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Die Kunst, gesund zu sein

Von Andreas Walker

Wissen

Vor 250 Jahren wurde der deutsche Arzt Christoph Wilhelm Hufeland geboren, der vor allem als engagierter Verfechter der Makrobiotik berühmt geworden ist.


Wer würde sich nicht wünschen, hochgradig alt zu werden? Vielleicht gar 200 Jahre? Dieses Alter hielt zumindest der Mediziner Christoph Wilhelm Hufeland für Menschen möglich. Mit der Bitte um einen Kommentar schickte er sein Buch "Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern" 1796 an Immanuel Kant (1724-1804), in dem er einen Gleichgesinnten vermutete. Kants Antwort erschien als letzter Teil im "Streit der Fakultäten".

Kant lobte Hufelands Ansinnen, das "Physische im Menschen moralisch zu behandeln" und wie dieser befürwortete er das Verhüten von Krankheiten durch eine entsprechende Lebensweise. Doch weist er auch auf ein zentrales Problem der Makrobiotik hin: "Dahin führt die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern: dass man endlich unter den Lebenden nur so geduldet wird, welches eben nicht die ergötzlichste Lage ist."

Hufeland studierte in Jena und Göttingen Medizin und dissertierte - beeinflusst von Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799), der in Göttingen Physik, Mathematik und Astronomie unterrichtete - über "den medizinischen Nutzen der elektrischen Kraft beim Scheintod". Ab 1793 war er Professor an der Universität Jena. Ende des 18. Jahrhunderts wurde er Hofmedikus in Weimar. Zu seinen Patienten zählten u. a. Goethe, Schiller und Wieland. 1809 wurde er erster Professor für spezielle Pathologie und Therapie an der neu gegründeten Universität Berlin und zum Dekan der Fakultät ernannt.

Kampf dem Scheintod

An der Berliner Charité rief Hufeland die erste deutsche Poliklinik für arme Leute ins Leben. Bereits 1792 gründete er in Weimar das erste Leichenschauhaus Deutschlands. In diesem waren spezifische Vorkehrungen getroffen, um Scheintote nicht lebendig zu begraben: Der Wärter sollte durch ein Glasfenster in seiner Dienststube die aufgebahrten Leichen in der angrenzenden Leichenkammer bis zur beginnenden Verwesung beobachten können. Finger und Zehen sollen über Fäden mit Glöckchen verbunden gewesen sein, die jede Regung des Scheintoten signalisierten. Bei wieder einsetzenden Lebenszeichen standen anregende Getränke und Stärkungsmittel bereit.

Doch waren es nicht seine Verdienste auf medizinischem Gebiet, sondern sein Einsatz für die Makrobiotik, der Hufeland berühmt machen sollte. Keineswegs hatte er die Kunst, mittels Diätetik auf ein langes Leben hinzuwirken, erfunden. Herodot berichtet im dritten Buch seiner "Historien" von den Aithiopern, die durch ihre Lebensweise 120 Jahre alt würden. Sie ernährten sich nur von gekochtem Fleisch und Milch. Vor allen Dingen aber benutzten sie ein leichtes Quellwasser, in dem sie sich wuschen.

Der Zusammenhang von Ernährungs- und Trinkgewohnheiten und langem Leben ist auch im "Corpus Hippocraticum" festgehalten, in welchem es heißt, man könne nicht gleichzeitig ein Gourmand und ein Trinker sein. Pythagoras, der selbst über achtzig Jahre alt geworden ist, riet den Menschen zur Mäßigung im Essen, Trinken und in Liebesangelegenheiten. Das Beste sei ungekochte Nahrung und zum Trinken Wasser, der Verzicht auf Fleisch, bestimmte Fische wie Meerbarben und Bohnen. Diogenes Laer-tius berichtet allerdings, dass man Pythagoras nie lachen gesehen habe.

Platon, um die Vorzüge diätetischer Lebensweise wohl wissend, hat gerade über diejenigen Ärzte gespottet, denen es zwar gelang, das Leben ihrer Patienten zu verlängern, die dabei jedoch versagten, deren Lebensqualität mit zu befördern. Platon sah auch, dass eine rein aufs Körperliche bezogene Diät um eine Diät des Seelenlebens ergänzt werden müsse.

Die zweite Quelle, aus der Hufeland schöpfte, geht von dem von Aristoteles in der "Metaphysik" behandelten Begriff der Entelechie aus. Entelechie bezeichnet den Umstand, dass etwas sein Ziel in sich selbst hat, und lässt sich als Lebensprinzip deuten. Diese teleologische Vorstellung vom Lebendigen dominierte im Mittelalter und wurde vom Rationalismus mit seinen mechanistischen Vorstellungen kritisiert. Der Annahme, der Leib sei eine bloße Maschine, widersprachen wiederum Mediziner wie Georg Ernst Stahl (1659-1734) und Théophile de Bordeu (1722-1776), die das Lebensprinzip durch eine "anima" oder "vis vitalis" erklärten. Hufeland synthetisierte die Ansichten seiner Vorläufer zur "Lebenskraft", welche "die feinste, durchdringendste, unsichtbarste Tätigkeit der Natur" sei.

Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens gab es freilich bereits vor Hufeland. So führt er den Arzt Herman Boerhaave (1668-1738) an, der angeblich den Amsterdamer Bürgermeister neben zwei jungen Leuten schlafen ließ, um dessen Kräfte zu stärken. Es galt bereits im Mittelalter als treffliche Maßnahme für die Vitalität älterer Männer, neben Jungfrauen zu nächtigen. Ihr Atem sollte revitalisierende Kräfte haben. Marsilio Ficino (1433-1499) riet, das Blut junger Menschen mit Zucker zu trinken und das Saugen an der Brust eines jungen, fröhlichen und schönen Mädchens bei Vollmond, um das Alter zu erhalten oder gar zu verjüngen.

Wenig Gutes weiß Hufeland über die Methoden des Paracelsus (1493-1541) zu sagen, der seine Patienten mit Schwefel, Quecksilber und Salz behandelte. Auch "Scharlatans", die versprechen, ihre Kunden durch "astralische Salze, Goldtinkturen, Wunder- und Luftsalzessenzen, himmlische Betten und magnetische Zauberkräfte" zu heilen, sind ihm ein Ärgernis. Stattdessen bedient sich Hufeland der Elemente Licht, Wärme, Luft und Wasser.

"Lebenskraft", schreibt er, "ist also nur Vermögen; Leben selbst Handlung." Das Leben als Verwirklichung seiner selbst konsumiere sich beständig und die Lebenskraft sei jene Form von Energie, die der Konsumtion trotzt. Die Steigerung der Lebenskraft wird zum erklärten Ziel, um die Konsumtion zu verlangsamen.

Wert der Mäßigung

Je weniger erkünstelt die Lebensweise der Menschen ist, je weniger geprägt von "Luxus, Üppigkeit und Faulheit", umso größer sei auch die Chance, möglichst alt zu werden. Hufeland beruft sich auf die Pythagoreer und die Stoiker, um die Mäßigung der Leidenschaften zu rechtfertigen. Zur Mäßigkeit der sexuellen Leidenschaften sei der "Ehestand" das einzige Mittel, die Lebenskraft zu erhalten: "Alle sehr alten Leute waren verheiratet, und zwar mehr als einmal, und gewöhnlich noch im hohen Alter". Überhaupt bestünde die Kunst zur Stärkung der Lebenskraft darin, den "Mittelton in allen Stücken" zu finden, beträfe dies nun das Klima, die Ökonomie oder die geistigen Tätigkeiten. Allerdings ist auch der - physische wie seelische - Müßiggang einem hohen Alter abhold.

Der Mensch, der lange lebt, wird als "heiter, gesprächig, teilnehmend, offen für Freude, Liebe und Hoffnung" charakterisiert. Er sei nie heftig und kaum zornig, ein "Optimist", entfernt von "Ehr und Geldgeiz, liebt die Meditation und ist Freund der "häuslichen Glückseligkeit". Er habe einen guten Magen, esse langsam, nicht zu viel und habe keinen großen Durst. Skurril mutet es an, wenn Hufeland Konzessionen an die Physiognomik macht und den Menschen, der lange lebt, als eher blond, mit großen Händen und einem breiten Fuß beschreibt. Gute Berufe, um alt zu werden, seien die des Matrosen, Soldaten und Tagelöhners. Vielleicht hatte Hufeland die frische Luft bei Matrosen und die relative Unabhängigkeit bei Tagelöhnern im Sinn, um ihnen langes Leben zu attestieren. Bezüglich der Soldaten wirkt seine Einschätzung wie Hohn.

Immer wieder weist Hufeland daraufhin, dass die "Anstrengung der Denkkraft" die Lebenskraft erschöpfe, da man, wenn man keinen "philosophischen Kopf" habe, vom Nachdenken nur unglücklich und kränklich werde. Wer dennoch seinen Kopf über Gebühr beanspruche, sollte sich zum Ausgleich genügend Bewegung verschaffen. Auch Stimmungen wie Kummer, Trauer, Neid und Missgunst können lebensverkürzend wirken wie das allzu träumerische Spiel der Einbildungskraft. Für das weibliche Geschlecht sei insbesondere der Tanz eine Gefahr, das Leben zu verkürzen. Die Haut würde dadurch "trocken und unrein" werden.

Psychogenetisch führt Hufeland an, dass Kinder, die zum "Zeitpunkt der Trunkenheit" erzeugt würden, zeitlebens "stupid und blödsinnig blieben". Wenn insbesondere letztere Einschätzungen auch jeglicher Grundlage entbehren, so mögen sie auf einen pädagogischen Nutzen abgezielt haben, um Menschen zu disziplinieren. Hufeland schreibt nicht nur gegen ekstatisches Verhalten an, sondern auch gegen die Schwermut, die im 19. Jahrhundert zu voller Blüte gelangte.

Hufeland ist sich der Allgemeinheit seiner Vorschläge sehr wohl bewusst, da jeder Mensch für sich selbst zu entscheiden habe, was für ihn aufgrund seiner Konstitution das Richtige ist, sein Leben zu verlängern. Grundsätzlich empfiehlt er vegetarische Speisen, ohne dabei Fleisch ganz und gar abzulehnen: Wenn es schon sein muss, dann wenig, da es zu Fäulnis neige. Trinken solle man hingegen ausreichend, am besten Wasser, wenngleich Hufeland auch kein Feind des Weines ist. Den Tabakgenuss lehnt er grundsätzlich ab. Ärzte seien hingegen nicht bloß als Mediziner zu betrachten, die einem eine Behandlung verordnen, vielmehr als Diagnostiker, damit man weiß, in welchem Zustand man sich befindet. Wenn aber ein Arzt nicht nach moralischen Grundsätzen, sondern nach politischen Motiven handelt, "dann ist er einer der furchtbarsten und gefährlichsten Menschen, und man solle ihn ärger fliehen als die Krankheit". Eine Warnung, die an Aktualität nichts eingebüßt hat.

Hufelands Nachleben

Die Makrobiotik des 20. Jahrhunderts kam aus Japan - insbesondere durch die Lehren Georges Ohsawas - nach Europa. Über den Makrobiotik-Versandhandel und Bioläden kann man sich mittlerweile reichhaltig physisch mittels Lebensmitteln und seelisch mittels Büchern und Ratgebern lebensverlängernd ausstatten. Bewegung, Sport und gesunde Ernährung werden von Staat und Krankenkassen gefördert und von Fernsehanstalten in Talkshows und Kochsendungen beworben.

Auch wenn Hufeland in moralischen Dingen ein Kind seiner Zeit war, so sind seine Ansichten zur Beförderung physischer Gesundheit omnipräsent in der Gesellschaft verankert. Kaum jemand zweifelt mehr daran, dass gesunde Ernährung das Leben verlängern könnte; sie ist aber keine Garantie. Beinahe ebenso wichtig wie die Ernährung war für Hufeland denn auch die Haltung, die der Mensch zum Leben einnimmt: "Liebe das Leben und fürchte den Tod nicht, das ist das Gesetz (. . .), um glücklich und alt zu werden."

Andreas Walker, geboren 1971 in Hamburg, ist Philosoph und Autor. Zuletzt erschienen: "Platons Patient - Ein Beitrag zur Archäologie des Arzt-Patienten-Verhältnisses", Halle 2010. Er lebt in Bochum.