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"Antisemitismus ist absolutes No-Go"

Von Heiner Boberski

Wissen

Klare Aussagen des deutschen Theologen Christoph Dohmen.


In der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils "Nostra aetate" von 1965 verwirft die römisch-katholische Kirche "alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgendjemandem gegen die Juden gerichtet haben". Zum Tag des Judentums am 17. Jänner stellen die Theologischen Kurse der Erzdiözese Wien via Aussendung klar, dass christlicher Antisemitismus "ein absolutes No-Go" war und ist. Zur Erhellung des Spannungsfeldes Bibel-Judentum-Christentum wurde der renommierte Regensburger Alttestamentler Christoph Dohmen nach Wien eingeladen.

"Wiener Zeitung":Was versteht man unter christlichem Antisemitismus? Müsste man nicht eher von Antijudaismus sprechen?Christoph Dohmen: Antisemitismus ist ein sehr komplexes Phänomen, das man nicht nur theologisch betrachten kann. Theologisch müsste man es tatsächlich eher auf christlichen Antijudaismus eingrenzen. Aber im Grunde darf es so etwas wie christlichen Antijudaismus gar nicht geben. Das Christentum ist aus dem Judentum entstanden. Von daher umschreibt der Begriff Phänomene, die es im Christentum gegeben hat und gibt. Den rassistischen Antisemitismus würde ich jetzt einmal von meinem Fach her außen vor lassen.

Wo liegen die Wurzeln des christlichen Antijudaismus?

In den Trennungsprozessen im 1. und 2. Jahrhundert nach Christus. Das Christentum ist komplett im Judentum entstanden, fing aber an, seine eigene Identität zu bestimmen. Die Abgrenzung, die anfangs harmlos war, ist später immer stärker geworden.

Dabei gab es doch zwei Phasen - erst das Hinausgehen des Christentums über jüdische Rituale wie Beschneidung und Speisegebote, später das Brandmarken und Verfolgen der Juden als "Gottesmörder".

Die Abkehr von den jüdischen Traditionen zeichnet sich ja bereits im Neuen Testament beim Apostelkonzil ab - Petrus gegen Paulus. Im Hintergrund steht die Frage: Müssen neue Christen erst Juden werden - das war die Linie des Petrus - oder genügt, wie Paulus meint, das Bekenntnis, um direkt Christ zu werden? Das Judentum ist eine Art "Nationalreligion" - man wird hineingeboren und bleibt sein Leben lang Jude. Es gibt aber auch bis heute den atheistischen Juden, der religiös sagt: Ich glaube nicht an einen Gott. Das Christentum tritt als Bekenntnisreligion, da sich die paulinische Linie durchsetzt, aus dem Judentum heraus: Wer sich zu Christus bekennt und glaubt, der ist Christ.

Wie weit war Antijudaismus zeitweise dominant in der Kirche? Ging das fallweise schon in Richtung Vernichtung wie später der Holocaust?

Es gab Phasen, wo das dominant war. Bei den mittelalterlichen Zwangsdisputationen hat man zum Beispiel Juden gezwungen, in öffentlichen Diskussionen zuzugeben, dass die Verheißungen ihrer eigenen Heiligen Schrift in Christus erfüllt wurden - am Ende mussten sie ein Bekenntnis ablegen oder sie wurden bestraft - mitunter sogar mit dem Tod.

Eine gezielte Judenvernichtung wie im 20. Jahrhundert unter den Nationalsozialisten gab es nicht. Was es aber gab, war Verfolgung. Man hat die Juden ghettoisiert, was anfangs auch mit Schutzprivilegien für den Handel verbunden war, aber oft wurden, wenn man Geld brauchte, die Juden enteignet und vertrieben. Das wurde dann oft religiös begründet.

Ist der oft als Alibi herangezogene Bibelsatz "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder" historisch überhaupt gefallen oder später in die Bibel hineingekommen?

Selbst wenn es nicht historisch ist, ist es zumindest eine Sache der frühen Christen. Viele dieser problematischen Dinge finden sich im jüngsten Evangelium - bei Johannes. Dort heißt es immer wieder abgrenzend "die Juden". Das kann nicht historisch sein, denn auch alle Jünger Jesu waren Juden. Was viel später als Vorwurf kam - Juden als Gottesmörder -, taucht in der Bibel noch nicht als Problem auf. Die Evangelien suchen nicht nach Schuldigen der Hinrichtung Jesu, sondern wollen das Geschehen bis zur Auferstehung als gottgewollt darstellen.

Gibt es eine Mitschuld des christlichen Antijudaismus an der Judenvernichtung in der NS-Zeit?

Ja. Wenn sich die Christen im 20. Jahrhundert bewusst gemacht hätten, dass das Christentum untrennbar mit dem Judentum verbunden ist, wäre so etwas wie der Holocaust nicht möglich gewesen.

Wie viel hat das Zweite Vatikanische Konzil beigetragen, um Antijudaismus zu überwinden?

Das Konzil hat viel dazu beigetragen, gerade durch die Diskussion um "Nostra aetate" und das einzigartige Verhältnis von Christentum und Judentum. Ein wirklicher Durchbruch gelang dann unter Papst Johannes Paul II., der in vielen Äußerungen klargestellt hat, dass die Verbindung zum Judentum im 20. Jahrhundert nicht mehr ohne Schuldbekenntnis im Hinblick auf den Holocaust gesehen werden kann. Er hat auch deutlich formuliert, dass auch die Kirche eine Mitschuld hat, da man einen jahrhundertelangen latenten Antijudaismus zugelassen hat. Auch ein ungeklärtes Verhältnis der Christen zum Alten Testament hat dazu geführt, dass das möglich war.

Trotz dieses Papstes hört man von Christen, gerade auch in Polen, noch antisemitische Töne...

Das kann man leider nicht auf Polen beschränken, leider ist das noch nicht überwunden. Ich halte es für gut, dass Österreichs Kirche jetzt einen Tag des Judentums hat - in Deutschland ist man noch dabei, das einzuführen.

Wie sehen Sie das Verhältnis zum Judentum vor dem Papstbesuch in Israel im Mai?

Das ist mehr ein Staatsbesuch, der Papst wird in Israel grundsätzlich positiv aufgenommen werden. Das Oberrabbinat in Jerusalem ist momentan nicht so positiv auf christlich-jüdischen Dialog eingestellt. Das gilt aber nicht für das Judentum insgesamt. Ich erinnere an die 2000 in der "New York Times" veröffentlichte Erklärung amerikanischer Juden - "Dabru emet" (Redet Wahrheit) -, die auf die Versuche der Christen, ihr Verhältnis zum Judentum zu klären, eingeht. Dieses Dokument wurde stark rezipiert, in Polen sogar mehr als in Deutschland.

Das Gottesbild des Alten und Neuen Testaments wird oft unterschiedlich empfunden - dort mehr der strafende, hier mehr der liebende Gott. Wie sehen Sie das?

Es ist für das christliche Selbstverständnis wichtig, dass es ein und derselbe Gott ist, der sich in beiden Büchern offenbart hat. Die Grundaussage des Neuen Testaments, die Nächstenliebe, steht auch zentral im Alten Testament im Buch Leviticus: Du sollst Deinen Nächsten lieben, er ist wie du. Die christliche Liebe ist die des Alten und Neuen Testaments.

Zur Person:

Christoph Dohmen

geboren 1957 in Geilenkirchen (Nordrhein-Westfalen), ist Professor für Biblische Theologie, Exegese und Hermeneutik des Alten Testaments an der Universität Regensburg und Mitglied der Päpstlichen Bibelkommission.