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"Genuß der freyen Luft"

Von Christian Hlavac

Wissen
Der Wiener Volksgarten in heutiger Pracht (Rosengarten, mit Blick zum Burgtheater).
© C.Stadler/Bwag; CC-BY-SA-4.0.

Vor 200 Jahren wurde der erste für die Öffentlichkeit entworfene und bestimmte Garten Wiens eröffnet.


Ab den 1840er Jahren entstanden in den großen, verqualmten Industriestädten Englands erstmals Parks, die von Anfang an öffentlich zugänglich waren und ausdrücklich auch der Erholung der Arbeiter dienten. Es wurden neue Grünräume geschaffen, um gleich mehrere Aufgaben zu erfüllen: Förderung der Gesundheit, Steigerung der Arbeitsfähigkeit durch systematische Erholung, Vermittlung bürgerlicher Verhaltensformen, Förderung der Bildung, aber auch Ablenkung von politischen Problemen.

In Kontinentaleuropa war in vielen Fällen der zentrale Anlass für die Errichtung solcher Grünanlagen ein anderer: die Abtragung der überflüssig gewordenen mittelalterlichen Befestigungssysteme. Die dadurch neu gewonnenen Freiräume wurden im Einzelfall im Auftrag des Herrschers "verschönert", wie das Beispiel des Wiener Volksgartens nahe der Wiener Hofburg zeigt.

Dieser wurde ohne viel Aufsehen und ohne eine Feier am späten Nachmittag des 1. Mai 1823 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Mit Verwunderung nehmen wir zur Kenntnis, dass dieses Ereignis nicht nur in allen damaligen Zeitungen und Zeitschriften keinen Widerhall gefunden, sondern auch in der Geschichtsschreibung fast keine Spuren hinterlassen hat.

"Huld des Kaisers"

Dass dieser "Garten für das Volk" überhaupt existiert, hat mit einer Machtdemonstration Napoleon Bonapartes zu tun, der 1809 vor dem Abzug seiner Truppen die sogenannte Burgbastei sprengen ließ. Kaiser Franz (1768-1835) nutzte den dadurch frei gewordenen Raum für eine großzügige Erweiterung und Umplanung des Areals vor der Hofburg. Einerseits sollte ein eigener privater Garten für ihn selbst, andererseits ein öffentlich zugänglicher Garten entstehen. Dass ein solcher angelegt werden würde, sprach sich früh herum. So berichtete der Arzt Joseph August Schultes bereits nach seiner Wien-Reise 1817 von einem Park "für die Wiener" dicht am Burgtor, der dank der "Huld ihres Kaisers [...] zu ihrer Erholung und Unterhaltung geöffnet haben wird."

Von der Detailplanungsphase an, die spätestens 1817 begonnen hatte, bis in das Frühjahr 1823 hinein wurde der Grünraum innerhalb des kaiserlich-königlichen Verwaltungsapparats unter der Bezeichnung "Publicums Garten vor der k. k. Burg" geführt. Anscheinend erst mit der Eröffnung am 1. Mai 1823 setzte sich in der Verwaltung und im allgemeinen Sprachgebrauch der noch heute gebräuchliche Name "Volksgarten" durch.

Postkarte um 1905.
© Sammlung Christian Hlavac (Ausschn.)

Doch wer war damals das Volk? Johann Heinrich Zedler hatte Jahrzehnte zuvor in seinem "Grossen vollständigen Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste" den Begriff "Volck" mit Blick auf die Definitionen von Cicero und Augustinus als "eine Menge oder ein Haufen Leute, welche sich in der Absicht, unter sich alle mit einander gleich durch einerley Rechte und Vortheile zu geniessen, oder um ihres gemeinen Bestens willen mit einander vereiniget und eine Art der Gesellschaft errichtet haben", beschrieben.

Bei dieser Definition ist von gleichen Rechten und Vorteilen die Rede. Übertragen auf den Volksgarten hieße dies, dass alle Menschen, die Untertanen des österreichischen Kaisers Franz waren, diesen "Publikumsgarten" aufsuchen durften. Gab es aus diesem Grund keine Wachen an den Eingängen und im Volksgarten selbst, oder wurden diese in schriftlichen Quellen schlichtweg nie erwähnt?

Jedenfalls stünden fehlende Eingangskontrollen im diametralen Gegensatz zu den damals ebenfalls im kaiserlichen Besitz befindlichen und öffentlich zugänglichen Grünanlagen: dem Augarten und dem Schönbrunner Schlosspark. Ein Unterschied lag nur in der dezidierten Widmung: Der Volksgarten wurde eigens für das Volk errichtet und war gleich nach Fertigstellung dem Publikum geöffnet. Die beiden anderen kaiserlichen Anlagen hatten hingegen schon seit langem bestanden und wurden erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dem Volk ausdrücklich zugänglich gemacht.

Soziale Beschränkung

Können wir davon ausgehen, dass alle den Volksgarten einfach so nutzen durften? Skepsis ist hierbei angebracht, wie das Beispiel Augarten zeigt. Wer nicht entsprechend gekleidet war und sich nicht benehmen konnte, wurde seinerzeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit abgewiesen. Dafür sorgten an den beiden Eingängen des Augartens die Portiere, die der "Ordnung wegen und um Bettler und unnützes Gesindel abzuhalten" den Zutritt kontrollierten, wie es 1779 heißt.

Diese sichtbare soziale Beschränkung über Eingangskon-trollen lässt sich für den Volksgarten in keiner Phase seines Bestehens nachweisen, auch weil man ihn bis zum Bau der Ringstraße nicht nur über das Tor, sondern auch über Stiegen und Rampen von den bestehenden Fortifikationsanlagen aus betreten konnte. Heißt dies im Umkehrschluss, dass alle Menschen - egal welchen gesellschaftlichen Standes - den Volksgarten einst uneingeschränkt betreten konnten?

Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu beachten, dass die Überwachung des öffentlichen Raumes in der Politik jener Zeit eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. Dies wird bei der Diskussion der Gestaltung von Volksgärten deutlich. Der bedeutende deutsche Gartentheoretiker Christian Cay Lorenz Hirschfeld meinte 1785 im fünften Band seines weit verbreiteten Werks "Theorie der Gartenkunst" zum Thema Volksgärten: Eine weise Politik könne "vor ihren Thoren besondere Oerter für den Spaziergang des Volks einrichten. Bewegung, Genuß der freyen Luft, Erholung von Geschäften, gesellige Unterhaltung ist die Bestimmung solcher Oerter".

Die Form der Tafeln hat sich im Laufe der Jahre kaum verändert...
© Christian Hlavac

Es seien hierbei gerade Alleen zu bevorzugen, um "die Aufsicht der Polizey, die an solchen Plätzen oft unentbehrlich ist", zu erleichtern. Dieser Aspekt klingt auch bei der Beschreibung des Wiener Volksgartens durch Franz Heinrich Böckh aus dem Jahr 1823 an: Anlagen mit geschwungenen Wegen im Sinne des Landschaftsgartens "sind hinsichtlich der großen Volksmenge, der in denselben möglicher Weise vorkommen könnenden Unsittlichkeiten und Unfüge auf ausdrücklichen allerhöchsten Befehl als nicht anwendbar verworfen worden".

Regelmäßiger Stil

Abgesehen davon sprach ein weiteres Argument für einen regelmäßigen Stil, wie der deutsche Gartenkünstler und erfahrene Praktiker Friedrich Ludwig von Sckell 1818 zum Thema Volksgärten festhielt: Dass nämlich in diesen "das Volk auf einmal in Masse gesehen werden kann und daher auch in solchen Alleen einen weit imposantern Anblick gewährt, als in den allerschönsten Schlangen-Wegen der Naturgärten".

Auch der bekannte englische Gartenkünstler und Gartenschriftsteller John Claudius Loudon hatte in seinen in den 1820er und 1830er Jahren erschienenen Werken, die auch ins Deutsche übersetzt wurden, dafür plädiert: "Geometrische Szenerie" sei die beste Form für einen öffentlichen Garten, wenn nur wenig Fläche zur Verfügung stünde. Dies alles dürften Gründe gewesen sein, dass der Wiener Volksgarten - entgegen der damals vorherrschenden Mode des Landschaftsgartens mit seinen gekrümmten und geschlängelten Wegen - im regelmäßigen Stil mit Alleepflanzungen konzipiert wurde.

Anlässlich der Errichtung der Ringstraße wurde der Volksgarten zwischen 1863 und 1865 vergrößert und gleichzeitig umgestaltet. So verschwand jener Wall, der den Volksgarten vom Paradeplatz (dem heutigen Heldenplatz) abschloss, und die den Garten umschließende Kurtine.

Die durch den Abriss der Befestigungsanlage gewonnene neue Fläche in Richtung der Vorstädte wurde dabei auf eine Art ergänzt, die uns heute fast nicht mehr erkennen lässt, dass dieser Gartenteil erst 40 Jahre nach der Eröffnung hinzugekommen ist. Neu war 1864 auch ein monumentales, von Laternen bekröntes gusseisernes Gitter rund um den Volksgarten. Doch schon 1823 hatte es am Haupteingang des Gartens beim heutigen Heldenplatz eine Toranlage gegeben. Wann diese offen und wann geschlossen war, lässt sich aufgrund fehlender Quellen nicht klären.

Erst mit der Erweiterung des Volksgartens in den 1860er Jahren änderte sich die Lage, denn im Dezember 1864 ordnete das k. k. Obersthofmeisteramt in einem Brief an den Hofgärtner Franz Antoine Folgendes an: "Das neue Gitterthor des k. k. Volksgartens werde von nun an in den Monaten November, December und Jänner um sieben Uhr morgens geöffnet und um sechs Uhr abends geschlossen, in den Monaten Oktober, Februar und März um sechs Uhr morgens geöffnet und um acht Uhr abends geschlossen, endlich in den Monaten April, Mai, Juni, Juli, August und September um 5 Uhr morgens geöffnet."

Falls in den Sommermonaten Konzerte oder Feste im Garten abgehalten werden sollten, dürfe die "abendliche Schließung des Gitters nicht vor deren Beendigung stattfinden". Weiters heißt es in der Anordnung, dass der Hofgärtner eigens eine "Kundmachungstafel" an einem der beiden Steinpfeiler des Tores anzubringen habe, auf der die Sperrstunden vermerkt werden. Diese Tafel müsse - so die Vorgabe - so aussehen, dass die einzelnen "Monate und die Sperrstunde herausgenommen und nach Erforderniß gewechselt werden können". Mit Interesse stellen wir fest, dass sich an der Form dieser Tafel bis heute vor Ort wenig geändert hat.

© Amalthea

Auch wenn wir die Vergrößerungen und Veränderungen im Laufe von zwei Jahrhunderten nicht ausblenden sollten, bleibt eine Tatsache bestehen: Der unter Denkmalschutz stehende Volksgarten ist der erste eigens für die Öffentlichkeit entworfene und bestimmte Garten Wiens und gleichzeitig ein frühes Beispiel für eine solche Anlage in Europa. Ein großes Aber bleibt jedoch: Auch wenn heute der Name "Volksgarten" etwas anderes suggeriert, war es eine vom Herrscher "huldvoll" dem Volk geschenkte Grünfläche.

Die Conclusio: Wir dürfen den Wiener Volksgarten als einen weitgehend uneingeschränkt zugänglichen Grünraum verstehen, der sich von einem herrschaftlichen privaten Garten, welcher zeitlich oder räumlich eingeschränkt für die Bevölkerung und Fremde zugänglich war, deutlich unterschied.

Christian Hlavac ist Garten- und Landschaftshistoriker sowie Publizist. Zuletzt ist von ihm das Buch "Wiener Parkgeschichen" (Amalthea 2021) erschienen.