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Der umtriebige Handwerker

Von Thomas Karny

Wissen

Johann Puch gab seinen Produkten mit solider Verarbeitung und geschicktem Marketing einen klingenden Namen. Am 27. Juni ist der 150. Geburtstag des Unternehmers und Ingenieurs.


Als Johann Puch am 19. Juli 1914 in Zagreb stirbt, umfasst sein Nachlass ein Automobil aus eigener Fabrikation sowie 13 Pferde und Fohlen im Gesamtwert von rund 20.000 Kronen. Über die von ihm gegründete Firma findet sich kein Wort.

Johann Puch (1862-1914).
© © stadtmuseumgraz

So lapidar endete der Lebensweg eines Fabriksherrn, der als junger Schlosser aus der Einschicht eines slowenischen Dorfes in das einigermaßen pulsierende Leben von Graz eintauchte und dort mit Tatendrang, handwerklicher Perfektion und wohl auch einer Portion Bauernschläue ein Unternehmen von europäischem Format aufbaute.

Am Anfang jedoch stand das Wort, und das war beim Pfarrer von St. Lorenz in den Windischen Büheln, der mit klerikaler Zu-verlässigkeit den 27. Juni 1862 als den Tag der Geburt und Sakuak in der Nähe von Pettau, dem heutigen Ptuj, als den Geburtsort in das Taufbuch eintrug. Der Eintrag erfolgte in Deutsch, auch wenn die Alltagssprache Slowenisch war, und so wurde aus dem gebräuchlichen Janez Puh der amtsdeutsche Johann Puch.

In den ersten zwei Jahrzehnten sind die Haltepunkte, an denen man das Leben des Johann Puch festmachen kann, spärlich. Angeblich musste er, lange bevor alle seine acht Geschwister auf der Welt waren, bereits als Kind den elterlichen Hof verlassen und sich als Helfer bei einem Müller an der Drau verdingen. Wenn das stimmt, ist seine weitere Entwicklung umso erstaunlicher. Denn spätestens als er ab seinem 12. Lebensjahr bei einem Pettauer Schlosser eine Lehre beginnt, nimmt sein Bildungsweg einen geordneten Verlauf. Nach der Freisprechung 1877 tritt er seine Arbeit in der Schlosserei des Anton Gerschack in Radkersburg an, wo er seine handwerklichen Fertigkeiten verfeinert und das notwendige Rüstzeug für seine berufliche Zukunft erhält.

Die Firmengründung

Noch sind Slowenien und Österreich in einer riesigen Monarchie vereint, sodass Radkersburg keinen Grenzort, sondern bloß eine Etappenstation auf Puchs Wanderung von der untersteirischen Heimat ins südsteirische Graz darstellt. Dort lässt er sich nach dem Militärdienst schließlich in der Strauchergasse nieder und verliebt sich alsbald in Maria Reinitzhuber, die Tochter seines wohlhabenden Hausherrn. Die Heirat bringt Puch eine stattliche Mitgift, die ihm aus seiner Posi- tion als Werkmeister in der Fahrradfabrik des Benedikt Albl den Sprung in die Selbstständigkeit erheblich erleichtert.

Puch ist 27 Jahre alt, als er von der Stadt Graz die - erst per Anwalt erstrittene - Genehmigung für die Errichtung einer Werkstatt erhielt. Bald darauf investiert er ein Vermögen in einen 20 Mitarbeiter umfassenden Betrieb. Ohne die Finanzkraft seiner Frau und seines Geschäftspartners Victor Kalman wäre diese Expansion wohl nicht möglich gewesen - zumindest nicht in dieser Schnelligkeit. Seinen Wohnsitz im Bezirk Lend, einer damals wie heute wenig attraktiven Gegend, wird Puch nie mehr wechseln - ein kurioses Paradoxon der Beständigkeit zu seiner ansonsten an den Tag gelegten Umtriebigkeit.

Puch war nicht unbedingt der geniale Konstrukteur, und seine Produkte stellten nicht die Avantgarde des technisch Machbaren dar. Aber er verfügte über das handwerkliche Wissen, bestehende Techniken zu optimieren, besaß die Fähigkeit, Spezialisten aus dem Ausland nach Graz zu lotsen, und erkannte schon früh, dass die Mutter des Erfolgs im geglückten Marketing zu finden ist.

Die zeitliche Lücke zwischen dem englischen Weldless-Stahl und dem zuverlässigen Schwedenstahl füllte lange Zeit der von Puch geschaffene Mythos vom härtesten Stahl der Welt, nämlich jenem aus der Steiermark. Die daraus gefertigten Styria-Räder fuhren bei den damals populären Radrennen Sieg um Sieg ein. Der Erfolg bei "Paris - Roubaix" 1893, nicht anders denn als eine Sensation zu bezeichnen, gab dem Geschäftsgang im Allgemeinen und dem Export im Speziellen einen gehörigen Schub.

Opfer des Radsports

Die Puch’sche Belegschaft wuchs Jahr für Jahr um hundert Mitarbeiter. Der Meister selbst jedoch - begeisterter, aber nur mäßig erfolgreicher Radrennfahrer - holte sich bei einem eigenen Sportengagement fast den Tod. Beim Langstreckenrennen von Wien nach Triest 1891 trat er als Schrittmacher selbst in die Pedale und zog sich dabei eine schwere Lungenentzündung zu, von deren Langzeitfolgen er nie mehr genesen sollte. Sie begründete wohl den Beginn seines Herzleidens.

Doch zunächst bleiben der Tatendrang und seine ausgeprägte Reisetätigkeit, immer auf der Suche nach aktuellen Entwicklungen und neuen Lieferanten, ungebremst. Er produziert Schlittschuhe, Traber-Sulkies und erwägt den Einstieg in die Näh- und Schreibmaschinen-Fabrikation. Als sich die Bielefelder Dürrkopp-Werke 1897 an seiner Firma beteiligen, lässt er sich auszahlen. 1899 startet er mit der "Johann Puch - Erste steiermärkische Fahrrad-Fabriks-AG" neu durch und präsentiert, entsprechend dem Aufbruchsgeist der Jahrhundertwende, bereits 1901 seine ersten Motorräder.

Die Kundenakzeptanz war von Beginn an gut, und was bei den Fahrrädern funktioniert hatte, funktionierte auch bei den Motorrädern: Die mit einem werkseigenen Rennteam erzielten Erfolge im Sport schlugen sich auch im Alltagsgeschäft nieder.

Puchs Automobile

Schon 1900 hatte Puch sein erstes Auto gebaut, gewissermaßen eine Fingerübung, die ein Einzelstück blieb. Der tatsächliche Einstieg in die Automobilproduktion erfolgte 1906 mit dem Bau einer leichten Voiturette, für die der Prospekt eine "Schnelligkeit von 50 km/h in der Ebene und die Überwindung aller Steigungen bei normalen Straßenverhältnissen" versprach. Bereits ein Jahr später wurde ein Vierzylinder-Modell vorgestellt, das aufgrund seiner außerordentlichen Steigfähigkeit den Beinamen "Alpenwagen" erhielt. Auch hier spiegelte sich Puchs Firmenphilosophie wieder: Keine unausgereiften Experimente, sondern solide Qualität und hohe Zuverlässigkeit sollten seine Produkte auszeichnen. Die größte automobile Herausforderung bestand damals in der österreichischen Alpenfahrt, bei der binnen vier Tagen 1400 Kilometer auf rumpeligen Schotterstraßen mit Steigungen von 30 Prozent und mehr zurückgelegt werden mussten. Ein Sieg war ein im praktischen Einsatz erzielter Qualitätsbeweis. Der "Alpenwagen" fand zufriedene Kunden im Hochadel und sogar der Kaiserfamilie, aber auch bei der bürgerlichen Hautevolee, wie etwa dem bekannten Volksschauspieler Alexander Girardi.

Trotz all dieser Erfolge, die ihm mit der Motorisierung eines Grazer Luftschiffs sogar einen Ehrenplatz in den Annalen der Luftfahrt zuweisen, werden Veränderungen im Wesen des Fabriksherrn erkennbar. Der slowenische Self-made-Man scheint sein Glück nicht mehr voll und ganz im Betrieb und Erhalt seiner Fabrik zu finden. Wie als Ausgleich zu seinem von Technik geprägten Alltag erwächst in ihm eine große Tierliebe, die dem Erfolgsmenschen Puch auch hohe Anerkennung beschert. Seine Bernhardiner heimsen Preise sonder Zahl ein, seine Pferde laufen auf zahlreichen Trabrennbahnen der Monarchie, die von ihm gezüchteten Hühner sind "erstprämiertes steirisches Rassegeflügel".

Frühes Alter

Zusehends jedoch macht ihm sein Herz Schwierigkeiten. Der einst schneidige junge Mann mit verwegen gezwirbeltem Schnurrbart und dunklen, feurigen Augen altert vor der Zeit. Trotz seiner Körperfülle wirkt er schwach, eine damals hoch in Mode stehende Prinz-Heinrich-Kappe bedeckt das schüttere Haar, Blässe hat sich über seine Haut gezogen. An einen Freund schreibt er: "Der Motor in meiner Brust ist eben schon veralteter Konstruktion, er lässt in der Tourenzahl nach."

Mit der Gesundheit, so scheint’s, schwindet auch die wirtschaftliche Sorgfalt. Was die Finanzen betraf, stand Puch immer mit dem Rücken zur Wand. Mehr als einmal war die unternehmerische Vision der monetären Realität voraus. Nun, als gelte es, dem Leben im letzten Abdruck noch einen Hax’n auszureißen, gibt er das Geld mit vollen Händen aus. Zwangsläufig kommt es zu Auseinandersetzungen mit dem Verwaltungsrat der AG. Puch verkauft nach und nach seine Anteile und zieht sich 1912 auf die Rolle des Ehrenpräsidenten zurück. Da beschäftigte das Unternehmen etwa 1000 Arbeiter und stellte jährlich 16.000 Fahrräder sowie 300 Motorräder und ebenso viele Autos her.

Über Puchs Privatleben ist wenig bekannt. Vielleicht auch deswegen, weil der übliche Anhaltspunkt für den diesbezüglichen historischen Rückblick fehlt: die Familie. Die Ehe war kinderlos geblieben, seine wohl letzte Freude gehört den Rennpferden. Der Tod ereilt ihn am 19. Juli 1914 nach einem Traberrennen in Zagreb. Während des Abendessens im Hotel Royal erleidet Puch einen Herzinfarkt.

Renommierprodukte

Neun Tage später bricht der Erste Weltkrieg aus. Wie dem ganzen Kontinent steht auch der Firma Puch eine höchst abwechslungsreiche und von der Produktion für zwei Kriege geprägte Geschichte bevor. Die nach mehreren Fusionen entstandene Steyr-Daimler-Puch AG galt bis in die jüngere Vergangenheit als Renommierbetrieb der österreichischen Fahrzeugindustrie, deren Erzeugnisse heute noch einen bekannten Klang haben: Das Puchwagerl als österreichischer Beitrag zur nachkriegszeitlichen Individualmotorisierung, die robusten Motorräder und Motorroller der 1950er und 1960er Jahre, das legendäre Postler-Moped MV 50, das zuverlässige "Maxi" sowie die Pubertäts-Töpfe "Monza" und "Cobra". Zahllose Steyr-Busse prägten das Bild des heimischen öffentlichen Verkehrs. Steyr-LKW’s gehörten zu den Kasernen, Straßen- und Autobahnmeistereien wie der Adler zur österreichischen Flagge.

Das hämmernde Tuckern der Steyr-Traktoren war der akustische Hintergrund, vor dem die österreichischen Landwirte ihre Äcker bestellten. Und "Haflinger" und "Pinzgauer" waren nicht nur Allradsensationen für schwierigstes Gelände, sondern Inkarnationen unschätzbaren Know-how’s für Zeiten, von denen man noch gar nicht ahnte, dass sie einmal kommen werden: Neustrukturierung hieß das Schlagwort in den 1980er Jahren, als man sich von zahlreichen Produktionssparten trennte und sich auf die Kernkompetenz in der Fahrzeug- und Antriebstechnik konzentrierte.

Heute ist das ehemalige Puch-Werk in Graz-Thondorf Teil des Magna-Konzerns und Fertigungsstraße für renommierte Autohersteller. An den Ahnherrn Johann Puch wird in einem im heurigen Frühjahr neu bezogenen Museum in Graz erinnert. Und der österreichische Piaggio-Generalimporteur Josef Faber lässt seit heuer wieder Fahrräder unter dem Namen "Puch" bauen.

Thomas Karny, geboren 1964. Sozialpädagoge, Autor und Journalist. Mehrere Buchveröffentlichungen zu Zeit- und Motorsportgeschichte. Lebt in Graz.