen Raum sind keine Rechtsquellen aus dem Mittelalter überliefert, die Strafverfahren gegen Tiere mit anschließendem Strafurteil und öffentlicher Hinrichtung belegen (...)." Sie ist überzeugt, dass die immer wieder erzählten Geschichten über Tierprozesse jedenfalls für Deutschland kein wahrhaftiges Bild abgeben. So werde etwa aus der Tötung eines Tieres durch den Henker geschlossen, dass zuvor ein ordentlicher Prozess stattgefunden habe – was keineswegs der Fall sein musste ("Tiere sind keine Sachen – Zur Personifizierung von Tieren im mittelalterlichen Recht", in: "Beiträge zum Göttinger umwelthistorischen Kolloquium 2008-2009", https://www.univerlag.uni-goettingen.de/bitstream/handle/3/isbn-978-3-940344-97-7/umweltkolloquium3.pdf?sequence=1).

Sachsenspiegel: Nach einer Vergewaltigung werden das Haus abgerissen und alle Tiere geköpft, um den Tatort zu reinigen und die Schande zu tilgen.
- © Universitätsbibliothek Heidelberg, Sachsenspiegel, Cod. Pal. germ. 14, Bl. 12v.Mehr Belege gibt es über die Instrumentalisierung von Tieren, um Strafen für Menschen zu verschärfen, etwa der Eselritt (dabei wurde der Bestrafte rücklings und nackt auf einem Esel durch den Ort geführt; die Strafprozession diente der öffentlichen Schande und Schmähung), das Hängen mit Hunden (dabei wurden vor allem Juden kopfüber an den Füßen aufgehängt, neben ihnen zwei Hunde auf die gleiche Art; die Tiere galten als unrein, mit ihnen zu sterben war in den Augen religiöser Juden daher eine zusätzliche Schande) oder das Säcken: Dabei wurde der Todeskampf von Tieren genutzt, um die Qual der Hinrichtung zu vergrößern. Der Verurteilte wurde zusammen mit einem Affen, einem Hund, einer Schlange und einem Hahn in einen Sack genäht und in tiefes Wasser geworfen. Im Fall von Sodomie wurde das betroffene Tier ebenfalls getötet, obwohl es das Opfer war – die Exekution diente der Tilgung des Frevels. Trotz der Unschuld der Tiere und ihrem qualvollen Ende gab es keine Kritik an diesen Tötungen; Tierquälerei war laut Dinzelbacher im Mittelalter und in der Frühneuzeit eine "legale Vergnügung".
Tierprozesse haben sich bis ins 20. Jahrhundert gehalten, doch was vielfach als solcher bezeichnet wird, ist keiner – zumindest nicht nach Dinzelbachers Definition. Da gibt es etwa das Beispiel der Elefantenkuh Mary, eine Attraktion eines Wanderzirkus, die am 11. September 1916 im US-Bundesstaat Tennessee einen jungen Mann zu Tode getrampelt hatte. Der Sheriff ordnete die Tötung des Tieres an, Mary sollte mittels eines Ladekrans erhängt werden. Beim ersten Versuch riss allerdings die Kette, der Elefant stürzte zu Boden und brach sich das Becken. Das brachte Mary jedoch keine Begnadigung, sondern einen erneuten Versuch der Vollstreckung – der Erfolg hatte, wenn auch der Todeskampf laut "New York Times" zehn Minuten gedauert haben soll. Dinzelbacher sieht darin jedenfalls keinen Tierprozess, da kein gerichtliches Verfahren stattgefunden hatte, sondern die Tötung von der Obrigkeit verfügt worden war, um weiteres Unheil zu verhindern.

Taro (mit Sheriff Jack Terhune) saß
1.000 Tage im Todestrakt von Trenton, dem Hochsicherheitsgefängnis in New Jersey – er hatte die Nichte des Sheriffs ins Bein gezwickt ...
Taro hatte Glück, denn er kam mit dem Leben davon. Nach drei Jahren im Todestrakt von Trenton, dem Hochsicherheitsgefängnis von New Jersey, wurde der Gefangene Nr. 914095 im Jahr 1994 begnadigt: lebenslängliches Exil statt Todesstrafe. Taro war die Tragweite dieser Nachricht wohl kaum bewusst, denn er war ein Hund. Er hatte 1991 ein Mädchen ins Bein gebissen und wurde dafür rechtskräftig verurteilt. Taro war das letzte Tier, das ein US-Gericht für schuldfähig hielt.