Zum Hauptinhalt springen

Der Geschmack der Macht

Von Edwin Baumgartner

Wissen
Die Löwen des Diktators: In Arno Brekers 1938 geschaffener Löwen-Bastion am Ostufers des Maschsees drückt sich die Ästhetik desNationalsozialismus aus. Breker war der führende Bildhauer im nationalsozialistischen Deutschland.

Politisch Verführte von Arno Breker bis Bertolt Brecht.


17. Februar 1934: Der deutsche Bildhauer Arno Breker erklärt, er sei nicht mehr bereit, der nationalsozialistischen Barbarei mit seinem Werk zu dienen, und emigriert in die Schweiz.

23. Juli 1935: Der deutsche Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann distanziert sich vom Nationalsozialismus und emigriert nach Großbritannien.

26. März 1949: Der russische Komponist Dmitri Schostakowitsch nützt seine Teilnahme am "Kongress für kulturelle Freiheit" in New York, um vor amerikanischen Journalisten Stalin als "Verbrecher an der Menschheit" zu bezeichnen und um politisches Asyl anzusuchen. Als der in der DDR lebende Schriftsteller Bertolt Brecht davon hört, schließt er sich mit seinem Appell "Stalin falle" an, verliert in der Folge seine gesamte Lebensgrundlage und emigriert nach Frankreich.

Das alles ist nie geschehen. Wäre es die Wahrheit, dann könnte man tadellosen Charakter und überragende künstlerische Begabung in Übereinstimmung bringen. Doch so ist es nicht.

Künstler sind den Verführungen durch Diktaturen zu allen Zeiten erlegen oder haben sich mit ihnen wider besseres Wissen arrangiert. Die Zahl derer, die ohne Notwendigkeit emigriert oder offen gegen die Diktatur, in der sie lebten, aufgetreten sind, ist klein.

Hitlers Handschlag

Der Reiz der Diktatur besteht für den Künstler in der Abkoppelung vom Broterwerb durch seine Kunst. Nicht die Akzeptanz durch das Publikum steuert den Erfolg und damit die Einnahmen, sondern die Förderung durch den individuellen Geschmack eines Machthabers, dem sich der Künstler bis zu einem gewissen Grad unterwerfen kann, wobei immer noch Freiräume bleiben. Im Gegenzug verleiht der Künstler, sollte sein Werk die Labyrinthe der Zeit überdauern, dem Diktator auf gewisse Weise Unsterblichkeit und auch eine partiell gute Nachrede. So bleibt der englische König Heinrich VIII. nicht nur durch die Hinrichtung zweier seiner sechs Frauen und die zehntausende Opfer kostende englische Kirchenreformation im Gedächtnis, sondern auch als Förderer des Malers Hans Holbein und des Komponisten Thomas Tallis.

Für die Diktaturen der jüngeren Vergangenheit symptomatisch ist der Fall des deutschen Komponisten Werner Egk (1901-1983). Seine politischen Ansichten sind die eines linken Pazifisten. Doch er hungert auch nach Erfolg, und ab 1933 passt seine Musik vorzüglich in jene Nische, die frei ist, nachdem Kurt Weill, Erich Wolfgang Korngold und Paul Hindemith von den Nationalsozialisten verboten wurden. Egk bekommt Aufträge von der NSDAP für das NS-Festspiel "Job, der Deutsche" und 1936 für die "Olympische Festmusik" für die Olympischen Spiele in Berlin. Egk hat die Wahl, mit der Annahme der Aufträge seine Karriere zu befördern oder mit der Ablehnung seine Karriere zu vernichten. 1936 ist ein Ende der nationalsozialistischen Herrschaft nicht in Sicht. Egk entscheidet sich für Parteinähe und Karriere.

Zu seiner "Peer Gynt"-Oper gratuliert ihm Adolf Hitler persönlich. Gerade dieser "Peer Gynt" streift aufgrund seiner avancierten Harmonik und des Jazz (wenngleich dieser negativ konnotierten Gestalten, nämlich den Trollen, zugeordnet ist) die "entartete Musik". Von herber Männlichkeit, Volkstümlichkeit und Feierstimmung ist in dieser teils dunklen, teils irisierenden, von französischen Vorbildern wie Francis Poulenc und Darius Milhaud beeinflussten Oper keine Spur. Egk hat seinen Freiraum genützt. Kann man dem Künstler wirklich einen Vorwurf machen, wenn sein Werk einem Diktator gefällt, obwohl es dessen sonstigem Geschmack nicht ansatzweise entspricht?

Der deutsche Autor Jürgen Trimborn untersucht in einer eben vorgelegten Biografie den schon eindeutigeren Fall des Bildhauers Arno Breker, der zuerst ein Protegé jüdischer Galeristen, danach eines Hitlers war und zum "Michelangelo des NS-Staats" aufstieg. Brekers Neigung zur simplifizierenden, individuelle Merkmale tilgenden und monumentalen Menschendarstellung passte ebenso in das künstlerische Konzept der Nationalsozialisten wie Brekers konservative Ästhetik und seine Lust am Monumentalen. Anders als in den Werken Egks, drückt sich bei Breker die nationalsozialistische Ästhetik im Werk aus.

Codierung als Freiraum

Ob dieses Werk deshalb minderwertig ist, wäre zu diskutieren. Denn wenn jede Kunst automatisch minderwertig ist, in der sich die Ästhetik einer Diktatur affirmativ spiegelt, dann muss man sich nicht nur von den Werken der antiken römischen Kultur ebenso verabschieden wie von denen der präkolumbianischen Kulturen Südamerikas, sondern auch von jeder höfischen Kunst - was einen Kahlschlag bedeuten würde. Denn Kunst war in den seltensten Fällen demokratisch, sie war und ist fast immer elitär. In Demokratien hat sie lediglich nolens volens andere Brotherrn gesucht, die dann Mäzene heißen.

Dementsprechend konnte Breker nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur nahezu ungehindert weiterarbeiten. Nachdem zuvor Hitler sein Auftraggeber gewesen war, waren es jetzt beispielsweise der CDU-Bundesvorsitzende Ludwig Erhard, der Industrielle Rudolf August Oetker und die Konrad-Adenauer-Gesellschaft. Auf der entgegengesetzten Seite des politischen Spektrums der Diktaturen muss sich ein Dmitri Schostakowitsch mit dem Stalinismus und den nur im Auftreten liberaleren Nachfolge-Ausprägungen des Sowjet-Kommunismus arrangieren: Er liefert in seinen Repräsentationswerken den Machthabern genau jene pompöse Parteimusik, deren groteske Übertreibung oder ins Leere laufende Wiederholung zu den antistalinistischen und antisowjetischen Codes seiner Symphonien gehört. Diese Codierung verschafft Schostakowitsch den Freiraum, in dem er sich sein unkorrumpiertes Künstlertum bewahren kann, wenn er nicht gleich auf die ohnedies weniger beachtete Kammermusik ausweicht.

Tichon Chrennikow hingegen erliegt den Lockungen der Diktatur, vielleicht, weil seine Fantasie zu eingeengt ist, um die Freiräume zu erkennen, vielleicht auch, weil die zahlreichen Ehrungen ihn blind und taub machen. Seine menschenverachtende Vorgangsweise Kollegen gegenüber kann freilich, trotz aller Erklärungsversuche, nur als Charakterfehler gewertet werden.

Letzten Endes ist so wohl auch Bertolt Brechts Kotau vor der SED zu verstehen. Als es nämlich am 17. Juni 1953 in Ost-Berlin zu Massenprotesten der DDR-Arbeiter kommt, drückte Brecht noch am selben Tag in Briefen an den Ersten Sekretär des Zentralkomitees der SED Walter Ulbricht und andere hochgestellte Personen sowohl in der DDR als auch in der Sowjetunion seine "Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" aus und verleumdet den Volksaufstand als organisiert von "faschistischen Elementen".

Es war wie bei Chrennikow: Die Ehrungen und seine herausragende Stellung als führender Theaterautor der DDR - sogar mit einem eigenen Theater - blenden Brecht, und da sein Theater die DDR-Ästhetik prägt und nicht umgekehrt, hat er auch nie auf die Suche nach Freiräumen gehen müssen, was zu einer neuen Positionsbestimmung führen hätte können.

Die Kehrseite der Diktatur

Aber selbst Künstler, die heute als unverdächtig eingestuft werden, erlagen den diktatorischen Verführungen. Paul Hindemith etwa komponiert seine legendenhaft-verklärte Künstleroper "Mathis der Maler" ganz im Sinn der nationalsozialistischen Programmatik. Und am 10. März 1933 schreibt der Komponist an seinen Vater: "Nach allem, was ich hier im Musik- und Theaterbetrieb sehe, glaube ich, dass alle Theaterposten in Kürze mit stramm nationalen Jungs besetzt sein werden. Im nächsten Frühjahr, nach Überwindung der ersten Schwierigkeiten, dürften dann die Aussichten für eine Oper von Penzoldt und mir sehr gut sein."

Allein Hitlers persönliche Aversion machte aus dem NS-Parteikomponisten einen "entarteten Komponisten", der emigrieren musste. Was die andere Seite der Medaille ist: In Diktaturen können Künstler unendlich hoch aufsteigen. Für den Fall ins Bodenlose genügt freilich die ästhetische Magenverstimmung des Diktators.