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Die Magie der "weißen Munition"

Von Wolfgang Duchkowitsch

Wissen
Die Realität des Krieges - hier das von Kämpfen gezeichnete Ypern - hätte die Stimmung nachteilig beeinflusst und kam daher in den Zeitungen nicht vor.
© wikipedia

Kriegsverherrlichende Zeitungen im Bund mit der Zensur.


In den heißen Tagen nach Beginn des Weltkriegs loderte in den Städten des habsburgischen Reichs lüsterne Stimmung, Serbien die Ermordung des österreichischen Thronfolgepaars blutig heimzuzahlen. "Für Gott, Kaiser und Vaterland", hieß es nun und mäuschenstill wurde es um den Ruf der Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner "Die Waffen nieder!"

Die Tagespresse berichtete von patriotischen Kundgebungen. Musikkapellen stimmten allerorten den Radetzkymarsch und das Prinz-Eugen-Lied an. Hochrufe auf den Dreibund Österreich-Deutschland-Italien brachen aus. Patriotische Spenden gingen umgehend ein. Und es rühmten die Leitartikelschreiber den gerechten Waffengang, führten ihre Leserschaft in die Nähe der Front und des Todes, ließen sie das Geknatter der Gewehre und Dröhnen der Kanonen atmosphärisch erleben. Nun hieß es für sie, dem greisen Kaiser unverbrüchliche Gefolgschaft zu geloben. Als Losung gaben sie aus: Alle Diplomatie kann, darf und wird nicht mehr in den Arm fallen, der jetzt das Schwert handhabt. Es kann und darf nicht anders sein, Österreich ist im Begriff, eine Mission zu erfüllen, die nicht nur in seinem eigenen Interesse liegt, sondern auch im Interesse des Weltfriedens.

Zerbrochene Hoffnungen

Mit dem Begriff "Mission" verband elf Jahre zuvor Emil Löbl, stellvertretender Chefredakteur der "Wiener Zeitung", eine andere Imagination. In seinem Werk "Kultur und Presse" sprach er der Presse eine "große kulturelle Mission" zu. Die Presse schlinge durch "den unausgesetzten Informationskontakt ein starkes Band der Kulturgemeinschaft um die Völker des Erdballs". Sie trage zur "Ausgleichung angestammter Gegensätze" sowie zum "Näherbringen und Näherrücken" bei. Es sei daher undenkbar, dass sich "eine solche Summe von Vorurteilen zwischen die Nationen lagern könnte wie früher".

Welch ein idealistischer Traum! Versunken war auch längst die Zeit, in der viele Publizisten in Europa sich vom Telefon segensreiche Auswirkungen für die gesamte Menschheit erwartet haben. Ihr Argument lautete: Da nun jeder Mensch jeden anderen jederzeit rund um den Erdball erreichen kann, wird Verständnis für den jeweils anderen geweckt, Verständnis, das friedliche Koexistenz garantiert. In der Tat geriet das Telefon bald in den Blick des Militärs. 1912 vereinbarte die k. k. Regierung mit dem k. u. k. Kriegsministerium ein Maßnahmenbündel für den Kriegsfall. Das Telefon wurde darin ebenso wenig wie die Post und die Printmedien als potenzielle Gefahrenquelle explizit angeführt, war aber inhärent gemeint. Das Maßnahmenbündel diente am 27. Juli 1914 zur Errichtung des Kriegsüberwachungsamts (KÜA), einer Behörde mit zweifelhafter verfassungsrechtlicher Grundlage. Ihr oblag die Zensur der Post, der Telegrafen- und Telefoneinrichtungen sowie der periodischen und nichtperiodischen Druckschriften. Die Zensur war damit in Österreich zurückgekehrt. Im KÜA waren alle Anhaltspunkte und Nachrichten zur Verhütung von Auskundschaften, Störungen, unbefugten Verlautbarungen der für den Krieg getroffenen militärischen und sonstigen Maßregeln rasch und zweckentsprechend zu verwerten. Täglich fand eine Pressekonferenz statt. Jedes Ministerium und jede Zeitung sowie jedes Korrespondenzbüro entsandte zu ihr einen Vertreter.

Wachsame Zensur

Die eigentliche Zensur erfolgte durch die Staatsanwaltschaft auf Verlangen der Pressepolizei. Dies bedeutete prinzipiell keine Änderung im System. Denn die Zensur hatte die heimatliche Publizistik ja schon im Neoabsolutismus dirigiert. Der Staatsanwalt konnte veranlassen, dass anstößig anmutende Artikel oder einzelne Passagen ersatzlos gestrichen werden. Die daraus in den Zeitungen entstandenen "weißen Flecken" gehörten zum Alltag der Redaktionen und Lesergemeinden. Die "Arbeiter-Zeitung" (AZ) war davon besonders betroffen. Konsequent provozierte die "AZ" die Beamten der Überwachungsbehörde im November und Dezember 1914 mit empörten Klagen gegen "weiße Flecken", was erwartungsgemäß neuerlich für "weiße Flecken" sorgte.

Das Gros der österreichischen Tagespresse unterwarf sich bereitwillig den kriegsbedingten Rahmenbedingungen alltäglicher journalistischer Praxis. Es billigte in seiner anhaltenden Kriegsbegeisterung die Machtvollkommenheit des KÜA.

An vorderster Front der heimatlichen Kriegsbegeisterung agierte die "Reichspost", das Blatt für das christliche Volk Österreich-Ungarns. Sie stand an der Spitze der antiserbischen Propaganda und benedeite in den letzten Julitagen 1914 den Krieg als unabänderliches und naturwüchsiges Element der Menschheit: "Die Erde ist kein Paradies; die Erstgeborenen der Schöpfung sind keine Engel. Schuld und Fehle wuchert allenthalben in diesem Tränental, Leidenschaften riesengroß nisten in der kleinen Menschenbrust und immer müssen Edelmeinende gegen Schlechtgesinnte das Feld verteidigen; immer müssen Völker im Namen der Wahrheit und Gerechtigkeit gegen völkische Lügen und völkisches Unrecht das Schwert ziehen." Bis zuletzt forderte die "Reichspost" die Fortführung des Kriegs. Denn Friedenszeiten seien "gefährliche Zeiten": Sie brächten nämlich "wie Stunden ungetrübten Glücks allzu leicht Erschlaffung und Veräußerlichung".

Für das KÜA wie auch das Kriegspressequartier (KPQ), das es mühelos schaffte, die Elite der österreichischen Schriftsteller in den publizistischen Kriegsdienst zu stellen, galt es vor allem die öffentliche Meinung im Sinn einer ungestört und erfolgreich verlaufenden Kriegskommunikation zu beeinflussen. Sie folgten damit, wissentlich oder unwissentlich, Wilhelm von Blume, der in seiner 1912 in Berlin erschienenen militärische Studie "Strategie, ihre Aufgaben und Mittel" in puncto Presse vor folgender Fährnis gewarnt hatte: "Eine gedrückte Volksstimmung lähmt nicht allein die heimatlichen Kräfte, sondern wirkt auch auf den Geist des aus der Allgemeinen Wehrpflicht hervorgegangenen Heeres zurück, dessen Angehörige unter den heutigen Verhältnissen mit der Heimat im Verkehr bleiben."

Bewahrung der Stimmung

Nachdrücklich auf Blume bezog sich die im Jänner 1915 unter dem Titel "Die Zeitung im Kriege und nach dem Kriege" in Wien publizierte Broschüre Friedrich Leiters: "Die Bewahrung der Stimmung darf also nicht außer Acht gelassen werden. Dieser Forderung Rechnung zu tragen, ist die Zeitung berufen."

Leiter schrieb der "Bedachtnahme auf die Bewahrung und Lenkung der Stimmung" publizistische Aufgaben zu: teilnahmsvolles Interesse für das Heer und seine Taten, herzerhebende Bekundungen selbstloser Opferung auf dem Schlachtfeld, gesteigertes Verständnis für die Zusammensetzung und Ausstattung der Truppen. Diese Broschüre wurde bisher von der Forschung wenig beachtet. Sie bietet tiefe Einblicke in den Gestaltungsraum und in die Verantwortungswelt der österreichischen Presse nach Beginn des Weltkriegs. Kritisch beschäftigte sich Leiter mit dem "weißen Fleck": Er wecke die Neugierde des Lesers, künde davon, dass der Zensor befunden hat, etwas zu beseitigen, was ihm aus welcher Erwägung auch immer staatsgefährlich erschien. Erst die Markierung des weißen Flecks reize den Leser zum Bedenken und Grübeln. Der weiße Fleck sorge für überflüssige Nervosität. Fraglich sei ohnehin, "ob bei der nicht anzuzweifelnden Loyalität, welche die Zeitungen aller Parteien während des Krieges beobachten, überhaupt die Tendenz zur Publikation von so vielen staatsgefährlichen oder auch nur inopportunen Mitteilungen besteht, als der Zensor unausgesetzt zu beseitigen sich verpflichtet erachtet".

Damit lag Leiter auf einer Linie mit den Bedenken des liberalen Bürgertums: Gerade staatserhaltende Faktoren erkennen es als ihre Pflicht, die freie Meinungsäußerung in der Presse vor unbilligem Drangsal zu bewahren.

Wolfgang Duchkowitsch ist emeritierter Universitätsprofessor für Publizistik.