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"Heil Hitler! Wilhelm Frass"

Von Katharina Schmidt

Wissen

Der Bildhauer Frass versteckte 1935 ein NS-Huldigungsschreiben in der Krypta am Heldenplatz. Seine Geschichte ist symptomatisch für Österreichs Umgang mit seiner braunen Vergangenheit.


Es muss ihm irgendwie leidgetan haben. Als Wilhelm Frass im Juni 1938 den Stempel "einwandfrei" auf seinen "Antragschein auf Ausstellung einer vorläufigen Mitgliedskarte" bei der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei bekam, wurde er plötzlich unter Mitgliedsnummer 1,621.727 geführt. Fünf Jahre zuvor, im Mai 1933, als der damals frisch zum Professor gekürte Bildhauer der illegalen NSDAP beitrat, war er noch vorne dabei - als Mitglied Nummer 246.

Die Geschichte von Wilhelm Frass ist in vielerlei Hinsicht symptomatisch für den österreichischen Umgang mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit: Nach 1945 kurz diskreditiert und einem Entnazifizierungsverfahren unterzogen, war der Bildhauer bereits in den 1960er Jahren wieder ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft. Und: Eine Huldigung an den Nationalsozialismus, die er unter dem Denkmal des "Toten Soldaten" in der Krypta am Heldenplatz versteckt hat, ruhte dort 77 Jahre lang - ohne, dass es jemanden besonders zu bekümmern schien.

Erst im Juli ist das Denkmal, das Frass 1935 schuf, auf Initiative von Verteidigungsminister Norbert Darabos geöffnet worden. Und darin fand man nicht nur Frass’ Brief, in dem es unter anderem heißt: "Möge der Herrgott, nach all dem Furchtbaren, nach aller Demütigung, den unsagbar traurigen Bruderzwist beenden und unser herrliches Volk einig, im Zeichen des Sonnenrades (gemeint ist das Hakenkreuz, Anm.), dem Höchsten zuführen!"

Wilhelm Frass war, wie eine Recherche in den gut sortierten Archiven von Künstlerhaus, Secession und der Berufsvereinigung der Bildenden Künstler zeigt, so lange ein überzeugter Nationalsozialist, bis es seiner eigenen Position nicht mehr förderlich war.

Geprägt von der Front

Der akademische Bildhauer wurde am 29. Mai 1886 geboren, sein älterer Bruder Rudolf war Architekt und gestaltete unter anderem das "Jagdhaus Julius Meinl" in der Ramsau. Bereits als Schüler der k.k. Staatsgewerbeschule wurde er mehrfach ausgezeichnet, 1924 erhielt er den Preis der Stadt Wien, 1936 den Staatspreis. In einem zeitgenössischen Bildband verneigt sich der Autor verbal vor ihm: "Mit Vorliebe wählt Frass für seine Schöpfungen die nackte menschliche Gestalt, der er durch entsprechende Haltung und Gebärden stets einen tieferen, symbolischen Sinn gibt." Die Symbolik war dabei allerdings meist eine eindeutige und geprägt von einem Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg: Frass produzierte vor allem heroisch überhöhende Kriegerdenkmäler - darunter jenes des "Toten Soldaten" - und Grabmale. Technisch gelten seine Werke, die Namen wie "Der Jüngling", "Der Schreitende", "Der Fallende" oder "Ostmark" tragen, auch heute noch als einwandfrei.

1919 trat der gebürtige St. Pöltner der Secession bei - als er 1938 seine NSDAP-Mitgliedskarte beantragte, strich Frass stolz hervor, wie er in "kultureller und propagandistischer Art" seine "Pflicht als Nationalsozialist in meinem Tätigkeitskreis erfüllt" habe: Als langjähriges Vorstandsmitglied der Secession "gelang es durch meine Mitarbeit, dass diese Vereinigung bereits in den letzten Jahren ganz in nationalem Sinne geführt wurde", schreibt er in seinem Antrag. Und weiter: Bereits 1937 habe man im Rahmen einer deutschen Kunstausstellung "im Hause der Secession . . . die erste Hackenkreuzfahne (sic!)" hissen können "und das - notgedrungen - mit Genehmigung der offiziellen Stellen!" Kein Wunder also, dass der offiziellen Aufnahme des damals bereits seit fünf Jahren illegalen Parteimitglieds nichts entgegenstand.

Der Triumph

Frass spürte Rückenwind - und erzählte im Winter 1938 dem Kunsthistoriker Karl Hareiter von der damals "hochverräterischen Inschrift", die er in der Krypta deponiert habe. Und davon, wie glücklich er war, als endlich Adolf Hitler selbst am 15. März 1938 dort einen Kranz niederlegte. Hareiter veröffentlichte dieses Bekenntnis am 25. Dezember 1938 im "Völkischen Beobachter". Auch sonst schien Frass’ Zeit gekommen - er bekam einen Job als Leiter der Hochschul-Klasse der Kunst- und Modeschule und wurde zum Referenten des Kulturamts der Stadt Wien ernannt. Privat musste Frass mit Schicksalsschlägen umgehen: 1941 starb seine Frau Trude im Alter von nur 47 Jahren, 1943 fiel sein jüngerer Sohn Jörg in Russland. Auch ihn stellte der Bildhauer auf ein Podest - mit der heroischen Büste "Jörg" und auf den vorgedruckten Karten, mit denen er sich für die erwiesene Anteilnahme bedankte: "Mögen wir alle den Sinn dieses Opfers verstehen: Die grenzenlose Verpflichtung gegenüber unserem Vaterland."

Das war vor dem Ende des NS-Regimes. Danach blieben Frass’ Worte zwar ähnlich salbungsvoll, allerdings in eine ganz andere Richtung. Er erklärte, sich "von der nationalsozialistischen Weltanschauung völlig losgesagt" zu haben, "als mit der militärischen Niederlage die Nachricht von den unmenschlichen Methoden nationalsozialistischer Staats- und Kriegsführung durch die Weltöffentlichkeit ging". Und: Er bedaure, "einer Idee gefolgt zu sein, die ganze Völker in namenloses Elend gestürzt hat."

Immer wieder findet er Unterstützer, die für ihn bei Behörden intervenieren. So verwendet sich bereits am 6. Juli 1945 Künstlerhaus-Leiter Karl Maria May für ihn. Frass habe "trotz seiner Parteizugehörigkeit nie sein auch in künstlerischer Beziehung gezeigtes Österreichertum verleugnet", daher bitte der Verein darum, "Herrn Professor Frass, der zu den hervorragendsten Bildhauern unserer Stadt zählt, dem Wiederaufbau des kulturellen Lebens zu erhalten und ihn von der Registrierungspflicht zu entheben". Dennoch musste Frass als Minderbelasteter ein Entnazifizierungsverfahren durchlaufen, im Herbst 1945 wurde er aus dem Verein Künstlerhaus ausgeschlossen, nach langem Hin und Her musste er 1947 auch seine Wohnung in der Währingerstraße verlassen.

Seit dem Jahr 1919 war Frass zudem im Besitz eines Praterateliers. Im Februar 1939, also in der Hochblüte der NS-Herrschaft in Österreich, wurden drei anderen Bildhauern die Mietverträge gekündigt, von einem übernahm Frass selbst einige Räumlichkeiten, die er nach 1945 wieder abtreten musste. Im Raum stand lange Zeit, dass Frass gegen die jüdischen Kollegen intrigiert habe, was dieser stets bestritt. Einer der Geschädigten, der Bildhauer Anton Endstorfer, belastet Frass in einem Schreiben, auf das Paul Rachler, ehemaliger Archivar der Secession und nun im Künstlerhaus, hinweist, schwer: Nicht nur habe dieser ihm gegenüber erwähnt, dass er eine "Huldigungsadresse an Hitler" hinterlegt habe, auch habe er gegen mehrere "jüdisch versippte Kollegen gehetzt". In einer Aktennotiz von 1947, unterschrieben vom Bildhauer Gustav Gurschner heißt es, Frass sei "einstimmig als untragbar erklärt" worden. Gurschners Empörung über das Schreiben im "Toten Soldaten" ist in der Aktennotiz spürbar: "Wohl das Verwerflichste, was sich ein Österreicher vor dem Einzug der Nazi leisten konnte! Ebenso wegen gehässigem und brutalem Verhalten gegen Kollegen." Brutal dürfte Frass nicht nur gegenüber Kollegen gewesen sein: Im November 1945 beschreibt der "Mischling" Hans Porges, wie er gemeinsam mit zwei anderen "unentgeltlich" einen Bombentrichter vor Frass’ Prateratelier zuschütten musste - der Bildhauer hatte Zwangsarbeiter angefordert.

Schirachs Berater

Und dann ermittelte die Polizei gegen Frass. Im Ermittlungsbericht aus 1947 heißt es: "Der genannte war begeisterter NS, der noch, als schon die Rote Armee in Wien war, auf den ‚Heil Hitler‘ Gruss (sic!) und Handheben Wert legte . . . Laut vertraulicher Mitteilung war Frass Kulturberater beim Reichsleiter Baldur v. Schirach und sass (sic!) mit diesem in einem Zimmer."

Doch die Ermittlungen verlaufen im Sand. Immer wieder verbürgen sich Kollegen für Frass - er habe sich nie persönlich bereichert, auch nicht aus der Neuvergabe der Praterateliers ungerechtfertigten Profit gezogen, heißt es da. Ob er sein Atelier behalten konnte, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Ein Verfahren auf Berufssperre gegen Frass wurde 1948 eingestellt - von der generellen Amnestie für Minderbelastete profitierte auch er. Noch im Sommer 1948 wurde er "mit ergebener Hochachtung" wieder in der Secession aufgenommen, im Februar 1950 kehrte er zum Künstlerhaus zurück.

Dies nützte ihm vor allem in finanzieller Hinsicht - denn wie viele andere Künstler litt auch Frass nach dem Krieg unter ständiger Geldnot. Immer wieder finden sich in den Dokumenten Bettelbriefe, die sich nicht nur auf die Praterateliers oder seine Wohnung bezogen, sondern auch auf Geldleistungen. Zwar wurden ihm immer wieder öffentliche Aufträge erteilt - etwa fertigte er 1956 eine Reiher-Gruppe im Wiener Votivpark -, allerdings erhielt Frass in den Nachkriegsjahren auch zahlreiche Zuschüsse, zum Teil auch Kredite, die zur Überbrückung der Zeit bis zur Zuerkennung einer weiteren staatlichen Förderung dienen sollten.

Hohe Auszeichnungen

Das lag wohl auch daran, dass Frass’ Gesundheit damals schon angeschlagen war: Durch ein Leberleiden und zwei Herzinfarkte war er in der Ausübung seines Berufs schwer gehemmt. 1961 wurde Frass mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst vom Unterrichtsministerium ausgezeichnet, zwei Jahre später, 1963, bekam er den Ehrenring seiner Heimatstadt St. Pölten. Die Stadt, in der bis heute noch zahlreiche seiner Plastiken und Reliefs an Hauswänden zu finden sind, hatte Frass auch eine Leibrente zuerkannt - gegen Überlassung seines künstlerischen Nachlasses im Wert von geschätzten 850.000 Schilling.

Wilhelm Frass starb 82-jährig in Wien. In einer eigenen Parte würdigte das Künstlerhaus sein "prominentes Mitglied", das sich "bei allen Kollegen besonderer Wertschätzung" erfreut habe. Am 7. November 1968 wurde Frass in einem Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Sein Aufruf zur Wiedervereinigung "unseres herrlichen Volkes im Zeichen des Sonnenrads" ruhte noch fast 44 weitere Jahre unentdeckt in einem anderen Grab. Aber immerhin: Am heurigen Nationalfeiertag hat sich der Bundespräsident erstmals nicht vor dem Toten Soldaten am Heldenplatz verneigt.

Vielen Dank für die Hilfe bei der Recherche an Nadine Wille und Paul Rachler vom Verein Künstlerhaus, Astrid Steinbacher von der Secession und Karl Novak von der Berufsvereinigung der bildenden Künstler.Katharina Schmidt, geboren 1983, ist Historikerin mit Schwerpunkt Zeitgeschichte und seit 2006 innenpolitische Redakteurin der "Wiener Zeitung"