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"Dies ist keine Übung"

Von Rolf Steininger

Wissen
Pearl Harbor in Hawaii, nur wenige Stunden nach dem japanischen Angriff.
© Foto: Wikipedia/ National Archives and Records Administration, Washington.

Es war ein friedlicher Sonntagmorgen auf Hawaii, an jenem 7. Dezember 1941, bevor um 7.53 Uhr die Hölle losbrach. 183 japanische Flugzeuge griffen die amerikanische Pazifikflotte im Hafen von Pearl Harbor an. Um 8.50 Uhr folgte der zweite Angriff. Sieben von acht Schlachtschiffen und zahlreiche andere Schiffe waren zerstört, genauso wie 188 Flugzeuge - nur die drei Flugzeugträger, die nicht im Hafen lagen, blieben verschont. 2403 Amerikaner waren tot, etwa 1200 verwundet. Nach Washington ging die inzwischen berühmte Meldung: "Luftangriff auf Pearl Harbor. Dies ist keine Übung." Und die ungläubige Reaktion von Marineminister Knox: "Das kann nicht stimmen. Die müssen die Philippinen meinen."

Am 26. November 1941 war das japanische Angriffsgeschwader unter Vizeadmiral Nagumo in See gestochen: Sechs Flugzeugträger mit 441 Flugzeugen an Bord, zwei Schlachtschiffe, drei Kreuzer, neun Zerstörer, Versorgungsschiffe und sechs U-Boote. Die Japaner würden angreifen, das wussten die Amerikaner. Sie wussten nur nicht, wo, da völlige Funkstille herrschte. Am 7. Dezember befand sich der japanische Kampfverband etwa 350 km nördlich der Hawaiiinsel Oahu. Um 6.00 Uhr startete von dort die erste Angriffswelle. Etwa 212 km vor der Insel wurden die Flugzeuge vom amerikanischen Radar erfasst, fälschlicherweise aber für eigene B-17 Bomber gehalten, deren Ankunft anvisiert war.

Günstige Gelegenheit

Am 8. Dezember erklärten die USA Japan den Krieg. Vor dem Kongress bezeichnete der amerikanische Präsident Roosevelt den Tag des "unprovozierten und feigen Angriffs" als einen Tag, der in Schande fortleben würde. Über die zuvor stattgefundene Kabinettssitzung notierte ein Vertrauter des Präsidenten: "Alle glaubten, dass in letzter Hinsicht Hitler der Feind war und dass er ohne Waffengewalt nie besiegt werden konnte, dass wir früher oder später zum Kriegseintritt gezwungen waren, und dass die Japaner uns dazu die günstige Gelegenheit geliefert hatten."

Am 11. Dezember erklärte Hitler den USA den Krieg. Der spätere amerikanische Außenminister Acheson kommentierte das folgendermaßen: "Ein kolossaler Fehler. Endlich hatten unsere Feinde mit unvergleichlicher Dummheit unser Dilemma beseitigt, alle Zweifel geklärt und unser Volk für einen langen Kampf geeint."

Die Welt hatte sich endgültig in zwei entgegengesetzte Lager gespalten, zwischen denen es keine nichtkriegführende Macht mehr gab. Durch Pearl Harbor war der Krieg global geworden.

Der Angriff auf Pearl Harbor hat eine lange Vorgeschichte. Sie beginnt 1931/32 mit der japanischen Besetzung der Mandschurei, der 1937 der gewaltsame Einmarsch in China mit dem furchtbaren Massaker in Nanking folgte. Japans expansive Politik bedrohte zwei fundamentale Interessen der amerikanischen Fernostpolitik, nämlich 1. das Prinzip der offenen Tür, d.h. freier Handel für alle, und 2. die Erhaltung eines Gleichgewichts der Kräfte im fernen Osten. Mit anderen Worten: es durfte keine Hegemonie einer Großmacht geben. Aber das war genau das Ziel Japans, das wenig später die Schaffung einer großasiatischen Wohlstandssphäre unter seiner Führung und unter Ausschluss westlicher Mächte verkündete. Dabei war die Abhängigkeit von Rohstoffen, insbesondere Öl, Japans Achillesferse.

Im Juli 1939 kündigte Washington als Zeichen des Protestes den Handelsvertrag mit Japan aus dem Jahr 1911.

Nach der Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 setzte Japan seinen Expansionskurs fort: die Vichy-Regierung musste die Besetzung des nördlichen Indochina akzeptieren.

Noch im Oktober 1940 wünschten sich 97 Prozent der Amerikaner, dass sich ihr Land aus dem Krieg herraushalten, allerdings jene Staaten unterstützen sollte, die für die Freiheit kämpften.

Ganz in diesem Sinne reagierte Washington mit dem berühmten Zerstörerhandel mit Großbritannien: es überließ London 50 Zerstörer gegen 99 Jahre Pacht von acht Militärbasen auf Neufundland und den Bermudas. Gleichzeitig wurde zum ersten Mal in Friedenszeiten die Wehrpflicht in den USA eingeführt und gegenüber Japan ein Embargo von Eisen und Stahlschrott verhängt.

Im Gegenzug unterzeichneten die Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan den sogenannten Dreimächtepakt, der sich eindeutig gegen die USA richtete.

Entscheidend für die weitere Entwicklung wurde die Präsidentenwahl in den USA Anfang November 1940. Es standen sich die sogenannten Internationalisten und die Isolationisten gegenüber. Die einen unter Führung von Roosevelt wollten in den Krieg eingreifen, die anderen nicht. Die Wahl fiel äußerst knapp aus: 27 Millionen Stimmen gegen 22 Millionen. Roosevelt wurde wiedergewählt, allerdings mit der geringsten prozentualen Mehrheit seit 1916 - Ausdruck der Anti-Kriegsstimmung in den USA.

Mit Roosevelts Wiederwahl begann ein neuer Abschnitt in den amerikanischen Kriegsvorbereitungen. Als Erstes beschloss Washington das sogenannte Pacht- und Leihgesetz, d.h. die USA konnten jetzt Kriegsmaterial ohne Bezahlung liefern, zunächst an Großbritannien, dann auch an China und die Sowjetunion. Dieses Gesetz war mehr als nur die Aufgabe der Neutralität, es war eine inoffizielle Kriegserklärung an die Achsenmächte. Gleichzeitig wurde das Embargo gegen Japan verschärft.

Diese Situation führte am 2. Juli 1941 zur ersten sogenannten kaiserlichen Konferenz in Tokio, auf der im Beisein von Kaiser Hirohito beschlossen wurde, einen Angriff auf die Sowjetunion zu verschieben - seit zehn Tagen lief dort die Operation "Barbarossa", der Überfall der Deutschen Wehrmacht - und zur Sicherung von Rohstoffen zunächst weiter nach Südostasien vorzustoßen, dies auch auf die Gefahr eines Krieges mit den USA und Großbritannien.

Das "letzte Angebot"

Nach der Besetzung des südlichen Indochina sperrte Washington am 26. Juli 1941 sämtliche japanische Vermögenswerte in den USA. Für den amerikanischen Botschafter in Tokio, Joseph Grew, stand damit fest: "Dies bringt Japan an den Rand des wirtschaftlichen Bankrotts."

Am 5. November gab es eine weitere kaiserliche Konferenz, auf der beschlossen wurde, die Verhandlungen mit Washington bis zum 30. November fortzuführen. Würden sie scheitern, würde man zuschlagen, obwohl klar war, wie es auch hieß, "dass das amerikanische Potenzial unvergleichlich größer ist als das japanische und dass es kein Mittel gibt, die USA im Kriegsfall direkt zu besiegen."

Am 7. November machten die Japaner ein "letztes Angebot": Sie forderten Stationierungsrechte in China für die nächsten 25 Jahre und wollten am Dreimächtepakt festhalten. US-Außenminister Hull kannte dieses Angebot bereits vor der Übergabe, da die Amerikaner den japanischen Funkcode geknackt hatten. Er lehnte es ab und legte am 26. November einen Gegenvorschlag vor: "10 Punkte", deren Annahme einer Kapitulation Japans gleichgekommen wäre. Sie sahen u.a. den vollständigen Rückzug Japans aus China und Indochina vor.

Am selben Tag lief der japanische Angriffsverband unter Vizeadmiral Nagumo aus.

Am 6. Dezember fing Washington die Antwort auf den amerikanischen Vorschlag ab. Tokio sprach von einem Ultimatum, rechtfertigte die eigene Politik und beschuldigte die USA, die Existenz Japans zu bedrohen und seine militärische Einkreisung vorzubereiten, weitere Verhandlungen seien zwecklos.

Die Note sollte am nächsten Tag, den 7. Dezember, um 13.00 Uhr übergeben werden, gleichzeitig die letzte Codemaschine und alle Akten vernichtet werden. Schon nach dem ersten Teil der abgefangenen Note meinte Roosevelt zu seinem Vertrauten Harry Hopkins: "Das bedeutet Krieg."

So war es. Der Angriff auf Pearl Harbor kam dennoch überraschend, ohne Kriegserklärung, und wirkte auch deshalb auf die amerikanische Bevölkerung wie ein Schock. Es gab in der Folgezeit mehrere Untersuchungen des Kongresses, Verschwörungstheorien und Kontroversen unter Historikern. Die verbreitetste These besagte, dass Roosevelt und Teile des Militärs rechtzeitig Kenntnis vom Angriff gehabt, aber bewusst nichts unternommen hätten, um so die kriegsunwillige Bevölkerung für den Eintritt in den Krieg zu gewinnen. Tatsache ist: Es gab zahlreiche Hinweise auf einen Angriff, wobei Washington bis zuletzt allerdings nicht wusste, ob er gegen Hawaii oder die Philippinen geführt würde, und im Übrigen trauten die Amerikaner den Japanern einen Angriff auf Pearl Harbor gar nicht zu. Da spielte auch ein latent vorhandener Rassismus mit hinein. Nicht umsonst wurden alle japanisch-stämmigen Amerikaner anschließend in Lagern interniert.

Der Kongress kam zu dem Schluss, dass der diensthabende Offizier versagt habe. Der Oberbefehlshaber im Pazifik, Admiral Kimmel, und der Armeekommandant in Hawaii, General Short, wurden als "Sündenböcke" ihres Postens enthoben und erst 1999 rehabilitiert. Kimmel meinte nach dem Angriff, er sei eine hervorragend durchgeführte Operation gewesen. Tatsächlich aber war er ein schwerer taktischer und strategischer Fehler der Japaner. Kein Geringerer als der Oberbefehlshaber der japanischen Flotte, Admiral Yamamoto, erkannte das. Er hatte sich erfolglos gegen diesen Angriff ausgesprochen. Er hatte in Harvard studiert, war Marineattaché in Washington gewesen und kannte die Mentalität der Amerikaner. Er kommentierte Pearl Harbor angeblich so: "Ich fürchte, alles was wir erreicht haben, ist, einen schlafenden Riesen geweckt und mit einem furchtbaren Vorsatz erfüllt zu haben."

Der Sieg der USA

Genauso war es. Schon Anfang 1943 waren die USA zur größten Waffenschmiede der Welt geworden und stellten allein mehr Kriegsmaterial her als alle Achsenmächte zusammen.

Was in Pearl Harbor begann, endete 1945 mit den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und der Unterzeichnung der japanischen Kapitulation auf dem Schlachtschiff "Missouri" in der Bucht von Tokio. Die "Missouri" war wie die übrigen in Pearl Harbor versenkten Schlachtschiffe - mit Ausnahme der "Arizona" - schnell repariert und dann im Krieg eingesetzt worden.

1962 wurde ein eindrucksvolles Denkmal eingeweiht, das sich über der "Arizona" erhebt. Der Architekt war Alfred Preis, ein österreichischer Jude, der von den Nazis aus Österreich vertrieben worden war. In einiger Entfernung liegt jetzt auch die "Missouri" als ständige Erinnerung an jenen 7. Dezember 1941, der als "Tag der Schande" in die Geschichte eingegangen ist.

Rolf Steininger geboren 1942 ist emeritierter o. Univ.-Prof. und war von 1984 bis 2010 Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck.