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Vom Bogen zum Saiteninstrument

Von Frank Ufen

Wissen
Pfeil und Bogen sind - wie hier am Xingu in Brasilien - noch immer in Gebrauch.
© © © Ton Koene/Visuals Unlimited/Corbis

Sensationelle neue Erkenntnisse über die Fertigkeiten der Steinzeit-Menschen.


Berlin. Niemand weiß genau, unter welchen Umständen und warum Pfeil und Bogen erfunden worden sind. Zwar hat die Vermutung einiges für sich, dass man sich diese Fernwaffe zugelegt hat, als man sie für die Jagd dringend benötigte, weil das Wild immer knapper wurde. Doch ob diese Hypothese stimmt, ist noch nicht geklärt. Hingegen weiß man seit kurzem, wann Menschen spätestens damit angefangen haben, diese Waffe herzustellen und zu gebrauchen. 2009 stieß Marlize Lombard, eine Archäologin von der Universität von Johannesburg, in der Sibudu-Höhle in Südafrika auf die Überreste von Bögen und Pfeilen. Bald darauf stellte sich heraus, dass die Fundstücke rund 64.000 Jahre alt sind.

Entscheidend für Überleben

Aber nicht genug damit. Unlängst hat ein internationales Forscherteam unter der Leitung des Archäologen Kyle Brown von der Universität von Kapstadt in Pinnacle Point an der Südküste Südafrikas etliche filigrane Steinklingen gefunden, die nicht weniger als 71.000 Jahre alt sind. Diese Klingen, erklären die Wissenschafter in der neuesten Ausgabe des Magazins "Nature", können nur als Pfeil- oder Wurfspeerspitzen gedient haben. Die Paläoanthropologin Sally McBrearty von der University of Connecticut vermutet in einem "Nature"-Kommentar, dass Pfeile und Speere, die aus den Klingen hergestellt wurden, ausschlaggebend für das erfolgreiche Überleben der modernen Menschen waren, als sie Afrika verließen und auf die Neandertalern trafen.

Die geometrisch geformten, nur ungefähr 2,5 bis 3 Zentimeter langen Artefakte bestehen meistens aus eingekieseltem Sedimentgestein (Silcrete), das durch Erhitzung in Feuerstellen gehärtet worden ist, sodass es leichter zu bearbeiten war. In den Augen der Archäologen lässt sich an diesen winzigen Klingen ablesen, über welche hochentwickelten kognitiven Fähigkeiten der Homo sapiens damals schon verfügt haben muss. Die Produktion von Klingen solcher Art erforderte nämlich einen gewaltigen Aufwand: Sammlung und Transport von Rohlingen, Sammlung und Transport von Feuerholz, kontrollierte Erhitzung der Rohlinge, Vorbereitung und Bearbeitung des Materials, Herausbrechen von Klingen durch seitliche Einkerbungen, schließlich Retuschen.

Nach landläufiger Auffassung ist den Menschen der Altsteinzeit höchstens alle Jubeljahre eine technische Innovation gelungen, vorausgesetzt, dass der Zufall ihnen kräftig unter die Arme gegriffen hat. Dass diese Auffassung durch und durch falsch ist, geht eindeutig aus den Erkenntnissen hervor, zu denen Marlize Lombard und ihre Kollegin Miriam Haidle von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften kürzlich gelangt sind. Die Wissenschafterinnen berichten über ihre Forschungsergebnisse im "Cambridge Archaeological Journal".

Nach Marlize Lombard und Miriam Haidle haben Hominiden schon vor 2,5 Millionen Jahren eine Vielzahl von Werkzeugen verwendet und auch schon Werkzeuge zur Herstellung weiterer Werkzeuge hergestellt. Vor 200.000 bis 300.000 Jahren war man immerhin bereits imstande, Geräte aus mehreren Elementen zusammenzubauen, zum Beispiel Holzspeere mit Steinspitzen auszurüsten.

Hingegen hat man es bei einem Gerät wie Pfeil und Bogen mit einem äußerst komplexen Gebilde zu tun, dessen Erzeugung an das Denkvermögen erheblich höhere Anforderungen stellt, denn es sind etliche Arbeitsschritte und präzise langfristige Planung erforderlich. Nach den Berechnungen von Lombard und Haidle sind für die Anfertigung eines primitiven Bogens samt Pfeilen mit Vorschaft und Steinspitze zehn verschiedene Werkzeuge erforderlich, und 22 Rohmaterialien sowie drei Halbfertigprodukte (Mehrkomponenten-Klebstoff und Bindematerial aus Sehnen und Pflanzenfasern) müssen zusammengefügt werden. "Wir haben beim Pfeil und Bogen natürlich zwei Komponenten: zum einen den Pfeil und zum anderen den Bogen", sagt Haidle. Beim Bogen wiederum haben wir auch verschiedene Komponenten: Wir haben zum einen den Holm, wir haben die Sehne, und dann gibt es (...) oftmals eine Art Griff, eine Umwickelung, damit man den Bogen einfach besser halten kann. Man muss die Sehne oben befestigen, und zwar so, dass sie wirklich eine Spannung aushält. Die Bögen, die Sie und ich als Kinder gemacht haben, die waren nicht so wirklich funktionstüchtig, dass sie eine große Spannung ausgehalten haben. Das heißt, man muss die Knoten oben auch noch speziell mit anderen Sehnen oder anderen Befestigungsmitteln festmachen."

Marlize Lombard und Miriam Haidle vermuten übrigens, dass etwa zur gleichen Zeit wie Pfeil und Bogen die ersten Tierfallen - die frühesten Automaten der Menschheitsgeschichte - aufgekommen sein dürften. Die beiden Wissenschafterinnen vermuten außerdem, dass die Erfindung von Pfeil und Bogen unmittelbar zu weiteren Erfindungen wie zum Bohrer oder zu Saiteninstrumente geführt haben könnte. "Wir haben historische und ethnologische Belege", erklärt Lombard, "dass die Buschleute in Südafrika Bögen als Saiteninstrumente benutzten, etwa als violinenähnliche Geräte, die mit einem Stab gestrichen wurden und den Mund als Klangraum nutzten, um den Klang zu verstärken. Aber sie können auch nur gezupft werden, als einfache Gitarre."