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Wannsee-Konferenz - der Fahrplan für den Völkermord

Von Rainer Mayerhofer

Europaarchiv
Das Verbrechen des Jahrhunderts wurde in einer Villa in Berlin-Wannsee geplant.
© Clemensfranz - Creative Commons

Am 20. Jänner 1942 berieten 15 NS-Funktionäre den Ablauf des Holocaust.


Wien. "Unter entsprechender Leitung sollen nun im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird.

Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist."

Diese beiden Absätze aus dem 15-seitigen Besprechungsprotokoll des am 20. Jänner 1942 in der Villa Marlier am Großen Wannsee stattgefundenen Treffens von 15 NS-Funktionären aus Ministerien, Parteistellen und SS (siehe Fotos im oben stehenden Artikel) sind ein klarer Hinweis auf den von den Nazis zu diesem Zeitpunkt bereits in Gang gesetzten Völkermord an den europäischen Juden.

Besprechung ursprünglich für Dezember 1941 geplant

Der Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, hatte das Treffen ursprünglich schon für den 9. Dezember 1941 angesetzt. Wegen des japanischen Angriffs auf Pearl Harbour und der anschließenden deutschen Kriegserklärung war es aber auf Jänner 1942 verschoben worden.

Adolf Eichmann, Heydrichs Judenreferent, der das Protokoll führte und bei seinem Prozess in Jerusalem 1961 auch die Echtheit des 1947 in den Akten des Auswärtigen Amtes aufgefundenen Dokuments bestätigte, sagte in seinem Prozess aus, Heydrich habe "die Staatssekretäre annageln" wollen.

Aus der einzig erhaltenen Kopie des Protokolls - es war die Nummer 16 von 30 Exemplaren und gehörte Martin Luther, dem Unterstaatssekretär des Außenamtes - geht hervor, dass insgesamt die Deportation und Ermordung von elf Millionen europäischer Juden geplant war, darunter auch jene aus der unbesetzten Zone Frankreichs, aus England und Irland, Spanien, Portugal, Schweden, Finnland, der Schweiz und der Türkei, die gar nicht zum deutschen Einflussbereich gehörten.

Luthers Exemplar des Protokolls entging nur deshalb der Vernichtung, weil er selbst bei Kriegsende wegen seiner Intrigen gegen seinen Chef, Außenminister Joachim von Ribbentrop, im KZ saß.

Das Treffen selbst, das am Mittag eines herrlichen Wintertages in entspannter Atmosphäre bei Brötchen und Cognac stattfand, dauerte nur 90 Minuten. Heydrich teilte seinen Gästen mit, dass er von Hermann Göring mit der Erstellung eines "Entwurfs über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Belange im Hinblick auf die Endlösung der europäischen Judenfrage" beauftragt worden sei.

Ziel der Konferenz war es, alle beteiligten Zentralinstanzen "auf die Parallelisierung der Linienführung" einzuschwören.

Breite Debatte über die "Mischlingsfrage"

Breiten Raum nahm die Debatte über die Behandlung sogenannter Mischlinge 1. und 2. Grades ein, die dann tatsächlich bis zum Ende der NS-Ära offen blieb. Otto Hofmann, Chef des SS-Rasse- und Siedlungshauptamts, plädierte für weitgehende Sterilisierung der Mischlinge, Staatssekretär Wilhelm Stuckart aus dem Innenministerium trat für Zwangssterilisierungen ein und regte Überlegungen über gesetzliche Regelung für Zwangsscheidungen bei Mischehen an.

Josef Bühler, Stellvertreter des Generalgouverneurs Hans Frank im besetzten Polen, schlug vor, im Generalgouvernement mit der Endlösung zu beginnen, weil dort Transportprobleme keine besondere Rolle spielen würden. "Von den in Frage kommenden 2 1/2 Millionen Juden sei überdies die Mehrzahl der Fälle arbeitsunfähig", heißt es im Protokoll.

Fünf der Teilnehmer der Wannsee-Konferenz waren bei Kriegsende tot. Heydrich wurde Opfer eines Attentats, Blutrichter Roland Freisler starb bei einem Bombenangriff, Rudolf Lange und Alfred Meyer begingen Selbstmord, Martin Luther starb an den Folgen der KZ-Haft. Noch vor Entdeckung des Protokolls wurden Eberhard Schöngarth und Josef Bühler wegen anderer Taten hingerichtet. Adolf Eichmann wurde 1962 in Jerusalem hingerichtet. Er war der einzige der 15 Teilnehmer, der wegen seiner Teilnahme an der Wannsee-Konferenz verurteilt wurde.