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Die grausame Herrin

Von Helga Schimmer

Wissen

In der Augustinerstraße 12 steht ein viergeschossiges Bürgerhaus mit schlichten Renaissance-Gesimsen in der schmucklosen Fassade. Der massige, denkmalgeschützte Bau wirkt bedrückend ernst und strahlt eine gewisse Unheimlichkeit aus: In diesem Haus, das "Harnischhaus" oder "Ungarisches Haus" genannt wird, lebte an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert eine sadistisch veranlagte Frau, die als die "Blutgräfin" in die Kriminalgeschichte einging. Allein ihre Heimat Transsylvanien bot Anlass zur Bildung der schaurigsten Legenden, die in Teilen jedoch der Wahrheit entsprechen.

Elisabeth (ungarisch: Erzsébet) Báthory, Jahrgang 1560, ist die Nichte des polnischen Königs Stephan, die, umgeben von einigen epileptischen, psychopathischen oder zumindest erbarmungslosen Verwandten, in der düsteren Atmosphäre eines Karpatenschlosses aufwächst. Als Elfjährige wird sie mit dem einflussreichen, vermögenden Magyaren Ferencz Graf Nádasdy verlobt, den sie im Alter von 15 heiratet. Das Paar bezieht seinen Hauptwohnsitz auf Burg Čachtice in der heutigen Slowakei, die damals Teil des Königreiches Ungarn ist. Die Eheleute residieren aber auch fallweise in ihren anderen Besitzungen, beispielsweise in ihrem Wiener Stadtpalais in der Augustinerstraße - im "Ungarischen Haus".

Während Ferencz Nádasdy recht erfolgreich königliche Truppen im Kampf gegen die vorrückenden Osmanen kommandiert und sich durch sein hartes Vorgehen den Beinamen "Schwarzer Ritter" erwirbt, lässt er seine junge Frau an ihrem jeweiligen Aufenthaltsort alleine zurück. Auch nach Nádasdys Tod 1604 lebt Elisabeth Báthory, die ihren Mädchennamen bei der Eheschließung behalten und mittlerweile fünf Kinder geboren hat, äußerst zurückgezogen. Die wohlhabende, verwitwete Adelige nimmt so gut wie nie an gesellschaftlichen Ereignissen teil. Sie umgibt sich nahezu ausschließlich mit Dienstboten, die ihren bevorzugten Sommersitz auf Burg Čachtice bewirtschaften und ihre Herrin begleiten, wenn sie über die langen Wintermonate in Wien weilt.

Der unheimliche Diener

Vor allem ihr Leiblakai sticht als absonderliche Erscheinung aus der Dienstbotenschar hervor: Der verkrüppelte, zwergwüchsige Mann trägt stets eine bombastische Livree, die nach ungarischer Art goldverbrämt und geschnürt ist. Trotz seiner Missgestalt stecken ungeheure Kräfte in diesem Ficzkó, der eigentlich János Ujváry heißt und großes Aufsehen erregt, wenn er während seiner Einkaufstouren in der Wiener Innenstadt Gelegenheit hat, seine Stärke zu demonstrieren.

Fast täglich ist Ficzkó auf den Märkten anzutreffen, etwa auf dem Mehlmarkt (dem heutigen Neuen Markt), wo er intensive Verhandlungen mit jungen Dienstmädchen führt, die gleichfalls dort einkaufen. Seine Herrin, eröffnet ihnen Ficzkó, suche immer fleißige Küchenmägde und Zofen. Freilich reise sie viel und pflege ihre Dienerschaft auf ihre Expeditionen mitzunehmen, dafür aber sei sie nur zu gern bereit, einen überdurchschnittlich hohen Lohn zu zahlen.

Von diesem Versprechen lassen sich etliche junge Wienerinnen beeindrucken. Sie kündigen ihrer bisherigen Herrschaft und berichten, nachdem sie ihren Dienst im "Ungarischen Haus" angetreten haben, den ehemaligen Kolleginnen auf dem Markt, dass sie restlos zufrieden mit ihrer neuen Stellung sind. Zwar habe die reiche Gräfin ihre Marotten, und es sei schon etwas merkwürdig, dass sie sich ihr Schlafzimmer und ein Bad im Keller habe einrichten lassen, aber dem Personal mangle es prinzipiell an nichts. Na ja, das Bewerbungsgespräch sei einmal ziemlich peinlich gewesen. Sie hätten sich, erzählen die Mädchen, vor ihrer neuen Herrin splitternackt ausziehen müssen und seien von der Gräfin persönlich sowie deren alter Kammerzofe Ilona Jó aufs Genaueste inspiziert worden. Doch was nehme man für die zugesagten 55 Gulden pro Jahr nicht alles in Kauf?

Allmählich geraten die Erzählungen der Mädchen in Vergessenheit, und man denkt nichts Böses, als die frisch angeworbenen Dienstmägde nicht mehr auf den Märkten erscheinen. Dringende Reinigungsarbeiten im Haus und die Vorbereitungen für die Abreise nach Čachtice würden das rangniedrige Personal am Ausgang hindern, erklärt Ficzkó jedem, der es hören will.

Ausgerechnet in diesen Tagen kommt es in der Augustinerstraße immer wieder zu nächtlichen Ruhestörungen: Aus dem "Ungarischen Haus" ertönt ein Poltern und Rumpeln, ein Schreien und Weinen, das die Mönche des schräg gegenüberliegenden Augustinerklosters veranlasst, die Fensterscheiben des gräflichen Domizils mit Tongefäßen einzuwerfen und Ruhe zu fordern. Als Elisabeth Báthory dann im Frühsommer mitsamt ihrer Gefolgschaft abzieht, kehrt wieder Frieden ein - ein trügerischer Frieden, wie sich bald herausstellt.

Den ganzen Sommer über sieht man in Wien nichts von der Gräfin und ihrem Hofstaat. Als Ficzkó schließlich im Spätherbst wieder auf den Wiener Märkten auftaucht und nach dem Verbleib der Dienstbotinnen befragt wird, erwidert er knapp, den Mädchen hätte es in Čachtice so gut gefallen, dass sie lieber dort geblieben wären.

Ritualmorde

In der Umgebung der Karpatenortschaft aber kursieren die schauerlichsten Gerüchte: Von schwarzer Magie ist die Rede, von rituellen Folterungen junger Mädchen. Elisabeth Báthory wird hinter vorgehaltener Hand die "Blutgräfin" genannt. Die Bauern des Umlandes weigern sich, ihre Töchter in den Dienst der Adeligen zu geben. Es finden sich nur noch alleinstehende, von weit her kommende Mädchen, die zur Arbeit in der Burg bereit sind.

Als man den alten Ortspfarrer in schöner Regelmäßigkeit nötigt, bei Nacht und Nebel Bestattungen von unter mysteriösen Umständen verstorbenen jungen Frauen vorzunehmen, entschließt der Geistliche sich zu einer Vorsprache im Schloss. Doch Gräfin Báthory weist alle Verdächtigungen entrüstet von sich und droht dem Priester, der auch als Schlosskaplan fungiert, mit dem Entzug der kirchlichen Pfründe, falls er seine böswilligen Verleumdungen nicht augenblicklich einstelle.

Auch sein Nachfolger, der neue Schlosskaplan, wird mit den furchtbaren Vorgängen konfrontiert. Er geht den Gerüchten nach und entdeckt in den Kellern der Burg eine Unzahl von einfachen Särgen mit übel zugerichteten Frauenleichen.

Aus vertraulichen Gesprächen mit den Knechten erfährt der Kaplan Details über die perversen Neigungen der Gräfin. Schockiert unterrichtet er den Burgaufseher, und die beiden sehen es als ihre Pflicht an, dem Großpalatin und obersten Gerichtsherrn Ungarns, György Thurzo, Meldung zu erstatten.

Auch Matthias II., Erzherzog von Österreich und König von Ungarn, sind Informationen über Elisabeth Báthory zugetragen worden. Seine Majestät betraut Thurzo mit der gerichtlichen Untersuchung der Vorwürfe. Dabei tritt das gesamte Ausmaß des Schreckens zutage: Báthory hat die angeworbenen Mädchen mit unbeschreiblichen Torturen zu Tode gequält: Auspeitschungen, Verbrennungen, Stiche mit Nadeln, Schnitte mit Scheren - es gibt kaum eine Foltermethode, die die sadistische Adelige bei ihren Opfern nicht angewandt hat. In allen Báthory-Wohnsitzen, insbesondere aber im "Ungarischen Haus" in Wien, werden grässlich verstümmelte Mädchenleichen gefunden.

Etliche Zeugen schildern, wie die Gräfin einmal, nachdem sie ihre Gäste bei einem Bankett verabschiedet hatte, alle Zugänge zum Festsaal versperren und die anwesenden 60 jungen Dienstmägde durch ihre Helfer erwürgen und erstechen ließ. Dann riss sie sich die Kleider vom Leib und wälzte sich schreiend im Blut der Sterbenden. Bei anderer Gelegenheit schnitt sie jungen Frauen große Stücke aus dem Gesäß und zwang die Gepeinigten, ihr eigenes Fleisch zu essen. Näherinnen mussten, nachdem man ihnen die Fingernägel ausgerissen hatte, ihre Arbeit unter entsetzlichen Schmerzen fortsetzen. Während eisiger Wintertage fand Báthory Lust daran, weitere Opfer so lange mit Wasser übergießen zu lassen, bis diese zu Eis erstarrt waren. Im Sommer dagegen hetzten Hunde nackte und mit Honig bestrichene Mädchen durch den Wald, wo wilde Bienen und Wespen die Bedauernswerten zu Tode stachen. Mehr als 600 Mädchen soll Elisabeth Báthory bestialisch ermordet haben. Damit hält sie den unbestrittenen Rekord unter den Serienmördern.

Während der gerichtlichen Erhebungen unter Großpalatin György Thurzo gibt die Gräfin ihre Taten unumwunden zu. Sie steht auf dem Standpunkt, dass sie als Adelige niemandem Rechenschaft schulde. Schließlich sei die Prügelstrafe für Dienerinnen niedriger Herkunft üblich. Möglicherweise wäre sie mit diesem Argument wie viele andere Mörder und Sadisten unter ihren Standesgenossen unbehelligt davongekommen, hätte sie sich mit Bauernmädchen begnügt und nicht auch aristokratische Jungfrauen zu ihren Blutorgien gelockt.

Die weit verzweigte, einflussreiche Familie Báthorys tut jedenfalls ihr Möglichstes, um den Fall unter den Teppich zu kehren. Doch der König persönlich gibt den Auftrag zum öffentlichen Prozess, der von 2. bis 7. Jänner 1611 in der damals ungarischen, heute slowakischen Stadt Bytča stattfindet. Freilich ist das Verfahren von der gegenwärtigen Rechtsstaatlichkeit weit entfernt. Belastenden Aussagen wird, wie zu jener Zeit üblich, mit Folter nachgeholfen, die Hauptangeklagte hat keine Möglichkeit, sich zu äußern, von anwaltlicher Vertretung oder gerichtsmedizinischer Untersuchung ganz zu schweigen.

Am Ende wird Ficzkó, der zwergenhafte Lakai, geköpft und seine Leiche auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Kammerzofe Ilona Jó und eine weitere Mittäterin sterben in den Flammen.

Lebendig eingemauert

Elisabeth Báthory selbst entgeht dem Tod durch das Schwert, erleidet aber eine noch härtere Strafe: Die nunmehr 51-Jährige wird in ein Turmzimmer auf Burg Čachtice eingemauert. Nur ab und zu reicht man ihr durch ein kleines Loch in den ansonsten vollständig geschlossenen Wänden Wasser und Brot. Die "Blutgräfin" vegetiert bis zu ihrem Tod am 21. August 1614 im finsteren Verlies.

Seither nehmen die literarischen und filmischen Bearbeitungen, die Elisabeth Báthorys Biografie zum Dracula-Märchen ausschmücken, kein Ende. Die seriöse Forschung kann sich dagegen nur bedingt auf die Prozessakten stützen. Einige Historiker wittern gar eine Intrige des Hauses Habsburg: György Thurzo hätte im Auftrag Matthias II. eine hochadelige Witwe mit strategisch wichtigen Besitztümern kaltgestellt - überdies eine, die in Zeiten des unumstrittenen Patriarchats als selbstbewusstes Familienoberhaupt auftrat.

Wie auch immer, die meisten Historiker halten Elisabeth Báthory für schuldig. Und während Burg Čachtice seit dem Gerichtsprozess dem Verfall preisgegeben ist, trotzt das "Ungarische Haus" in der Wiener Augustinerstraße nach mehrmaligem Besitzerwechsel weitgehend unbeschadet den Jahrhunderten.

Literatur: Harald Seyrl: Die Exzesse der Blutgräfin. - In: Richard Benda et al: Mörderisches Wien. City-Guide zu den Schauplätzen des Schreckens. Edition Seyrl, Wien/Scharnstein 1996.

Helga Schimmer, geboren 1967, lebt als freie Schriftstellerin im östlichen Niederösterreich. Ihre Spezialität ist die literarische Aufbereitung wahrer Verbrechen. www.schimmer.at