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Unglücklich und adelsstolz

Von Friedrich Weissensteiner

Wissen

Vor 150 Jahren wurde Stephanie von Belgien geboren, die später die Ehefrau des österreichischen Kronprinzen Rudolf werden sollte. Nach dem frühen Tod des Thronfolgers führte sie ein freieres Leben.


Anfang März 1880 ist der österreichische Thronfolger Kronprinz Rudolf im Hofzug wieder einmal auf Brautschau unterwegs. Zu seinem Gefolge gehört auch seine damalige Geliebte, eine junge, hübsche jüdische Schauspielerin. Das wissen allerdings nur ein paar Eingeweihte.

Der 21-jährige lebenshungrige und liebeserfahrene Erzherzog hat schon ein paar solcher Touren an die Höfe von Madrid, Lissabon und Dresden hinter sich. Aber die jungen Damen gefielen ihm nicht. Sie entsprachen nicht seinem Typ. Rudolf hatte eine Vorliebe für kleine, zarte Frauen. Jetzt ist er auf dem Weg nach Brüssel, um Stephanie, die zweitälteste Tochter des belgischen Königs Leopold II. kennen zu lernen. Sie stammt aus einem katholischen, ebenbürtigen Herrscherhaus. Das sind zwei Kriterien, die bei Eheprojekten des habsburgischen Kaiserhauses unbedingte Voraussetzung sind. Franz Joseph, der gebieterische, ehrfurchtheischende Vater, achtet streng darauf, dass sie eingehalten werden.

Der belgische Königshof hat für den Empfang des begehrten Ehekandidaten alle zeremoniellen Vorsorgen getroffen. Am dritten Tag nach der Ankunft findet die Brautwerbung statt, anderntags folgt im königlichen Schloss die offizielle Verlobung. Der geschäftstüchtige Brautvater hält in glänzender Laune eine kurze Ansprache.

"Ich schwelge in Glück und Freude"

Die kindliche, pausbäckige, unvorteilhaft gekleidete Braut macht einen zufriedenen Eindruck, der ein wenig verlegen wirkende Bräutigam bemüht sich, glücklich zu wirken. An seinen Freund, den Kunstmäzen und Frauenfreund Graf Hans Wilczek schreibt er: "Lieber Freund! Ich eile Ihnen am Tag meiner Verlobung mein Glück mitzutheilen. Ich schwelge in Glück und Freude. Was ich gesucht habe, habe ich gefunden, einen treuen, guten Engel. Stephanie wird eine treue Tochter und Unterthanin unseres Kaisers und eine gute Österreicherin werden."

Der Engel ist freilich noch nicht einmal geschlechtsreif, und Stephanie ist weder bildungsmäßig noch geistig auf die Position vorbereitet, die sie am Wiener Kaiserhof einnehmen soll und wird. Sie muss erst zur Frau reifen, Ungarisch lernen, ihre Deutschkenntnisse verbessern und sich das nötige Wissen über die Österreichisch-Ungarische Monarchie aneignen. Die Hochzeit wird aus diesen Gründen immer wieder verschoben.

Nach etwas mehr als einem Jahr ist es dann so weit. Am 10. Mai 1881 findet in Wien die mit großem Aufwand inszenierte Hochzeit statt. Einige Mitglieder der Hofgesellschaft, voran die Kaiserin, rümpfen über den unvorteilhaft aussehenden Teenager die Nase. Sisi, die mit Kraftausdrücken rasch zur Hand war, wenn ihr jemand missfiel, bezeichnet ihre Schwiegertochter als "hässliches Trampeltier". Gräfin Marie Larisch, ihre Nichte und Vertraute, hielt ihre Eindrücke mit ironischer Herablassung fest. "Die zahlreichen Damen, die ihn kannten und liebten, waren überglücklich", merkte sie an, "denn bei der Braut stand nicht zu befürchten, daß aus Rudolf jemals ein vorbildlicher Ehemann werden würde." Der Frauen gegenüber ritterliche Kaiser enthielt sich abwertender Kritik. Die auf die Trauung folgende Hochzeitsnacht im Schloss Laxenburg beschreibt Stephanie in ihren Jahrzehnte später publizierten Memoiren so: "Welche Nacht! Welche Qual, welcher Abscheu! Ich hatte nichts gewußt, man hatte mich als ahnungsloses Kind zum Altar geführt. Ich glaubte, an meiner Enttäuschung sterben zu müssen."

Nach den Flitterwochen übersiedelt das Kronprinzenpaar in Rudolfs Residenz auf dem Prager Hradschin. Der Kronprinz ist seit 1878 in Prag als Oberst beim Infanterieregiment Nr. 36 stationiert. Stephanie findet sich in ihrer neuen Umgebung und in ihrer Rolle als Gattin des Thronerben eines Großreiches überraschend schnell zurecht. Die damit verbundenen Repräsentationspflichten bereiten ihr zunehmendes Vergnügen, der flatterhafte Gatte bemüht sich um ihr Vertrauen und ihre Liebe. Die Kronprinzessin wird gelöster, selbstbewusster, reifer. Am 2. September 1883 bringt sie eine Tochter Marie Elisabeth zur Welt, die Jahrzehnte später als "rote Erzherzogin" viel von sich reden machen wird.

Rudolf und Stephanie laden zu Festlichkeiten ein, eröffnen Ausstellungen, unternehmen gemeinsam Reisen. Diese möglicherweise in der Öffentlichkeit gespielte Harmonie verdeckt die unterschiedlichen gesellschaftlichen Standpunkte, die politischen Ansichten und die diametral entgegengesetzten Interessen der beiden Ehepartner. Die standesbewusste, bigotte Stephanie hat für Rudolfs wissenschaftliche Ambitionen kein Verständnis, sie missbilligt seine Beziehungen zu bürgerlichen Freunden und Ratgebern, nimmt Anstoß an seinem Antiklerikalismus und quält ihn mit ihrer rasenden Eifersucht - allerdings nicht grundlos. Der seelisch labile Thronfolger führt ein ausschweifendes, aufreibendes Leben. Er nimmt Drogen, trinkt reichlich Champagner mit Cognac und stillt seinen Sexualhunger bei Vorstadtdamen. Zuguterletzt steckt er seine Gemahlin mit einer venerischen Erkrankung an. Die Ehe ist nach einigen Jahren hoffnungslos kaputt. Die menschliche Tragödie des Thronfolgers findet Ende Jänner 1889 in Mayerling ihr Ende.

"Werde glücklich auf Deine Art"

Einer der Abschiedsbriefe, die Rudolf vor seinem Selbstmord schrieb, war an seine Gemahlin gerichtet. "Liebe Stephanie! Du bist von meiner Gegenwart und Sorge befreit; werde glücklich auf Deine Art. Sei gut für die arme Kleine, die das einzige ist, was von mir übrig bleibt . . ."

Die kleine, fünfjährige Tochter war nun das einzige Lebewesen, dessen Herz Stephanie am Wiener Hof entgegenschlug, das sie liebkosen konnte. "Elisabeth ist mir ein Trost, ich trachte viel bei ihr zu sein", schrieb sie an ihre Schwester Louise von Sachsen-Coburg.

Stephanies Position in der Hofburg veränderte sich nach dem Tod Rudolfs grundlegend. Sie blieb als Kronprinzessin-Witwe zwar Mitglied der Hofgesellschaft, der Kaiser überließ ihr die Appartements seines Sohnes und gewährte ihr einen jährlichen Witwenbezug von 150.000 Gulden. Damit ließ sich fürstlich leben. Aber Stephanie blieb von den Repräsentationspflichten, die sie in Abwesenheit der Kaiserin so gerne wahrgenommen hatte, ausgeschlossen. Das schmerzte sie tief.

Um der Hofgesellschaft zu entfliehen, die ihr mit Missgunst und Animosität begegnet, krempelt die 25-jährige Witwe ihr Leben gründlich um. Sie nimmt Mal- und Gesangsstunden, absolviert Kuraufenthalte und unternimmt mit beachtlichem Gefolge zumeist inkognito Schiffs- und Besichtigungsreisen nach Nordafrika, Palästina, zum Zarenhof in St. Petersburg, nach Skandinavien. Wie bei der Kaiserin wird ihre Reiselust bald zur Manie.

Die Obsorge für die Tochter, die indessen zum frühreifen Teenager heranwächst, überlässt sie dem kaiserlichen Großvater und den Erzieherinnen. Zu Beginn des Jahres 1898 erkrankt Stephanie an einer schweren Lungen- und Rippenfellentzündung, die das Ärgste befürchten lässt. Sie übersteht die Krise, erholt sich in verhältnismäßig kurzer Zeit und sorgt zwei Jahre später mit der Ankündigung, sich wieder zu vermählen, nicht nur am Kaiserhof für ausgiebigen Gesprächsstoff.

Stephanie ist 36 Jahre alt, eine elegante, noble Dame. Ihr adelsstolzes Auge ist auf einen ungarischen Grafen namens Elemer Lonyay gefallen. Der gut aussehende Graf ist ein magyarischer Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle. Er entstammte uraltem Adel. Elemer studierte Jus an der Budapester Universität und stand als Di-plomat in kaiserlichen Diensten, aber er war unebenbürtig. Franz Joseph gab nur widerstrebend seine Zustimmung zur Heirat. Stephanie muss aus dem Kaiserhaus, Elemer aus dem diplomatischen Dienst ausscheiden. Am 22. März 1900 geben sie einander in der Schlosskapelle von Miramare das Jawort.

Die Schlossherrin im Mittelpunkt

Für Stephanie beginnt ein neuer Lebensabschnitt, der 45 Jahre lang dauern wird. Das jung vermählte Paar bezieht zunächst die Villa Zichy in Kalksburg bei Wien, ehe es einige Jahre später nach Schloss Orosvár bei Pressburg übersiedelt, das es um vier Millionen Kronen aus der Verlassenschaft der Gräfin Laura Henckel von Donnersmark angekauft hat. In der zweistöckigen Schlossanlage mit ihren mehr als zweihundert, mit auserlesenem Geschmack eingerichteten Zimmern ist die ehemalige Kronprinzessin der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in ihrem Element. Stephanie holt dort nach, was ihr in der Wiener Hofburg versagt blieb.

Die Schlossherrin ist der Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Sie führt das k. u. k. Hofzeremoniell ein, die fünfundzwanzig Bediensteten müssen sie per "Königliche Hoheit" ansprechen, zu den in perfekter Vollendung arrangierten Mahlzeiten erscheint die elegante Herrin des Hauses täglich in einer anderen Toilette.

Die Lonyays laden auf ihren Herrensitz illustre Gäste ein. Erzherzog Franz Ferdinand und Gemahlin kommen zu Besuch und auch Bertha von Suttner, die die Gastfreundschaft des Ehepaares in überschwänglichen Tönen lobt.

Jahr um Jahr verrinnt und versickert im löchrigen Lebensfass. Die Lonyays sind alt geworden, gebrechlich und einsam. Eines Tages im April 1945 klopft die Weltgeschichte bedrohlich an das Eingangstor von Orosvár. Russische Soldaten stürmen in das Schloss und plündern die Räume. Die herzkranke Stephanie sitzt verwirrt im Lehnstuhl und sieht dem Treiben verständnislos zu.

Dann wird sie bettlägerig. Dem Hauskaplan Dr. Andreas Szennay gelingt es, einen Krankenwagen zu mobilisieren und in die Benediktinerabtei Pannonhalma zu dirigieren. Dort, im Gästezimmer der Prälatur, schied die königlich belgische Prinzessin am 23. August 1945 aus dem Leben. Ihr Gemahl folgte ihr ein Jahr später nach.

Friedrich Weissensteiner war Direktor eines Wiener Gymnasiums und ist Autor zahlreicher historischer Bücher: "Frauen um Kronprinz Rudolf", "Die rote Erzherzogin", "Große Herrscher des Hauses Habsburg" u. a.