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Schatzkiste der Weltgeschichte

Von Heiner Boberski

Wissen

Heilige und Häretiker, Mächtige und Weise korrespondierten mit dem Papst.


Rom. Wussten Sie, dass die letzte chinesische Kaiserin der Ming-Dynastie sich auf den Namen Helena taufen ließ und sich 1650 in einem Brief an Papst Innozenz X. zum Christentum bekannte? Noch bevor das Schreiben Rom erreicht und Innozenz’ Nachfolger Alexander VII. 1655 geantwortet hatte, war die Kaiserin allerdings schon gestorben. Wussten Sie, dass der genannte Innozenz X. in einem Schreiben den Westfälischen Frieden, der 1648 den furchtbaren Dreißigjährigen Krieg beendet hatte, ablehnte und - vergebens - Neuverhandlungen forderte?

Wussten Sie von den ernsthaften Bemühungen, orthodoxes und lateinisches Christentum - seit 1054 getrennt - in den Jahrhunderten darauf wieder zu versöhnen? 1277 strebte der damalige, später abgesetzte Patriarch von Konstantinopel Joannis Vekos in einem Schreiben an Papst Johannes XXI. eine Union mit Rom an. 1439 wurde auf dem Konzil von Florenz das Ende des Schismas niedergeschrieben, was im Osten aber nicht anerkannt wurde und 1453 zur Eroberung von Byzanz durch die Türken führte.

So aufregende, oft nur vom Hörensagen bekannte Dokumente zur Welt- und Kirchengeschichte präsentiert die Ausstellung "Lux in arcana" (Licht im Verborgenen) in den Kapitolinischen Museen in Rom. Noch bis 9. September werden dort - in den überfüllten Vatikanischen Museen wäre das nicht möglich gewesen - hundert Dokumente aus dem heuer genau 400 Jahre alten Vatikanischen Geheimarchiv gezeigt.

Seit 1881 zugänglich

Die Objekte reichen vom etwa 1200 Jahre alten "Liber Diurnus", einer Sammlung von Schriften der päpstlichen Verwaltung in Rom, bis zum Schreiben, mit dem Johannes XXIII. zu Weihnachten 1961 das Zweite Vatikanische Konzil einberief und das er - ein sehr sympathischer Zug - nicht mit allen seinen päpstlichen Titeln, sondern nur mit "episcopus Ioannes" (Bischof Johannes) und "servus servorum Dei" (Diener der Diener Gottes) signierte.

Es sind nur Schriftstücke, die in den Vitrinen in abgedunkelten Räumen zu sehen sind, aber sie werden zweisprachig (italienisch und englisch) erläutert und mit Illustrationen und Informationen auf Bildschirmen ergänzt. Und sie stellen eine sorgfältige Auswahl dar: Immerhin misst das "Archivum secretum" 85 Regalkilometer, wie Christine Maria Grafinger, an der Vatikanischen Bibliothek tätige Oberösterreicherin, weiß. Sie betont auch, "secretum" bedeute im Grunde "privat". Das heißt, es handelt sich um das Privatarchiv des Papstes, der es nach Belieben der Öffentlichkeit zugänglich machen kann oder nicht. Seit Leo XIII. 1881 dazu die Erlaubnis gab, dürfen ausgewiesene Forscher - egal welcher Religion - das Archiv benützen.

Die "geschlossene Periode"

Freigegeben werden Archivakten wie anderswo - um noch lebende Personen zu schützen - erst nach einigen Jahrzehnten, im Fall Vatikan geht man nach Pontifikaten vor, und da ist man erst bei Pius XI. (1922-1939). Seit Jahren drängt die Gelehrtenwelt, die Dokumente zur NS-Zeit in Augenschein nehmen zu dürfen, doch das Pontifikat von Pius XII. (1939-1958) ist noch eine "geschlossene Periode", aus der in der Ausstellung nur einzelne Schriftstücke - zum Beispiel über das Schicksal der jüdischen Schwestern Edith und Rosa Stein - zu sehen sind.

Die Abschnitte der Ausstellung sind nicht chronologisch, sondern nach bestimmten Themen geordnet, deren Zusammenhang sich nicht immer leicht erschließt. Wird man gleich zu Beginn mit dem Inquisitionsprozess gegen Galileo Galilei konfrontiert, so folgen im gleichen Raum unter anderem ein Schreiben des Kalifen von Marokko an den Papst von 1802, ein auf Birkenrinde geschriebener Brief von Indianern an Leo XIII. aus dem Jahr 1887, eine Sammlung persischer Gedichte und Briefe zum Amerikanischen Bürgerkrieg von Präsident Abraham Lincoln und Südstaaten-Präsident Jefferson Davis.

Deutlicher ist der Zusammenhang der Objekte in anderen Räumen, mag es nun um die weltliche Macht des Papstes, um das Konklave, um Häresie und Kreuzzüge, um Heilige und Königinnen oder um Wissenschafter und Philosophen gehen. Der einstige Machtanspruch der Päpste, ausgeführt im 1075 verfassten "Dictatus papae" Papst Gregors VII., zu dem Kaiser Heinrich IV. den berühmten Gang nach Canossa unternehmen musste, oder in der 1302 publizierten Bulle "Unam sanctam" von Bonifaz VIII., wird deutlich vor Augen geführt.

Eine große Rolle spielt die vielfältige päpstliche Korrespondenz - etwa 1603 in der Quechua-Sprache mit dem Volk der Inka, 1738 mit dem 7. Dalai Lama oder 1745 mit dem französischen Aufklärer Voltaire. 1530 bombardierten gleich 83 Mitglieder des englischen Parlaments Klemens VII. mit ihrer Unterstützung für das Ansuchen von Heinrich VIII., seine Ehe möge annulliert werden.

Etliche Bezüge zu Österreich

Bezüge zu Österreich muss man nicht lange suchen. Eine gut auf das Kapitol passende Abwandlung eines berühmten Spruches von Gaius Julius Cäsar enthält ein Brief, der unmittelbar nach dem Ende der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken verfasst wurde. "Venimus, vidimus et Deus vicit" (Wir kamen, wir sahen, und Gott siegte) schrieb der Polenkönig Johann Sobieski an Papst Innozenz XI. am 14. September 1683.

Mit 4. Juli 1770 ist ein Schreiben von Papst Klemens XIV. datiert, in dem er dem damals 14-jährigen Wolfgang Amadeus den Orden vom Goldenen Sporn verleiht. Als Heimat des jungen Musikers wird darin freilich fälschlich Straßburg statt Salzburg angeführt. Die Römer waren voll der Bewunderung für den mit seinem Vater Leopold angereisten Amadeus, nachdem dieser die Partitur des ausschließlich in der Sixtinischen Kapelle in der Karwoche aufgeführten "Miserere" von Gregorio Allegri, dessen Noten unter Strafandrohung streng geheim gehalten wurden, nach einmaligem Anhören aus dem Gedächtnis niedergeschrieben hatte.

Vom Dezember 1792 oder Jänner 1793 stammt eine hier gezeigte verzweifelte Botschaft der bald darauf hingerichteten französischen Königin Marie Antoinette aus ihrer Gefangenschaft. Daneben findet sich ein inniges Dankschreiben von Kaiserin Elisabeth, hier als "Sissi", nicht "Sisi" bezeichnet, vom 26. März 1868 an Papst Pius IX. für ein unbekanntes Geschenk (vermutlich einen Rosenkranz oder einen anderen religiösen Gegenstand).

Der Templer-Prozess im frühen 14. Jahrhundert, den eine 60 Meter lange Rolle mit 231 Zeugenaussagen imposant veranschaulicht, und die Fälle Martin Luther und Giordano Bruno bilden weitere Höhepunkte der vom Publikum überrannten Schau. Wer sie besucht, sollte früh am Morgen kommen und unbedingt den reichhaltig illustrierten Katalog erstehen (14 Euro, 216 Seiten, Palombi Editori, Rom).